Politische Stimmung in Deutschland Vier Landesväter auf Bewährung

Der Ausgang der beiden Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen ist der erste Test seit langem, wie sich die politische Stimmung in Deutschland wirklich verändert. Vom Ausschlag der Wählergunst wird der weitere Gang der Innenpolitik maßgeblich bestimmt werden. Eintönigkeit oder politisches Erdbeben? Das Jahr 2008 hat das Potenzial für dramatische Überraschungen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff: Einer von vier Landesvätern, der sich im Januar zur Wahl stellen muss. Quelle: dpa

BERLIN. Große Erdbeben und tektonische Verschiebungen kündigen sich meist durch kleinere Vorbeben an. Seismologen und Geologen schauen dann auf ihre Apparate und versuchen sich anschließend in Vorhersagen für weitere Katastrophen.

Die deutsche Innenpolitik funktioniert ganz ähnlich. Die politischen Seismologen schauen deshalb am 27. Januar ganz genau auf ihre "Messgeräte": Der Ausgang der beiden Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen ist der erste Test seit langem, wie sich die politische Stimmung in Deutschland wirklich verändert. Vom Ausschlag der Wählergunst wird nach Ansicht aller Beobachter der weitere Gang der Innenpolitik maßgeblich bestimmt werden. Eintönigkeit oder Erdbeben - darüber werden die Wähler in Hessen und Niedersachsen entscheiden.

Bisher ist 2008 jedenfalls formal "nur" ein politisches Zwischenjahr. Erst im Juni und im Herbst 2009 stehen mit der Europa- und der Bundestagswahl landesweite Abstimmungen an. Und mit großen innenpolitischen Reformen auf Bundesebene rechnet derzeit niemand mehr. Stattdessen bereiten sowohl die Union als auch die SPD vor allem Positionierungskämpfe vor - die allerdings wie eine mögliche Ausweitung des Mindestlohns wirtschaftlich durchaus bedeutende Auswirkungen haben könnten.

Dennoch kann die politische Tektonik in Deutschland gehörig durcheinandergeraten: Werden bei den vier Landtagswahlen Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Bayern die Unions-Ministerpräsidenten wiedergewählt, wird zwar "nur" die SPD nervös werden. Ob die Partei noch weiter nach links rücken soll, überlegt SPD-Chef Kurt Beck schon heute. Scheitert aber auch nur einer der vier Unionspolitiker, dann muss sich die Union überlegen, ob sie inhaltlich und personell richtig liegt.

Zumindest theoretisch bietet sich 2008 die Möglichkeit, völlig neue politische Konstellationen zu schmieden. Sollte der hessische Ministerpräsident Roland Koch keine Mehrheit für eine CDU/FDP-Koalition erhalten, sind rechnerisch drei Varianten möglich: eine "Jamaika"-Koalition (CDU, FDP, Grüne), eine "Ampel" (SPD, FDP, Grüne) und ein erstes rot-rot-grünes Bündnis auf Landesebene. Die SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti hat eine Koalition mit der Linkspartei aber bereits abgelehnt. Triumphiert Ministerpräsident Christian Wulff gleichzeitig in Niedersachsen, würden sich auch die Machtverhältnisse in der Union verschieben. Denn Koch steht für einen Lagerwahlkampf gegen die Sozialdemokraten, Wulff dagegen verfolgt die Strategie, die Themen der SPD gleich mitzubesetzen.

Und in Hamburg hat CDU-Bürgermeister Ole von Beust bereits über eine mögliche Koalition mit den relativ moderaten Grünen in der Hansestadt nachgedacht. Die Unterstützung aus der Berliner Parteizentrale und von der Kanzlerin hat von Beust für ein solches Experiment bereits sicher. Denn für die CDU und für die Grünen bietet ein solches Bündnis die Chance, die strategischen Koalitionsmöglichkeiten zu erweitern. Die von der CDU-Chefin Angela Merkel beanspruchte "Mitte" könnte dann endgültig von den Christdemokraten besetzt werden.

Möglicherweise werden sich veränderte politische Farbenspiele auch auf wichtige Personalentscheidungen auswirken. Formal steht zwar erst 2009 die Wahl des nächsten Bundespräsidenten und des EU-Kommissionspräsidenten an. Aber sollte die Ratifizierung des EU-Reformvertrags planmäßig verlaufen, dann muss im Dezember 2008 eine Entscheidung sowohl über die aufgewerteten Posten eines EU-Ratspräsidenten als auch eines EU-Außenrepräsentanten fallen. Union und SPD sehen diese Personalentscheidungen schon heute als "Paket" an, bei dem die Machtverteilung zwischen den Volksparteien gewahrt bleiben muss.

Gerade bei der Wahl des Bundespräsidenten könnte dies ein monatelanges Tauziehen und Abwägen bedeuten. Denn tritt der bisherige Amtsinhaber Horst Köhler erneut an, wird er zwar wohl eine große Mehrheit von allen Seiten bekommen. Aber der in der Bevölkerung populäre Bundespräsident will und wird nicht antreten, ohne von allen Seiten intensiv gebeten zu werden. Vor allem die kleineren Oppositionsparteien wollen jedoch mögliche Koalitionspartner unter den Volksparteien ab 2009 durch abweichende Personalvorstellungen locken.

Wie gesagt, angesichts der Unsicherheit bis zu den Landtagswahlen am 27. Januar sind sich Merkel und Beck derzeit nur in einem einig: Wer Ende 2008 nicht zentrale Positionen für seine eigene Partei besetzt hat, dürfte im Wahljahr 2009 Probleme bekommen. Die Kanzlerin will die Union deshalb rechtzeitig in der Mitte verankern. Beck möchte die SPD wieder als "Partei der sozialen Gerechtigkeit" profilieren.

Noch allerdings spielen beide mit zu vielen Unbekannten. So wird auch die "Verteilungsdebatte" des Jahres 2007 wohl nur weitergehen, wenn der Wirtschaftsaufschwung im kommenden Jahr anhält und die Bundesagentur für Arbeit erneut sinkende Arbeitslosenzahlen verkünden kann. In Zeiten wieder wachsender Angst vor Arbeitslosigkeit könnte sich dagegen die Grundstimmung der innerdeutschen Debatte verändern. Was heute noch wie die zielgenaue Besetzung von Mehrheitspositionen wirkt, kann sich dann als politischer Bumerang erweisen.

Die Wahlen

Die Termine: In vier Landtagswahlen wird die politische Stimmung in Deutschland getestet: Hessen und Niedersachsen (beide 27. Januar), Hamburg (24. Februar) und Bayern (28. September).

Die Platzhirsche: Vor allem die Ergebnisse der CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen) und Roland Koch (Hessen) werden aufmerksam begutachtet. Beide galten früher als Konkurrenten von Kanzlerin Angela Merkel. In Hamburg verteidigt Ole von Beust seine Mehrheit. In Bayern tritt erstmals Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) an.

Die Herausforderer: Als ein Manko der SPD gelten bei den Landtagswahlen auch ihre Kandidaten. Andrea Ypsilanti (Hessen), Wolfgang Jüttner (Niedersachsen) und Michael Naumann (Hamburg) gelten allesamt als Außenseiter, die höchstens durch ein Scheitern der FDP an der Fünfprozenthürde in eine Regierungsverantwortung stolpern dürften.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%