Rohstoffbranche Angst vor den Giganten

Nur noch wenige große Spieler haben das Sagen in der Rohstoffbranche. Der Industrie gruselt es schon jetzt vor der nächsten Preisverhandlungsrunde. Doch trotz der Kundenproteste - die Konsolidierung im Rohstoffsektor geht noch weiter.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Stahlarbeiter: Der Rohfstoffhunger Chinas ist enorm. Quelle: dpa

LONDON. Die Rohstoffriesen sind am Drücker. Daran hat auch die beginnende Abkühlung der Weltkonjunktur nichts geändert. Wie sehr der Rohstoffhandel von der steigenden Nachfrage aus China getrieben wird, zeigte sich zum Jahresende auf dem Spot-Markt für Eisenerz. Die Preise schossen dort auf beispiellose 180 bis 190 Dollar die Tonne - mehr als dreimal so viel, wie Vertragskunden derzeit bezahlen. Schon jetzt gruselt es der Stahlindustrie vor der Preisverhandlungsrunde 2008 - mit einem Aufschlag von 30 Prozent wie noch vor Wochen erwartet wird es wohl nicht getan sein. Analysten halten eher 50 Prozent für realistisch.

Kein Wunder, dass die Stahlfirmen Sturm laufen gegen den Chef von BHP Billiton. Marius Kloppers, gerade an die Spitze des Weltmarktführers der Branche aufgestiegen, will den nur wenig kleineren Konkurrenten Rio Tinto schlucken. Das könnte die bisher teuerste Fusion werden - nicht nur, was die Kaufsumme anbelangt; auch die Rohstoff-Importländer könnte sie teuer zu stehen kommen. Der neue Gigant mit einem Börsenwert von rund 250 Mrd. Euro hätte bei manchen Bergbau-Produkten eine größere Marktmacht als Exxon, Shell, BP, Total und Chevron zusammen bei Öl und Gas.

Trotz der Kundenproteste - Analysten sind sich sicher, dass 2008 das Jahr der Mega-Fusionen im Rohstoffsektor wird. Wenn BHP Billiton das Angebot von gut 100 Mrd. Euro kräftig aufstockt, wird Rio Tinto einer Fusion zustimmen, lautet die Mehrheitsmeinung. Rio Tinto tut wenig, um diesen Eindruck zu zerstreuen. "Dieser Deal wird ein Katalysator für die weitere Konsolidierung in der Branche sein", sagt Alex Herbert, Analyst der Ratingagentur Standard & Poor?s, "so wie Mittals Übernahme von Arcelor 2006 einen klaren Stahl-Branchenführer schuf und andere antrieb, aggressiver zu akquirieren."

Die nächste Runde bahnt sich schon an. Der Schweizer Konzern Xstrata, der innerhalb weniger Jahre durch eine Serie von Übernahmen zur Nummer fünf der Branche geworden ist, hat sich als Fusionspartner angeboten. Als Käufer kämen zwei Konkurrenten aus der Rohstoff-Spitzengruppe in Frage: die südafrikanisch-britische Anglo American und Brasiliens Erzriese Vale. Analyst Kieran Daly von Investec Securities hält wie die Mehrheit der Experten Anglo für den wahrscheinlicheren Käufer. Der Konzern hat unter der neuen Chefin Cynthia Carroll Randaktivitäten wie Papier und Asphalt abgespalten und könnte laut Daly einen Kauf für rund 70 Mrd. Euro als Mischung aus Aktien und Barmitteln stemmen. Damit entstünde der Weltmarktführer für Kohle, der fast ein Viertel des europäischen Bedarfs liefern würde.

Doch es steht nicht zu erwarten, dass die westlichen Rohstoffkonzerne den Kampf um die Vorherrschaft unter sich ausmachen können. In Russland hat der Kreml-nahe Oligarch Oleg Deripaska die Aluminiumhersteller Rusal und Sual fusioniert und nun eine Sperrminorität an dem Bunt- und Edelmetall-Marktführer Norilsk Nickel erworben. Hier entsteht die russische Antwort auf BHP und Rio Tinto. Nicht zuletzt will auch Großkunde China nicht tatenlos zusehen, wie globale Rohstoff-Giganten entstehen, die die Preise diktieren können. Staatliche Investmentfonds und Stahlfirmen wie Baosteel drohen offen mit einem Gegenangebot für Rio Tinto.

Alles spricht also dafür, dass 2008 ein Rekordjahr für Rohstoff-Fusionen wird - womöglich sogar das Jahr einer abschließenden Konsolidierungsrunde. Die Kartellämter werden dafür sorgen, dass nach Mega-Fusionen eine Reihe von Bergwerken auf den Markt kommt - Kaufchancen für Firmen in der zweiten und dritten Reihe.

Die Chefs der großen Bergbaukonzerne sind sich heute einig, dass sie mitten in einem Superzyklus stecken. Die Industrialisierung Chinas und Indiens hat die weltweite Rohstoffnachfrage auf ein neues Niveau gehoben. Und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Die historische Erfahrung des letzten Superzyklus - bedingt durch den Wiederaufbau Europas und Japans nach dem Zweiten Weltkrieg - zeigt einer Weltbank -Studie zufolge, dass die Rohstoffintensität des Wirtschaftswachstums bis zu einem Pro-Kopf-Einkommen von 15 000 bis 20 000 Dollar steil ansteigt und dann mit dem Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsökonomie auf diesem Niveau verharrt. China liegt heute bei 7 000 Dollar. Nimmt das Milliardenvolk die gleiche Entwicklung wie Europa, wird sich etwa der Kupfer-Verbrauch noch einmal vervierfachen.

Diese Aussichten erklären, warum die Rohstoffkonzerne Milliarden aus ihren gewaltigen Cash-Flows in neue Projekte stecken. Wenn Chinas Wachstum so weitergeht und Indien folgt, wird es ihnen trotz enormer Anstrengungen schwerfallen, die Nachfrage zu befriedigen. Das spricht für steigende Preise, selbst wenn die USA in eine Rezession abgleiten. Und das erklärt den Reiz großer Übernahmen: Sie erlauben es den Konzernen, die Produktion schnell und mit überschaubaren Risiken zu steigern, ohne sich den enormen Kostensteigerungen bei neuen Projekten in Bergbauregionen wie Westaustralien auszusetzen.

Die Großen

BHP Billiton: Der britisch-australische Weltmarktführer hat das breiteste Produktangebot. 47 Mrd. Dollar Umsatz, 13 Mrd. Dollar Reingewinn.

Rio Tinto: Ebenfalls britisch- australisch und breit diversifiziert, ist mit dem Kauf von Alcan Marktführer bei Aluminium. 22 Mrd. Dollar Umsatz, sieben Mrd. Dollar Reingewinn.

Vale: Die einstige CVRD aus Brasilien ist größter Eisenerzproduzent und hat mit dem Kauf von Inco die Produktpalette ergänzt. 20 Mrd. Dollar Umsatz, sieben Mrd. Dollar Reingewinn.

Anglo American: Die südafrikanisch-britische Firma hat Randbereiche wie Papier, Stahl und Asphalt abgestoßen. 33 Mrd. Dollar Umsatz, sechs Mrd. Dollar Reingewinn.

Xstrata: Der Weltmarktführer für Kohle hat aggressiv zugekauft und sucht jetzt eine große Fusion. 27 Mrd. Dollar Umsatz, fünf Mrd. Dollar Reingewinn.

Rusal: Der russische Aluminiumriese greift nach dem Metallproduzenten Norilsk Nickel (keine Zahlen veröffentlicht).

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%