US-Immobilienmarkt Die Geier kommen

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USA: Busfahrt zur Zwangsversteigerung Quelle: AP

Der Finanzierungsnotstand hat in den USA aber längst auch Schuldner infiziert, die nicht dem Subprime-Bereich zu zuordnen sind. Selbst Leute, die schon seit vielen Jahren in einer Immobilie wohnen, deren Wert während dieser Zeit deutlich gestiegen ist, können in die Finanzklemme geraten. Wie das? Ein Beispiel aus New York: George, ein Broadway-Bühnendekorateur aus Soho, kaufte sich dort bereits Anfang der Neunzigerjahre für 80.000 Dollar ein kleines Apartment. Ein gutes Geschäft, sollte man meinen, denn der Wert der Wohnung liegt heute bei rund 400.000 Dollar. Das Dumme daran: Mittlerweile hat George mehrfach Kredite auf den gestiegenen Wert der Wohnung aufgenommen. Seine Schulden liegen nur knapp unter 400.000 Dollar. Als vor wenigen Monaten wegen eines Streiks am Broadway die Vorhänge geschlossen blieben und George kein Gehalt mehr bekam, geriet er mit den Raten seiner Hypothek in Rückstand. Jetzt will seine Bank den Kredit zumindest reduzieren – und droht ihm mit der Zwangsversteigerung.

George ist kein Einzelfall. Millionenfach lösten konsumwütige Amerikaner zum Beispiel Kreditkartenschulden regelmäßig mit den von den Banken aggressiv beworbenen Hauskrediten ab.

„Rund zehn Millionen Haushalte sind in den USA mit ihrer Hypothek bereits unter Wasser, haben also Schulden, die höher sind als der Wert des Hauses“, schätzt Jan Hatzius, Chefökonom von Goldman Sachs. Weil der Preisverfall am Häusermarkt weitergeht, wird diese Zahl nochmals steigen. Analysten erwarten einen weiteren Rückgang der Hauspreise um 10 bis 25 Prozent in diesem und im nächsten Jahr, ehe sich das Preisniveau landesweit stabilisiert.

Doch wer bezahlt die Zeche? Zwar meldete die von US-Finanzminister Hank Paulson unterstützte Hilfsaktion der Hausfinanzierer, die sogenannte „Hope Now Alliance“, kürzlich, dass sie mittlerweile für über eine Million Problemkredite eine Lösung vermitteln konnte – mit modifizierten Zahlungsplänen für Schuldner oder über veränderte Darlehen. Trotzdem steigt die Zahl der Familien, die ihr Zuhause verlieren, rapide.

Die Immobilienkrise ist zu einem der wichtigsten Themen im Wahlkampf avanciert. Nicht nur in Not geratene Hausbesitzer sind betroffen, sondern auch ihre Nachbarn: Zur Zwangsversteigerung ausgeschriebene Häuser ziehen die Immobilienpreise in ganzen Straßenzügen mit nach unten. In Washington überbieten sich Politiker mit neuen Plänen, um die Abwertungswelle zu stoppen. Regierungsinstitutionen sollen zum Beispiel Kredite garantieren, wenn Banken klammen Hausbesitzern im Gegenzug einen Teil ihrer Schulden erlassen. Gleichzeitig verabschieden US-Bundesstaaten eilig Notgesetze: Zins-Moratorien, längere Fristen bis zur Zwangsversteigerung, noch mehr Anwälte, die sich um eine Lösung bemühen sollen, bei der die Schuldner im Haus bleiben können. Schuldnerberatung hat Hochkonjunktur.

Doch all das heilt nicht die Ursachen der Krise – fallende Hauspreise und die Überschuldung der Eigentümer. Sicher ist nur, dass es für den Steuerzahler teuer wird. Allein die Programme aus Washington werden bis zu 400 Milliarden Dollar kosten.

Den angeschlagenen Banken ist natürlich jede Hilfe recht. Denn wegen eines weiteren Unterschieds zum deutschen Finanzierungs- und Rechtssystem wachsen ihre Verluste bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners besonders schnell: Während in Deutschland ein Schuldner üblicherweise mit seinem gesamten Vermögen für den Hauskredit haftet, hat die Bank in den USA nur die Immobilie als Sicherheit. Verkauft sie das Haus per Zwangsversteigerung und erzielt einen Betrag, der geringer ist als die Kreditsumme, muss sie die Differenz abschreiben. Eine deutsche Gläubigerbank kann zumindest versuchen, sich irgendwann auch noch den Rest zu holen.

Das hat aus Sicht der US-Banken fatale Konsequenzen. Denn mehr und mehr Amerikaner, die unter Wasser sind, weil die Schulden den Hauswert übersteigen, verlassen einfach ihr Heim. Aus ökonomischer Sicht eine völlig rationale Entscheidung: Warum noch Hypotheken abstottern, wenn das Haus bereits weniger wert ist? „Es ist ein neues Phänomen, deshalb haben wir darüber noch keine Zahlen“, sagt Carolyn Kemp vom Verband der amerikanischen Hypothekenbanken in Washington. Doch zweifelsfrei nimmt die Zahl der Fälle zu.

„Jingle-Mail“ heißt in der Branche der Brief, mit dem der Hausbewohner die Schlüssel an die Bank schickt. Wenn er sie denn schickt. Oft bekommt die Bank erst Wind von einem verlassenen Haus, wenn sie einen Angestellten vor Ort nach dem Rechten sehen lässt. Meist sind dann schon seit Monaten keine Zahlungen mehr eingegangen. Kontrolleure wie Rick Thomas erleben dann so manche böse Überraschung: Jeder Tag, an dem ein Objekt leer steht, birgt die Gefahr, dass es durch Vandalismus weiter an Wert verliert – auch ohne den Schaden, den womöglich der frustrierte Ex-Bewohner schon angerichtet hat.

Diebe reißen Kupferleitungen heraus und verkaufen das Metall. Aus dem Süden von Detroit gibt es Berichte von Drogenpartys in verlassenen Häusern. Im Internet kursieren Rezepte, wie man Schimmelbewuchs auslöst, weil das potenzielle Käufer abschrecken würde. Erst „wenn die Banken kapieren, dass Hunderttausende von Leuten ihre Häuser verwüsten werden“, schreibt in einem Internet-Blog wütend ein Ex-Hausbesitzer, „werden sie anfangen, mit den Leuten Bedingungen auszuhandeln, die es diesen erlauben würden, in ihren Häusern zu bleiben“.

Für die Gläubigerbank sieht es kaum besser aus, wenn es sich bei den vor der Zwangsversteigerung stehenden Immobilien um Mietwohnungen handelt. Zwar kann ein Erwerber – anders als in Deutschland – Mieter ohne große Probleme vor die Tür setzen. Doch bereits in der Zeitspanne bis zur Auktion „verschlechtern sich die Wohnbedingungen typischerweise“, sagt Jim Buckley, Direktor des University Neighbourhood Housing Program in der Bronx. Türen, die nicht mehr schließen, verstopfte Abflüsse, die nicht mehr von Unrat befreit und Fenster, die nicht mehr repariert werden, drücken den Wert der Wohnungen und nerven die Mieter. „Das hat nicht nur ernste Folgen für die Leute, die in dem Gebäude leben“, sagt Buckley, „sondern für die gesamte Nachbarschaft“. Allein in New York erduldeten im vergangenen Jahr 38.000 Menschen eine Zwangsversteigerung ihrer Mietwohnung.

Zusätzlich treiben vermehrt auftretende Baumängel die Zahl der Zwangsversteigerungen in die Höhe. Schlampige Arbeit von schlecht ausgebildeten Bauarbeitern, pfuschende Handwerker und billiges Material sind bei den oft hektisch hochgezogenen Massenbauten die Regel. Neueigentümer aber haben in ihren Kaufverträgen meistens auf das Klagerecht gegen den Bauherrn verzichtet – in Deutschland wäre eine solche Klausel undenkbar und würde von Gerichten als sittenwidrig verworfen.

Selbst wenn das Dach leckt und sich giftiger Schimmel breitmacht, bleibt den Eigentümern meist nichts anderes, als ein zeitraubendes Schlichtungsverfahren anzustrengen. Dann doch lieber nicht mehr zahlen und gleich in die Zwangsversteigerung, denken sich offenbar immer mehr. In den vor zwei Jahren noch heiß begehrten Neubaugebieten in Kalifornien, Nevada oder Florida aber bringen diese Großprojekte heute nur noch einen Bruchteil des Kaufpreises.

Jetzt wittern die Geier ihre Chance. Die Banken haben nur eine Möglichkeit, ihre Verluste zu minimieren: Sie müssen ganz schnell neue Eigentümer finden. Auch deshalb boomt das Geschäft mit Zwangsversteigerungen.

In Las Vegas und anderen Städten besorgen sich Immobilienbroker Luxus-Busse und bieten kostenlose Zwangsversteigerungstouren in die Umgebung an – Mittagessen inbegriffen. Wer sich spontan zum Kauf entscheidet, bekommt dann auch einen hochauflösenden Flachbildschirm von Sony als Belohnung oben drauf. Solche Touren sind für viele amerikanische Immobilienmakler der einzige Geschäftsbereich, in dem noch etwas geht. In Las Vegas machen Geschäfte bei Versteigerungs-Trips nach Angaben einer lokalen Maklervereinigung mittlerweile mehr als 50 Prozent aller Transaktionen aus. Die Tour-Organisatoren erhalten eine Kommission von der Gläubigerbank, die verkaufen will. Insbesondere in Gegenden mit hohen Zwangsversteigerungszahlen gehen Häuser dann zu Preisen 30 bis 50 Prozent unter dem Boom-Niveau von 2006 weg.

Um wenigstens die mutwillige Zerstörung durch wütende Zwangsversteigerungsopfer zu verhindern, bieten einige Banken überschuldeten Bewohnern mittlerweile sogar Geld an. „Cash for Keys“ – eine Prämie von ein paar Tausend Dollar für die Schlüssel und einen geordneten Rückzug – ohne demolierte Wände und zertrümmerte Toiletten.

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