Zusatzbeiträge Sterbehilfe für Krankenkassen

Die Krankenkassen suchen nach Wegen aus der Finanzierungsmisere. Die Pleite der City BKK dürfte kein Einzelfall bleiben – und das ist politisch gewollt. Die Zusatzbeiträge spielen dabei eine wichtige Rolle.

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Patient im Krankenhaus: Plötzlich ohne Krankenkasse? Quelle: handelsblatt.com

Wer plötzlich krank wird und ärztliche Behandlung benötigt, weiß zu schätzen, dass die Krankenversicherung die Rechnung zahlt. Keine Krankenkasse zu haben, ist daher ein unbehagliches Gefühl. Das wurde unter anderem vorige Woche in Berlin Weißensee überdeutlich. Vor der dortigen AOK-Niederlassungen standen mehr als hundert Senioren Schlange, weil ihre Krankenkasse, die City BKK in Düsseldorf, pleite ist und schließen muss. Die älteren Herrschaften wollten zur AOK wechseln. Sie befürchteten, sonst irgendwann ohne Versicherungsschutz da zu stehen. Und offenbar versuchen einzelne Krankenkassen, die alten City-BKK-Mitglieder abzuwimmeln.

Dabei darf laut Gesetz keine Krankenkasse Versicherungswillige zurückweisen, für den die Versicherungspflicht besteht. Die Krankenkassen müssen aufnehmen, wer an ihre Tür klopft. Das liegt an der gesetzlichen Versicherungspflicht und am Solidaritätsprinzip zu tun: Alle abhängig Beschäftigten mit einem Jahreseinkommen von weniger als 49.500 Euro müssen in den Topf einzahlen, aus dem die Versicherungen dann das Geld für die Behandlung Kranker entnehmen.

Die Pleite der City BKK war daher ein Scheitern mit Ansage: Die Versicherung musste aufgrund ihrer angespannten Finanzen als eine von zehn deutschen Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben: 15 Euro pro Monat seit dem 1. Januar 2011. Einen so hohen Zusatzbeitrag nimmt sonst nur noch die BKK Krupp Hoesch. Durch den gesetzlich vorgeschriebenen, einheitlichen Versicherungsbeitrag der gesetzlichen Krankenversicherungen (15.5 Prozent vom Bruttogehalt) gehörte die City BKK mit ihrem hohen Zusatzbeitrag somit auf einen Schlag zu den zwei teuersten Kassen im Land.

Die City BKK geriet in den unvermeidlichen Abwärtstaumel: Die Versicherten flohen in eine günstigere Kasse ohne Zusatzbeitrag oder in die Arme der privaten Krankenversicherer, die Einnahmen der Betriebskrankenkasse sanken. Die verbliebenen Beitragszahler waren vor allem die älteren Versicherten. Aus Sicht einer Krankenversicherer sind das Leute mit „schlechten Risiken“, die oft zum Arzt oder ins Krankenhaus müssen und somit hohe Kosten verursachen.

90 Prozent der 70 Millionen Versicherten in Deutschland sind in der Obhut einer gesetzlichen Krankenkasse – wie etwa der AOK oder einer Ersatz- oder Betriebskrankenkasse. Nur zehn Prozent sind privat versichert. Nur Selbstständige, Freiberufler, Beamte und besser Verdienende, die von der Versicherungspflicht befreit sind, können in die private Krankenversicherung wechseln. In der Regel erhalten privat Versicherte eine bessere Behandlung und mehr Leistungen, zahlen aber dennoch meist weniger, als in der gesetzlichen Krankenkasse.

Dafür muss eine private Krankenversicherung aber auch nicht jeden aufnehmen. Bei einer privaten Versicherung müssen sich Neukunden regelrecht bewerben, viele Fragen zu ihrer Krankenakte beantworten, Gesundheitsrisiken angeben, Vorerkrankungen und chronische Leiden offenbaren. Mit diesen Angaben kalkuliert die Versicherung dann den monatlichen Beitrag, den das neue Versicherungsmitglied zahlen muss. Die Privatversicherung kann Antragsteller auch ganz ablehnen oder bei Vorerkrankungen diese im Versicherungsvertrag aussparen.

Kurz: Die privaten Krankenversicherungen können ihre Ausgabenbelastung steuern und den Preis für die Versicherung – also ihre Einnahmenseite – selbst festlegen. Deshalb ist die private Krankenversicherung in der Regel billiger für den Versicherten. Gesetzliche Kassen können das nicht. Sie dürfen bei den Antragstellern die Krankengeschichte nicht erfragen, geschweige denn, eine Gesundheitsprüfung verlangen. Auch auf die Beitragshöhe keinen Einfluss: Die Regierung legt fest, welchen Anteil ihres Einkommens die Arbeitnehmer jeden Monat an ihre Krankenkasse zahlen.

Sargnagel Zusatzbeitrag

Genau diese beiden unterschiedlichen und im Kern unvereinbaren Systeme beschäftigen Gesundheitspolitiker seit vielen Jahren. Als Gesundheitsminister hat die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt versucht, die beiden Systeme näher zusammenzubringen – und den einheitlichen Beitragssatz sowie die Zusatzbeiträge für die GKV und den Gesundheitsfonds eingeführt. Der jetzige Wirtschaftsminister Philipp Rösler hat als Gesundheitsminister im vorigen Jahr die Jahresarbeitsentgeltgrenze auf 49.500 Euro gesenkt und die dreijährige Frist gesetzlich Versicherter für den Wechsel in die private Krankenversicherung wieder abgeschafft. die Damit die Kassen keinen Nachteil dadurch haben, dass sie mehr kostenintensive Mitglieder ahben als andere Kassen. Patienten besonders hohen Kosten verursachen, fließen die Milliardenbeiträge zunächst in den Gesundheitsfonds und werden von dort nach Bedarf an einzelne Kassen verteilt. Die privaten Versicherungen müssen im Gegenzug auch einen Basistarif anbieten, zu dem sie jeden Antragssteller ohne weitere Gesundheitsprüfung versichern müssen.

Mit diesem Jahr ist auch die alte Deckelung der Zusatzbeiträge gefallen. Nun kann jeder Versicherte am Zusatzbeitrag oder der Rückerstattung von Beiträgen – die nun ebenfalls möglich ist – sofort erkennen, ob er bei einer günstigen oder einer teuren Krankenkasse ist. Wer sparen will, wechselt einfach die Kasse.

Nun ist erstmals eine gesetzlichen Krankenkasse (GKV) in die Insolvenz geschlittert – und es werden weitere folgen. Denn die Zahl der Krankenkassen ist der Regierung zu hoch, der Verwaltungsaufwand zu groß und zu teuer. 2007 waren es noch 218 Kassen, inzwischen sind es noch 160. Aber Politiker finden 30 bis 50 auf lange Sicht ausreichend. Die Hoffnung: Effizientere Strukturen, weniger Bürokratie und damit eine langfristig finanzierbare Gesundheitsversorgung der Bürger.

Es ist mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem - und der ist mitunter schmerzhaft. Bislang sank die Zahl durch Fusionen und Übernahmen der Kassen untereinander. Ab sofort auch durch Insolvenzen.

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