Audi RS6 Avant performance im Handelsblatt-Test Ein Macho schafft den Spagat

Ein Auto, das niemand braucht. Und das doch alle gerne mal fahren würden. Aus diesem unwiderstehlichen Rezept baut Audi einen Kombi für besonders Eilige. Mit 605 PS und 305 km/h Spitze. Warum das im Alltag so toll ist.

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Der potente Lademeister bringt den Metzger schneller ans Ziel. Und bei Bedarf auch ein paar Schweinehälften. Quelle: Frank G. Heide

Düsseldorf „Ein Kombi mit 605 PS, wer braucht denn sowas?“, fragt ein gespielt empörter Arbeitskollege, als er den Audi RS6 Avant sieht, der tief, breit und verspoilert viele Blicke auf sich zieht. Ich antworte mit einer Gegenfrage: „Wer würde denn sowas nicht haben wollen?“ Wir müssen beide grinsen. Und dieses Gefühl, das bleibt. Während der kommenden beiden Wochen mit dem V8-Power-Kombi aus Ingolstadt vergeht uns nur das Lachen, wenn wir mal wieder an einer Tankstelle zwangspausieren.

Nominell und optisch hat dieser teuerste und potenteste Lademeister, den man bei Audi kaufen kann, einiges von einem echten Straßensportler: Die Performance-Variante schöpft im Vergleich zum „normalen“ RS6 605 statt 560 Pferdestärken aus einem vier Liter großen V8-Frontmotor, dem zwei Turbolader zu mehr als ordentlichem Druck verhelfen. Maximal 750 Newtonmeter Drehmoment werden per Overboost an die Kurbelwelle gewuchtet. Das reicht aus, um alle Passagiere tief in die perfekt geformten Leder-Alcantara-Sitze zu pressen, wo sie dann sekundenlang das Atmen vergessen. Die Nadeln von Drehzahlmesser und Tacho fliegen über die Skalen, Tempo 100 rauscht in weniger als vier Sekunden vorbei und erst bei 305 km/h ist Schluss. Wenn man sich überhaupt traut, den Gasfuß so lange stehen zu lassen.

Doch das Vordergründige, Leistung und Tempo maximal auszukosten, das macht nicht die eigentliche Faszination dieses Kombis aus, für dessen Preis man auch ein kleines Reihenhaus in der Provinz bekommt. Natürlich lässt man hin und wieder mal die Kuh fliegen, hat den einen Fuß auf dem Gas und den anderen schon halb im Gefängnis. Doch am Ende zählt beim Kombi immer auch der Alltagsnutzen, bei dem man nicht den Führerschein riskiert. Und genau da beherrscht dieser abgründig brabbelnde, düster grollende Macho-Power-Kombi den perfekten Spagat. Er rollt auf Wunsch im Komfortmodus, permanent luftgefedert, nicht spürbar schaltend, so sanft und souverän durch alle ordinären Fahrsituationen, dass man auch nach 400 Kilometer Berufsverkehr noch keinen Grund sieht, überhaupt auszusteigen. Wenn man nicht den Tank wieder auffüllen müsste.

In der Stadt, wo kein Platz zum Gas geben ist, und unter den anderen Pendler-Lemmingen auf der A44, wo teils Tempolimit gilt, da ergibt dieses Auto erstaunlich viel Sinn. Erstens wird man aufgrund des auf Wunsch brachial aufbellenden Klappenauspuffsounds früher wahrgenommen, ein prima Sicherheitsmerkmal.

Zweitens signalisieren Front und Heck anderen Verkehrsteilnehmern „Hoppla, hier rollt was Überlegenes an!“. Da machen viele freiwillig Platz und wollen mal näher hinschauen. Drittens bleibt der RS6-Fahrer stets tiefenentspannt, denn von hinten kann sowieso kaum was Schnelleres kommen, und bis dahin cruist man als König der linken Spur knapp über Standgasniveau. Das gute Gefühl schier unerschöpflicher Leistungsreserve, dieses „Man könnte, wenn man wollte“, weil der RS6 praktisch verzögerungsfrei zur vorspringenden Bestie wird, das hat was ungemein Beruhigendes.

Während man so entspannt gleitet, genießt man den Langstreckenkomfort des maßgeschneidert wirkenden Sportgestühls, das für Racing und Reise gleichermaßen taugt, weil es an den richtigen Stellen fest umarmt, aber niemals einengt. Und man möchte trotz relaxter Haltung keinen einzigen Finger vom Lenkrad nehmen, das sich so wunderbar lederperforiert anfühlt und doch so präzise arbeitet wie Chirurgenstahl.

Kein Wunder, dass einem unterwegs schon mal der Sinn für die Geschwindigkeit ein bisschen abhanden kommt. Ach, doch schon wieder 240 auf dem Tacho? Es hatte sich angefühlt wie 160. Schluss ist für meinen persönlichen Geschmack oft so bei 280, denn dann wird auch im toll ausbalancierten Audi klar, dass die Autobahn Kurven hat und keine Auslaufzonen.


Gut gerollt mit halbiertem V8

Wer viele Reisekilometer sammelt im RS6, der wird zwangsläufig der Achtgang-Tiptronic perfekte Arbeit bescheinigen, ihrer Abstimmung dürfte allenfalls noch ein Porsche PDK mit Sport-Chrono überlegen sein, so sklavisch nimmt sie die Wünsche des Piloten entgegen.

Um überhaupt zu spüren, dass das nicht geringe Gewicht von mindestens 2025 Kilogramm die Karosse nach außen drückt, ist allerdings eine führerscheingefährdend dynamische Fahrweise Bedingung, oder eine Serpentinenstrecke. Längsdynamik ist bei zwei Meter einundneunzig Radstand halt angesagter als Querdynamik. Ansonsten hat der Audi höchstens noch mit Sozialneid und Verkehrserziehern zu kämpfen, beidem kann man hierzulande gerade mit 605 PS nur schwer entkommen.

Gibt es denn gar nichts auszusetzen? Doch, natürlich, es sind allerdings pistaziengroße Details. So greift man ausgerechnet beim so genannten Haptik-Weltmeister Audi in die Tasten, die von edlem Leder und feinen Carbon- oder Leichtmetall-Applikationen umrahmt werden und spürt: Kunststoff! Zumindest bei den Schaltpaddles und den Dreh-Drück-Reglern im Lenkrad dürfte es dann doch bitte Metall sein, das können andere in dieser Preisklasse ja auch. Außerdem wäre Alcantara an den A-, B- und C-Säulen sowie dem Dachhimmel schöner, und der geprägte Kunststoff auf dem Armaturenbrett gehört durch Leder ersetzt.

Sonst noch was? Natürlich vermisst man im mittlerweile etwas in die Jahre gekommenen RS6 das virtuelle Cockpit, dass alle anderen Audi-Modelle bereits als nettes und modernes Extra spazieren fahren. Unser Testwagen hat den Vorläufer des volldigitalen Displays an Bord, der kann zwar auch schon viel, wirkt aber im direkten Vergleich einfach nicht mehr frisch.

Und das Totschlagargument Verbrauch, ja, das spricht ja immer gegen den V8, oder? Nur fast: Der RS6 hat eine variable Zylinderabschaltung und ließ sich im Alltag mit durchschnittlich 11 Liter bewegen, ohne dass die Spaßbremse angezogen wäre. Man muss aber auch mit 18 Liter rechnen, wenn man die Kuh fliegen lässt. Den um vier Zylinder halbierten V8 lernt man im Komfort- und Eco-Modus auf der Autobahn kennen, aber nur, wenn man genau auf die Hinweise des Bordcomputers im Cockpit schaut. Sonst ist von der automatischen Abschaltung extrem wenig zu spüren. Erstaunlich lange und leicht lässt sich etwa Richtgeschwindigkeit mit dem RS6 als Vierzylinder halten. Und wie schnell er dann für einen spontanen Überholvorgang die volle Leistung liefert, das ist immer wieder atemberaubend.

Den perfekten Spagat zwischen Supersport und Geschäftsalltag bekommt der RS6 auch hin, weil man sich seiner auf dem Firmenparkplatz nicht schämen muss. Durch seinen dezenten Breitbau wirkt er optisch ein wenig kürzer, bulliger als der normale A6 Avant. Enorme Sportreifen füllen die Radkästen bis zum Rand, und es gibt ein bisschen Carbon. Aber das alles passt gut zur Mugello Blau Metallic-Sonderlackierung, die der Performance-Variante vorbehalten bleibt. Bei den Auspuffrohren, Diffusoren und Spoilern hat sich Audi zurückgehalten, prollige Anbauten sucht man vergebens.


Fazit und technische Daten

Was sagt man also kritischen Kollegen, die 605 PS übertrieben finden? Dass man mehr bekommt als nur einen Kombi. Dieser Macho schafft einen Spagat und bewältigt den Alltag stets souverän, den Weg zur Rennstrecke extrem komfortabel, und die adrenalingesättigte Runde auf dem Track ohne Gesichtsverlust, wie der fest eingebaute Laptimer zuverlässig dokumentiert.

Oder man lässt den Kritiker einfach mal selbst ans Steuer, er bekommt eine Aufgabe: Den Gasfuß mal im Dynamic-Modus durchtreten, zumindest die ersten fünf von acht Gängen auf freier Autobahn mal voll ausfahren. Dass Ende vom Lied: Im vierten Gang bei 4000 Touren ist Schluss, der Co-Tester sensorisch überfordert, will nur noch ausrollen lassen. Später sagt er: „Ist schon gut, dass der so teuer ist. Das ist eine Waffe!“

Wer rund 154.000 Euro für diesen Wagen als teuer empfindet, der darf sich auch sagen lassen, dass man die Runden auf der Nordschleife oder in Hockenheim sozialverträglich mit vier Personen an Bord absolvieren kann. Dem randvoll mit Leistung und Fahrspaß gefüllten RS6 ist die Anzahl der Passagiere völlig wurscht. Und anders als etwa im Porsche Panamera Turbo S können alle noch Gepäck mitnehmen.

Wahrscheinlich könnte man sogar mit einem Anhänger hinten dran .... aber das wäre eine völlig andere atemberaubende Geschichte.

Technische Daten

Audi RS6 Avant performance

Technische Daten

MotorAchtzylinder-Benziner, Turbo
Hubraum3.993 cm³
Leistung445 kW / 605 PS bei 6.100 - 6.800 u/min
Max. Drehmoment750 Nm bei 1.750 bis 6.000 u/min
AntriebPermanenter Allradantrieb
Getriebe8-stufige Tiptronic
Preisab 118.980 Euro

Fahrleistungen

Höchstgeschwindigkeit305 km/h
Beschleunigung 0 - 100 km/h3,9 Sek.

Verbrauch & Emissionen

SuperPlus ROZ 98
Innerorts13,4 l/100 km
Außerorts7,4 l/100km
Kombiniert9,6 l/100km
SCO2-Emissionen223 g/km
Schadstoff- / EffizienzklasseEU6 / E
Jahressteuer336 Euro

Maße und Gewichte

Länge4.979 mm
Breite1.936 - 2.086 mm
Höhe1.461 mm
Radstand2.910 mm
Spurbreite1.662 / 1.663 mm
Wendekreis11,9 m
Leergewicht2.025 kg
Zul. Ges.gewicht2.580 kg
Dachlast70 - 100 kg
Anhängelast750 - 2.100 kg
Stauvolumen565 - 1.700 l
Laderaumlänge1.181 - 1.966 mm
Laderaumbreite1.050 - 1.491 mm
Tank75 l
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