Börse Wie Computerhandel einen Börsencrash auslöste

Aus dem Nichts brechen die Aktienkurse am 6. Mai 2010 in den USA ein. 18 von 30 Aktien aus dem US-Leitindex Dow Jones verlieren innerhalb weniger Minuten mehr als fünf Prozent, der Index fällt kurzzeitig um neun Prozent. Investoren auf der ganzen Welt suchen nach dem Auslöser. Lange vergeblich. Doch mittlerweile haben Datendienstleister und die US-Börsenaufsicht SEC Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgelegt. Ihr Fazit: Computer, die automatisch Wertpapiere handeln, hatten den Crash ausgelöst Wiwo.de zeigt, wie es zu der Kettenreaktion kam.
Quelle: Nanex, SEC, Credit Suisse, eigene Recherche
Texte: Niklas Hoyer, Andreas Toller
Foto: AP

Grafik: Kauforder für die General-Electric Aktie am 6. Mai 2010 in New York und an der Computerbörse Nasdaq (in Dollar)
Von 14:42:46 Uhr an zeigen die Kurssysteme der New Yorker Börse Daten nur noch zeitverzögert an, etwa für die General-Electric-Aktie. Den Datenstau haben Computerhändler mit ungewöhnlich vielen stornierten Order verursacht. Laut Nanex stauen sich die Daten an der New Yorker Börse schon, wenn mehr als 20.000 Kurse pro Sekunde festgesetzt werden. Die veralteten Kursdaten sind jedoch mit der aktuellen Zeit versehen, so dass andere automatische Handelsprogramme sie für aktuell halten. Verglichen mit aktuellen Kauforder an anderen Börsen, etwa der Computerbörse Nasdaq, sind die Kaufaufträge an der New Yorker Börse am 6. Mai viel zu hoch.

Grafik: Maximaler Tagesverlust ausgewählter Aktien am 6. Mai 2010 (in Prozent)
Computerprogramme identifizieren eine Gewinnchance. Sie schicken massenweise Verkaufsaufträge an die New Yorker Börse, wo Käufer scheinbar überteuerte Preise zahlen. Ausgeführt werden die Order jedoch zu den Preisen der tatsächlich vorliegenden, deutlich niedrigeren Kaufaufträge. Viele Verkaufsorder können mangels Käufern an der Wall Street gar nicht ausgeführt werden. Sie werden an andere Handelsplätze weitergeleitet. Eine Abwärtsspirale setzt ein. Bei einzelnen Aktien, wie bei der Unternehmensberatung Accenture, kommen mangels Käufern selbst niedrigste Kaufaufträge zu 0,01 Dollar zum Zuge. Diese Aktien sind kurzzeitig fast wertlos.

Beispiel Accenture: Die Aktie des Unternehmensberaters begann den Tag bei etwa 40 Dollar. Die Grafik der SEC-Ermittler verdeutlicht das Verhältnis von Kauf- zu Verkaufsaufträgen. Die grünen Balken oberhalb der Nulllinie stehen für Kauforder, die blauen Balken für Verkauforder. Die rote Linie steht für die Differenz aus ausgeführten Kauf- und Verkaufsaufträgen. Die dünne gestrichelte Linie markiert den Kurs der Accenture-Aktie. Nach wachsendem Verkaufdruck bricht die Liquidität am Markt komplett ein. Accenture-Aktien sind im freien Fall, der Kurs sackt bis auf 0,01 Dollar, weil es keine Käufer gibt. Kurzeitig stehen weder Aktien auf der Kauf- noch auf der Verkaufsseite. Dann kehrt die Liquidität an den Markt zurück, der Kurs erholt sich. Quelle: SEC

Fast 1000 Punkte im Minus: Solch erdrutschartige Verluste musste der Börsenbarometer lange nicht erleiden - jedenfalls nicht in so kurzer Zeit. Zeitweise lag der Leitindex der größten Industriewerte Dow Jones Industrial (Kursverlauf am 6. Mai 2011 im Bild) neun Prozent im Minus. 862 Milliarden Dollar Börsenwert haben sich da in Nichts aufgelöst. Die Börsenaufsicht ist alamiert, sie setzt den Handel von fünf Aktien zeitweise aus. Nach einer Viertelstunde war der Spuk vorbei.
Bild: Bild: Bloomberg
Grafik: Welche Wertpapiertypen am stärksten vom Flash Crash betroffen waren (in Prozent)
Käufe und Verkäufe zu Preisen, die mehr als 60 Prozent unter dem eigentlichen Marktpreis liegen, werden später annulliert. Neben Aktien sind vor allem börsengehandelte Indexfonds (ETFs) betroffen. Da sie den Wert eines Aktienkorbs abbilden, hinkt ihr Preis den Kursen der einzelnen Aktien leicht nach. Das macht es Computern in Ausnahmesituationen wie am 6. Mai besonders einfach, auf weitere Kursverluste zu spekulieren.
Auch in Deutschland sind Computerhändler aktiv. In Frankfurt entfallen schon 40 Prozent des Handelsvolumens auf den ultraschnellen Computerhandel. Dennoch ist die Deutsche Börse zuversichtlich, dass ein solcher Flash Crash nicht in Deutschland einschlagen könnte. Automatische Notbremsen sollen dafür sorgen, dass es zu keinen völlig übertriebenen Kursausschlägen kommt. Das Xetra-Handelssystem setzt zum Beispiel bereits seit Jahren automatisch für wenigstens zwei Minuten aus, sobald ein Aktienkurs einen zuvor individuell festgelegten Preiskorridor verlässt. Seit dem 10. Juni gibt es auch in den USA ähnliche Notbremsen für einzelne Aktien.
Foto: rtr
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