Blick hinter die Zahlen #18 – Haupteinkommensquellen Arbeit, Partner, Staat: Wovon die Deutschen leben

Bis zum Frühjahr erlebte Deutschland einen Jobboom sondergleichen. Dennoch lebte weniger als die Hälfte der Menschen hauptsächlich von ihrer eigenen Arbeit. Wie das sein kann – und wo das Geld stattdessen herstammte.

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Bis zum jähen Einbruch wegen der Coronapandemie erlebte Deutschlands Arbeitsmarkt einen Boom sondergleichen. Fachkräftemangel hatte Arbeitslosigkeit als Hauptproblem abgelöst und die Löhne stiegen zumindest in tarifgebundenen Bereichen deutlich.

Umso mehr überraschen Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Haupteinkommensquellen der Deutschen. Sie stammen aus dem Mikrozensus 2018, also aus dem Höhepunkt des Booms. Damals gab es gerade einmal 5,2 Prozent Arbeitslose. Dennoch lebte weniger als jeder Zweite hauptsächlich von seiner eigenen Arbeit. Wie passt das zusammen?

Hier greifen gleich mehrere Tücken der Statistik. Zum einen unterscheiden sich die Grundgesamtheiten, auf die sich die beiden Prozentwerte beziehen. Die Arbeitslosenstatistik führt nur Erwachsene, die sich aktiv um eine Arbeit von mehr als 15 Stunden pro Woche bemühen. Sowohl Schüler und Studenten als auch Senioren über 58 Jahre, die schon länger nicht mehr gearbeitet haben, fallen aus dem Raster. Ebenso geringfügig oder gar nicht Beschäftigte, die nicht mehr arbeiten wollen, etwa, um Zeit für die Kindererziehung zu haben.

Überwiegender Lebensunterhalt der Bevölkerung

Beim Mikrozensus hingegen wird ein Prozent aller deutschen Haushalte befragt, zufällig ausgewählt und über alle Gruppen hinweg. Die Ergebnisse werden dann auf die in Deutschland lebende Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Der Mikrozensus zeigt also ein deutlich breiteres Bild Deutschlands – und liefert gleichzeitig einen Hinweis darauf, was sich in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert hat.

So zeigt sich durchaus, dass die Erwerbstätigkeit in den vergangenen Jahren angezogen hat: Lebten im Jahr 2000 im bundesweiten Schnitt nur 41 Prozent hauptsächlich von ihrer eigenen Arbeit, so waren es 2018 immerhin 47 Prozent. Regional betrachtet ist Erwerbstätigkeit in Hamburg am bedeutendsten (50 Prozent), gefolgt von Bayern (49 Prozent) sowie Baden-Württemberg, Berlin und Brandenburg (jeweils 48 Prozent).

Weitestgehend gleich geblieben ist die Bedeutung von stattlichen Leistungen, also etwa Sozialhilfe beziehungsweise Hartz IV, Elterngeld oder Grundsicherung. Vor 20 Jahren lebten sechs Prozent der Menschen hauptsächlich von Sozialtransfers, zuletzt waren es sieben Prozent.

Während der Anteil der Empfänger in den alten Bundesländern leicht zugenommen hat, hat er in den neuen Bundesländern deutlich abgenommen, nämlich von zwölf Prozent auf acht Prozent.

Obwohl immer wieder von der Überalterung des Ostens die Rede ist, zeigt sich diese kaum in der Statistik: Lebten im Jahr 2000 etwa 26 Prozent der Bürger der neuen Bundesländer von Rente oder Pension, so waren es im Jahr 2018 etwa 27 Prozent.

Was sich hingegen deutlich verschoben hat ist der Anteil derer, die vor allem dank ihrer Verwandten über die Runden kommen, seien es Eltern, Partner oder, deutlich seltener, die eigenen Kinder. Während vor 20 Jahren noch 30 Prozent von den Einkünften Angehöriger lebten, so waren es 2018 nur noch 24 Prozent.

Die Daten des Statistischen Bundesamtes geben leider keinerlei Aufschluss über die Gründe, doch es liegt nahe, dass es vor allem die gesteigerte Erwerbstätigkeit von Frauen ist. Selbst bei Teilzeitjobs – denn jede zweite Frau arbeitete 2018 in Teilzeit – gibt es immer mehr Frauen, die selbst mehr verdienen, als sie von ihrem Partner bekommen.

Diese „Frauen-These“ wird auch gestützt durch die Daten auf Länderebene: Während in den alten Bundesländern 26 Prozent der Menschen finanziell von Angehörigen abhängen, sind es in den neuen Bundesländern nur 18 Prozent. Am deutlichsten ist der Unterschied zwischen den traditionell konservativen Flächenstaaten im Süden und den neuen Bundesländern. So gibt es im Osten kaum ein Bundesland mit mehr als 18 Prozent an „Abhängigen“. In Bayern hingegen finanzieren sich 26 Prozent über die Familie, in Baden-Württemberg gar 27 Prozent.


Auf den ersten Blick weitestgehend unverändert stellt sich die Situation der Privatiers dar, also derer, die vor allem von Kapitaleinnahmen leben können. Sie wird für Deutschland als Ganzes sowie für die alten Bundesländer mit einem Prozent ausgewiesen, während bei allen neuen Bundesländern eine null steht.

Doch die Zahlen führen hier in die Irre: Tatsächlich hat sich die Zahl der Privatiers im Untersuchungszeitraum nahezu verdoppelt, wie wir in einer anderen Folge von „Blick hinter die Zahlen“ herausgearbeitet haben. Dennoch bleiben sie insgesamt so niedrig, dass sie im Vergleich zu den anderen Einkommensarten nur unpräzise angezeigt werden.

Der Jobboom spiegelt sich bei näherem Hinsehen also sehr wohl auch in der Einkommensstatistik wider.

Dennoch zeigt die Statistik auch eine andere, weniger optimistisch stimmende Wahrheit: Obwohl immer mehr Menschen hauptsächlich von ihrer eigenen Arbeit leben, liegt ihre Zahl insgesamt dennoch weiterhin unter 50 Prozent. Das deutet darauf hin, dass viele der im Rahmen des Jobbooms neu Angestellten nur geringer bezahlte Teilzeitjobs oder Jobs im Niedriglohnsektor aufgenommen haben. Diese Menschen kommen zwar in der Arbeitslosenstatistik nicht mehr vor – ihr Haupteinkommen beziehen sie aber weiterhin nicht über ihre Arbeit, sondern primär vom Partner oder Staat.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

Logo des Statistischen Bundesamtes (Destatis)

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