Buchrezension „Führen neu denken“ Anleitung zum Scheitern für machtbewusste Manager

„Führen ist eine Haltung“ sagt Management-Coach Bernd A. Wilken. Was Führungskräfte aus Aphorismen vergangener Jahrhunderte lernen können, zeigt der Autor, selbst ein erfahrener Manager, in seinem kleinen Buch.

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Manager können es eigentlich niemandem recht machen. Es ist eine gefährliche Gratwanderung, bei der es einiges zu beachten gilt. Quelle: Getty Images

Düsseldorf Dieses Buch ist definitiv ganz anders als die herkömmliche Management-Literatur zum Thema Führung. Geübte Ratgeber-Leser spüren den Unterschied schon beim ersten Körperkontakt. Der Einband: weich und seidig. Die 171-Seiten Papier: angenehm zart. Das Layout: unaufdringlich, zurückhaltend, ergänzt durch feine Aquarelle und wer auf dem Buchrücken das Foto des Autors Bernd A. Wilken, Jahrgang 1943, betrachtet (er posiert am hölzernen Schreibtisch im marineblauen Nadelstreifenanzug mit Einstecktuch vor einer Regalwand mit Lexika und Enzyklopädien), der kann schon erahnen, wohin die Reise geht. Nämlich in die Vergangenheit.

Sein Anliegen: Die Kunst des Führens mit bekannten und weniger bekannten Aphorismen aus vergangenen Jahrhunderten zu beleuchten und Antworten auf aktuelle Fragen zu finden. Wie sollen wir umgehen mit Unsicherheit, Zufällen, Selbstzweifeln und Erfolgen? Was lehren sie uns über Niederlagen, Siege, Volatilität, Ängste und Bauchgefühl? Wofür brauchen wir Werte?

Von Seneca und Kant über Nietzsche und Goethe bis hin zu Warren Buffett: In 45 Essays, ebenso kurz wie kurzweilig geschrieben, dass man seine Nase auch mal zwischen zwei Meetings reinstecken kann, denkt Wilken die Aphorismen weiter und verknüpft sie mit dem Managerleben. Das macht sie zweifellos zu einem Gewinn für jede Senior-Führungskraft, der Prinzipien und Werte wichtiger sind als kurzfristige Profite und man verzeiht ihm den narzisstischen Ausrutscher, dass er ein Zitat von sich selbst in die Auswahl genommen hat.

Kurz: Moral hat bei Bernd A. Wilken, der selbst in einem Dax-Konzern aus der Finanzbranche lange Jahre Höhenluft geschnuppert hat, Konjunktur und was er in dem schmalen Buch so zusammen getragen hat und schreibt, ist aktueller denn je. Nur um ein paar Beispiele zu nennen: „Wenn wir die Menschen behandeln, wie sie sind, machen wir sie schlechter; wenn wir sie aber behandeln, wie sie sein könnten, machen wir sie etwas besser.“ (Goethe), „An der Front essen die Offiziere als letzte“ (Robert Townsend), „Sie brauchen drei Managementqualitäten: Integrität, Intelligenz, Energie. Wenn Sie die erste nicht haben, werden die beiden anderen Sie umbringen“ (Warren Buffett): Viel Ärger und etliche Fehlentscheidungen wären vermeidbar, würden solche Aspekte im Unternehmensalltag tatsächlich stärker berücksichtigt werden. Besonders erhellend ist seine kleine „Anleitung zum Scheitern für machtbewusste Manager“, die wir für Sie auf der letzten Seite gesondert aufgeführt haben.


„Ein enthält mehr Philosophie als Sachbücher“

Allerdings gelingt es Wilken aus mehreren Gründen nicht, sein Titel-Versprechen „Führen neu denken“ einzulösen. Einmal, weil er an einer ganzen Manager-Generation vorbei schreibt, die jetzt nach den Baby-Boomern vom Campus in den Chefsessel gelangt und an die Macht drängt. Junge Führungskräfte, die den Internetboom, die Globalisierung und die Digitalisierung des Alltags in vollen Zügen miterleben und in ihr Leben integriert haben, wird Wilken mit seinem Buch kaum begeistern und fesseln können. Dazu wirkt es einfach – und man muss sagen leider – zu altbacken und zu antiquiert.

Auch formuliert der Autor streckenweise recht sperrig und als Leser stellt man hin und wieder nach einigen Seiten Lektüre fest, dass eigentlich gerade nichts hängen geblieben ist. Schade um die vielen sehr guten Zitate, die hier wirkungslos verpuffen.

Und bei aller Liebe für adrett beschriebene und interpretierte Sprüche aus vergangenen Jahrhunderten: es fehlen Praxistipps für den modernen Führungsalltag, der heute vor ganz anderen Herausforderungen steht als noch in der Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit.

Dennoch ist „Führen neu denken„ von Bernd A. Wilken nicht nutzlos und durchaus eine Empfehlung wert. Vielleicht ist es nicht zu 100 Prozent relevant im Chef-Regal, aber es macht sich definitiv gut zum 50-jährigen Dienstjubiläum oder als Abschiedsgeschenk zum Ruhestand.

Eine gute Wahl ist es außerdem für abendliche Mußestunden bei einem Gläschen Rotwein vor dem Kamin. Und falls doch nicht, dann Sie sich bitte an die Aussage des französischen Wissenschaftlers Louis Pasteur, der einmal gesagt hat: „Eine Flasche Wein enthält mehr Philosophie als alle Sachbücher.“

Bibliografie

Bernd A. Wilken
„Führen neu denken. Management in Aphorismen“
Verlag R.G. Fischer
ISBN:9783830117445


Anleitung zum Scheitern für Manager

Führungskräfte, so schreibt der Autor, müssen checks and balances akzeptieren, feedback junkies sein, für Transparenz ihrer Entscheidungen (und der der höheren Hierarchien) sorgen und sich Selbstbeschränkungen auferlegen. Andernfalls, so Wilken, droht die Höchststrafe: „Sie enzwickeln sich nicht mehr weiter, weil sie nicht mehr gehalten sind dazuzulernen, und scheitern so an vermeidbaren Fehlern!“ An der Stelle folgt die Anleitung zum Scheitern für machtbewusste Manager; die wir Ihnen natürlich nicht vorenthalten möchten:

  • Macht macht Meinung (nach Blaise Pascal). Streuen Sie im Betrieb, was Sie hören wollen.
  • Amtsautorität erspart lange Diskussionen. Besser zur Befehlsausgabe antreten lassen als einen Gedankenaustausch pflegen.
  • Sprechen Sie nur mit Ihresgleichen und Ihren direct reports. Wenn Leute darunter Ihnen etwas beibringen könnten, säßen die ja auf Ihrem Stuhl.
  • Ziehen Sie alle Entscheidungen mit positiver Außenwirkung an sich; Sie sind schließlich der Chef.
  • Wählen Sie Zufallsopfer, um Ihre Macht zu demonstrieren. Je unklarer Ihre Motive, desto größer die Furcht in Ihrer Umgebung und Ihre Macht.
  • Das „größte Glück der größten Zahl“ kann nicht das Motto Ihrer Mitarbeiterführung sein. Schwören Sie die Mannschaft ständig ein auf Blut, Schweiß und Tränen.
  • Feedback einzuholen ist etwas für schwache und unsichere Manager. Ihre Selbstsicherheit braucht das nicht.
  • Vorgesetzten ordnen Sie sich klug unter, so lange diese keine Schwäche zeigen. Mit peers machen Sie Deals zum gegenseitigen Machterhalt. Ihre Untergebenen halten Sie dagegen ständig in der Furcht des Herrn.
  • Strategie ist nur ein anderes Wort für Marschbefehl, der natürlich morgen neu ausgegeben werden kann, wenn sich etwas im Markt oder an Ihrer Interessenlag geändert hat.
  • Seien Sie jovial, kumpelhaft, zugänglich auf Betriebsfeiern; vielleicht erfahren Sie etwas über Kollegen oder Mitarbeiter, das Sie später gegen Sie verwenden können.
  • Sorgen Sie dafür, dass die Schuld für das Scheitern eines Projekts einem Mitarbeiter zugewiesen wird, der Sie unzureichend unterrichtet hat.
  • Vermeiden Sie zu große Klarheit in Ihren Anweisungen; die Leute können schließlich selber denken
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