BörsenWoche 364 - Interview „Der Markt preist aktuell für die nächsten fünf Jahre 2,1 Prozent Inflation ein“

Fondsmanager Henrik Stille glaubt, dass Europa eine Rezession bevorsteht. Quelle: Presse

Henrik Stille investiert als Fondsmanager in Pfandbriefe. Im Interview spricht er über die Besonderheit der Anlageklasse und erklärt, wieso die Europäische Zentralbank vor einer unlösbaren Aufgabe steht.

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WirtschaftsWoche: Herr Stille, die Inflation in der Eurozone beträgt derzeit acht Prozent. Trotz Zinsanstieg liegen Anleiherenditen weit darunter und zudem sind die Kurse unter Druck. Wieso sollte man ausgerechnet jetzt in besicherte Anleihen, also Pfandbriefe, investieren?
Henrik Stille: Wir haben in 200 Jahren noch nie einen Ausfall gesehen in der Assetklasse. Das liegt an ihrem Design. Pfandbriefe werden zum Beispiel häufig von Banken genutzt, um Immobiliendarlehen zu finanzieren. Als Gläubiger haben sie dann Ansprüche gegen zwei Kontrahenten. Zum einen gegen die Bank – und wenn die ausfällt, haben Sie Anspruch auf den Immobilienkredit. Zweitens gibt es sehr starke regulatorische Unterstützung für Pfandbriefe. Immer wenn sie in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gerieten, sind Regierungen eingesprungen und haben die Investoren gerettet – zum Beispiel in Griechenland, Portugal oder Österreich.

Trotz der hohen Sicherheit bieten viele Pfandbriefe einen Renditevorteil gegenüber normalen Staatsanleihen. Wieso?
Ja, die meisten Pfandbriefe haben so einen Vorteil. In Frankreich zum Beispiel bekommen Sie für fünf Jahre mit einem Pfandbrief 50 Basispunkte mehr als mit einer Staatsanleihe – obwohl der Staat nur ein AA-, der Pfandbrief aber ein AAA-Rating hat. Unter Risikogesichtspunkten ergibt das keinen Sinn. Die einzige Erklärung ist, dass die Kaufprogramme der EZB die Renditen normaler Staatsanleihen so stark gesenkt haben, während Pfandbriefe nicht im selben Maße von Zentralbankkäufen profitiert haben.

Um die Inflation auszugleichen, dürften bei aktuell 1,45 Prozent Rendite fünfjähriger französischer Staatsanleihen auch 50 Basispunkte mehr nicht ausreichen...
Zur Inflationsrate muss man sagen, dass sie ziemlich sicher nicht so hoch bleiben wird, wie sie aktuell ist. Der Markt preist aktuell für die nächsten fünf Jahre 2,1 Prozent Inflation ein. Und nur diese erwartete Inflation darf man bei einer Investition in fünfjährige Bonds heranziehen, nicht die aktuelle Inflation von acht Prozent. Sonst vergleicht man Äpfel mit Birnen. Wenn man nun davon ausgeht, dass die EZB ihre Anleihekäufe in Zukunft reduziert, beziehungsweise sogar ihren Anleihebestand abbauen wird, wird das Druck auf die Preise normaler Bonds verursachen. Bei Pfandbriefen gibt es diesen Effekt aber nicht in diesem Ausmaß. Entsprechend erwarte ich, dass sie besser laufen werden als normale Bonds.

Zur Person

In Ihrem Opportunities-Fonds versuchen Sie, solche Unterschiede zu nutzen. Wie?
Das Prinzip lautet: Ich verkaufe normale Staatsanleihen leer und kaufe Pfandbriefe derselben Laufzeit. Ich habe dann das Durationsrisiko komplett eliminiert und mein Ertrag ist nur noch abhängig vom Renditeunterschied dieser beiden Bonds zueinander.

Da Sie die EZB ansprachen: Sie hat jüngst eine Zinserhöhung angekündigt. Was kommt da noch?
Die EZB steht wegen der hohen Inflation unter Druck, die Zinsen zu erhöhen. Der Markt erwartet derzeit 100 Basispunkte mehr Zins am Jahresende. Ich denke, das ist eine gerechtfertigte Annahme. Nur: Will sie die Inflation wirklich bekämpfen, muss sie bis in eine Rezession hinein die Zinsen erhöhen. Sanft zu landen,

... also ohne Rezession aus lockerer Geldpolitik auszusteigen...
...hat noch nie funktioniert und ist praktisch unmöglich. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Rezession kommt, ist schon jetzt wegen der höheren Preise für Lebensmittel, Energie und Immobilienkredite hoch.

Was bedeutet das mit Blick auf den Anleihemarkt?
Es könnte sehr gut sein, dass die langfristigen Zinsen am Anleihemarkt ihren Höhepunkt schon überschritten haben, weil nun das Rezessionsszenario gespielt wird. Die kurzfristigen Zinsen beeinflusst die Zentralbank, die könnten noch eine Weile steigen und sich die Zinskurve dann invertieren. Das wäre übrigens ein klassisches Zeichen für eine bevorstehende Rezession.

Die BörsenWoche im Überblick

Angenommen, es kommt dazu. Was würde das für Pfandbriefe heißen?
Kommt es zu einem Ausverkauf bei Aktien, wären Anleihen als Sicherheitsbaustein wieder gefragt – und für Pfandbriefe gilt das besonders. Insofern wäre meine Erwartung, dass sie sowohl Aktien als auch normale Anleihen in so einem Szenario hinter sich lassen.

Im Fonds haben Sie reichlich italienische Pfandbriefe. Wieso gerade die?
Bei den italienischen Pfandbriefen haben wir vor allem zwei Emittenten, Banca Carige und Monte dei Paschi di Siena, die eher zu den schwächeren Spielern am italienischen Bankenmarkt zählen. Deswegen waren ihre Pfandbriefe attraktiv bepreist. Unsere Überlegung war, dass diese Institute Kandidaten für eine Fusion mit stärkeren Konkurrenten sind und sich das positiv auf die Preise der Pfandbriefe auswirken wird. Bei der Banca Carige hat das auch schon geklappt. Da ist eine Fusion mit der BPER Banca angekündigt.

Deutsche Pfandbriefe findet man dagegen nicht bei Ihnen...
Die stellen das teuerste Ende des Pfandbrief-Markts dar, sind also relativ zu den Pfandbriefen aus anderen Ländern unattraktiv. Attraktiv sind sie eher im Vergleich zu normalen Bundesanleihen. Da beträgt der Renditevorsprung aktuell etwa 60 Basispunkte. Das ist enorm.

Dieses Interview entstammt der BörsenWoche 364. Den vollständigen Finanzbrief finden Sie hier.

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