Trotz der aktuellen Bärenmarktrally wäre es überraschend, wenn der Aktienmarkt eine nachhaltige Erholung startet, solange sich das Bond-Universum nicht stabilisiert. Quelle: Imago

BörsenWoche Editorial Warum Anleger jetzt den Bondmarkt genau beobachten sollten

Der historische Crash am Anleihemarkt weckt Hoffnungen, die Zinswende könnte sich entschleunigen. Doch eine nachhaltige Wende am Aktienmarkt scheint schwierig, solange sich das Bond-Chaos nicht beruhigt. Ein Kommentar.

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Dass Inflation und Zinswende die Anleihemärkte belasten würden, war absehbar. Das Blutbad, das sich gerade an den US- und europäischen Bondmärkten abspielt, dürften hingegen die wenigsten Investoren erwartet haben. Als bombensichere Anlage geltende Investments wie langlaufende US-Staatsanleihen vollziehen derzeit Kursbewegungen, die fast schon an Aktien erinnern. US-Bonds mit Laufzeit bis 2031 etwa sind auf Jahressicht um 16 Prozent eingebrochen.

Der historische Abverkauf wird von mehreren Faktoren getrieben. Zum einen fallen die Notenbanken als Käuferinnen weitestgehend aus. Während die EZB keine Nettozukäufe mehr vornimmt, aber auslaufende Anleihen weiterhin durch neue ersetzt, reduziert die US-Notenbank Fed ihre Bilanz konsequent.

Der starke Dollar ist für US-Anleihen eine zusätzliche Belastung. Besonders in Schwellenländern sichern sich viele Investoren mit auf US-Dollar lautenden Anleihen gegen Währungsschwankungen ab. Gravierender ist allerdings, dass auch Zentralbanken mittels US-Anleihen Währungsreserven aufgebaut haben. Sie nutzen die Dollarstärke nun, um ihre heimischen Währungen zu stützen, indem sie die Bonds verkaufen.

Und die anderen Investoren? Haben derzeit offenbar nur wenig Interesse. Es ist gut möglich, dass im Zuge der krisenbedingten Neuverschuldung besonders in Europa bald in großem Stil neue Anleihen emittiert werden. Weil steigende Anleihezinsen mit fallenden Kursen einhergehen, ist jetzt zuzugreifen in den meisten Fällen unattraktiv.

Angebot und Nachfrage am Bondmarkt driften wegen dieser Einflüsse immer weiter auseinander – die Liquidität sinkt. Während Kursverluste an den Aktienmärkten und der Konjunkturrückgang bis zur Rezession die Notenbanken kalt ließen, könnte das Chaos am Anleihemarkt den Zinsstraffungsprozess tatsächlich entschleunigen – zumindest kurzfristig. Kernaufgabe der Währungshüter ist schließlich, ein funktionierendes Finanzsystem zu gewährleisten. Ausreichende Liquidität an den Bondmärkten ist dafür genauso essenziell wie ein stabiles Preisniveau.

Solange die Inflation grassiert, scheint eine echte Trendumkehr allerdings eher unwahrscheinlich. Eine zu lockere Geldpolitik würde die Glaubwürdigkeit der Notenbanken, insbesondere der EZB, weiter aufweichen und das aktuelle Dilemma letztlich nur in die Länge ziehen.

Für die Aktienmärkte sind die Unsicherheit über den geldpolitischen Kurs und der Crash am Anleihemarkt ein schwieriges Umfeld. Auch Anleger, die selbst keine Anleihen in ihren Depots halten, sollten die Entwicklung am Bondmarkt deshalb genau im Blick behalten. Denn trotz der aktuellen Bärenmarktrally wäre es überraschend, wenn der Aktienmarkt eine nachhaltige Erholung startet, solange sich das Bond-Universum nicht stabilisiert.

Hier kommen Sie zur aktuellen Ausgabe der BörsenWoche.

Ich wünsche Ihnen eine stabile Woche.

Ihr Lukas Schmitt

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