Inflation Quelle: imago images

Harte Zinswende „Die Rezession wurde zu lange mit Zentralbankgeld vereitelt“

Die neue Zinsära stellt die Weltwirtschaft auf eine harte Probe. Besonders prekär ist die Situation in der Eurozone. In unseren Musterdepots nehmen wir deshalb Shortspekulationen ins Visier.

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Es brennt. Krieg, Energieknappheit, gestörte Lieferketten, horrende Inflationsraten und die dadurch ausgelöste Zinswende ließen die Konjunkturerwartungen in den vergangenen Wochen purzeln. Aber wer kann löschen? Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises (1881-1973) prägte seinerzeit die Zirkulationskredittheorie. Es geht um ein Szenario, in dem auf einen kreditfinanzierten Boom die Rezession folgt, die dann mit weiteren Krediten abgewendet werden soll. In der Theorie verschärft sich das Problem dadurch zusätzlich.

Tatsächlich sind Rezessionen fester Bestandteil eines funktionierenden Konjunkturzyklus. Sie lenken Ressourcen wie Geld und Arbeitskraft wieder dorthin, wo sie den meisten Nutzen stiften. Diese „schöpferische Zerstörung“ wurde in den vergangenen Jahren mit allen Mitteln vereitelt. Ob Finanzkrise, Eurokrise oder Pandemie: Die großen Volkswirtschaften berappelten sich stets schnell – dank günstigem Zentralbankgeld, das Staaten und Unternehmen vor dem Ruin bewahrte.

Aber auf Probleme einfach immer mehr Geld zu schütten, ist langfristig nie clever. Jetzt kommt die Quittung: Die Inflation läuft aus dem Ruder, nicht zuletzt wegen des immensen Geldüberhangs (BöWo 355). Die Zentralbanken müssen gegensteuern, entziehen dem Markt Liquidität – der kreditfinanzierten Wohlstandsblase entweicht ordentlich Luft.

Die BörsenWoche im Überblick

Die neue Ära steigender Zinsen stellt die Weltwirtschaft auf eine harte Probe. Nach vierzig Jahren fallender Zinsen und zwei Jahrzehnten extrem günstigen Geldes fallen die Notenbanken als Konjunkturtreiber aus. Die von vielen Währungshütern oft beschworene „weiche Landung“ scheint angesichts der hohen Inflationsdynamik und auch mit Blick auf die Geschichte unwahrscheinlich.

Besonders prekär ist die Situation in der Eurozone. Nachdem die EZB die Inflation lange Zeit fatal unterschätzte, steht nun die erste Zinserhöhung an. Doch die trifft auf eine rekordverschuldete Eurozone – die Verbindlichkeiten der Mitgliedsstaaten sind in etwa so hoch, wie ihre jährliche Wirtschaftsleistung. Investoren trauen der EZB ein konsequentes Gegensteuern daher nicht mehr zu. Am Tag der Ankündigung des Zinsschrittes ging der Euro auf Talfahrt – gewöhnlich sorgen solche Maßnahmen für steigende Kurse.

Alarmierend ist auch die Entwicklung der Spreads zwischen den Anleihen der Euro-Staaten. Die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen sprang auf über vier Prozent. Zur aktuellen Staatsverschuldung von 150 Prozent des BIP droht dem Mittelmeerstaat bei derart steigenden Zinsen längerfristig der Kollaps. In Griechenland sieht es noch schlechter aus. Die EZB spielt deshalb mit dem Gedanken, die Anleiherenditen mit unlimitierten Käufen zu stabilisieren. Dadurch könnte sie Zinserhöhungen durchziehen, ohne einzelne Mitgliedsstaaten in den Bankrott zu stürzen – zumindest kurzfristig.

Wenn sich Staaten ohne direkte Konsequenz weiter verschulden können, wird das nicht zu mehr Haushaltsdisziplin in der Eurozone führen. Doch die wäre bitter nötig. Das Vertrauen in den Euro würde dann weiter schwinden, noch mehr Kapital abfließen und der Euro weiter fallen. Die japanische Notenbank wertet den Yen mit genau solchen Stützungskäufen gerade dramatisch ab (BöWo 360).

Die deutsche Wirtschaft dürfte ein schwacher Euro mittelfristig hart treffen. Kurzfristig befeuert die Kursschwäche die Geschäftszahlen durch Bilanzeffekte wie zusätzliche Vorsteuergewinne. Wettbewerbsvorteile gegenüber Konkurrenten mit wertstärkeren Währungen dürften mittelfristig aber verpuffen: Mit dem schwachen Euro steigt auch die Importrechnung der Unternehmen – die deutschen Exporte bestehen immerhin zu 40 Prozent aus importierten Gütern und Vorleistungen.

Rezessionssignale kommen auch vom Anleihemarkt, wo sich die Rendite von deutschen Kurzläufern immer mehr denen langlaufender Bundesstaatsanleihen nähert. Gewöhnlich gibt es für längere Laufzeiten entsprechend mehr Rendite. Und dass im Dax trotz der charttechnisch extrem Überverkauften Situation Erholungsversuche weiterhin vehement scheitern, ist ebenfalls höchst bedenklich.

Angesichts der vielen Belastungen erwarten wir – unter Schwankungen – weiter fallende Kurse, womöglich bis in den Herbst. Wenn dann die Inflation nachlässt, könnte es zu einer dynamischen Erleichterungsrally kommen. Aktuell sehen wir dafür wenig Hoffnung. Im spekulativen Depot nehmen wir deshalb wieder vermehrt Shortspekulationen ins Visier.

Ich wünsche Ihnen eine hoffnungsfrohe Woche.

Ihr Jan-Lukas Schmitt

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