DVAG gegen AWD Mission Rufmord

Ein Versicherungskaufmann will seinen Ex-Arbeitgeber zerstört haben – den Finanzvertrieb AWD von Carsten Maschmeyer. Angeblich im Auftrag des schärfsten Konkurrenten: der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG). Jetzt will er reinen Tisch machen. Sagt er.

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Erbittert ist die Konkurrenz der beiden Finanzkonzerne DVAG und AWD.

Freitagabend am Hamburger Flughafen. Unten in Terminal 2 lärmen die bunten Urlaubermassen, oben in einem deutlich ruhigeren Mövenpick-Restaurant wartet der Versicherungskaufmann Stefan Schabirosky aufs Handelsblatt. Genau hier hat er sich über Jahre mit seinem „Führungsoffizier“ getroffen, wie er das nennt. Hier macht der 46-Jährige dem Spuk der vergangenen Jahre nun ein Ende.

Noch will er sich nicht öffentlich äußern, aber wenigstens zeigen, dass es ihn wirklich gibt. Schabirosky, das Phantom, der Verräter, der Medien-Manipulateur und selbsternannte „Rufmörder“. Denn auch sein Buch, das in den nächsten Tagen in den Handel kommen soll, heißt so: „Mein Auftrag: Rufmord“.

Die Geschichte, die er darin auf 240 Seiten erzählt und mit vielerlei Dokumenten anreichert, klingt schon in der Kurzform schier unglaublich: 2003 wird er nach gut zehn Jahren von dem schillernden Finanzvertrieb AWD des noch schillernderen Carsten Maschmeyer entlassen. Eine unglückliche Liebe im Büro, ein Ausraster vor Kollegen, das Gefühl, bei den anschließenden Abfindungsverhandlungen unfair behandelt zu werden – das war’s. Schabirosky sinnt auf Rache und kommt auf die Idee, sich bei der Frankfurter AWD-Konkurrenz DVAG zu melden. Sein Plan: Mit seinem Insiderwissen und viel bösem Willen Maschmeyer kaputtzumachen. 5000 Euro habe ihm die DVAG dafür fortan monatlich bezahlt, heißt es im Buch. Für den Fall, dass es Schabirosky gelingt, den AWD tatsächlich plattzumachen, sei noch ein Erfolgshonorar besprochen worden. Einen siebenstelligen Jackpot habe sich Schabirosky dabei vorgestellt. Den hatte er bei seinem großen Plan immer vor Augen. Er nennt den Plan großspurig „Unternehmen Donnerwetter.“

Die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) bestreitet die Verwicklung in die "Rufmord-Kampagne" eines Ex-Mitarbeiters gegen den Konkurrenten AWD.

Schabirosky bezichtigt sich heute selbst, in diesem Spiel jahrelang alle Register gezogen zu haben: Er ließ Internet-Seiten vermeintlicher AWD-Hasser bauen. Er reichte anonym eine Strafanzeige gegen den AWD ein. Er munitionierte Verbraucheranwälte auf und vor allem: Er fütterte Journalisten vieler seriöser Medien von NDR über „Stern“ bis „Spiegel“ mit Halbwahrheiten, Lügen und zurechtfrisiertem internem Zahlenmaterial über Maschmeyers AWD. Maschmeyer gibt vier Jahre später entnervt auf.

Es geht also um viel Geld, um Kursmanipulationen und Datendiebstahl, um Wirtschaftskriminalität in einer neuen Dimension und Fake News, als es den Begriff damals noch gar nicht gab.

Damals, im Jahr 2008, scheint Schabirosky am Ziel. Maschmeyer verkauft den AWD an den Versicherungskonzern Swiss Life. Operation gelungen, Patient tot. Der Gegner scheint erledigt. Jetzt will Informant Schabirosky noch einmal Kasse machen. Seinen siebenstelligen Jackpot einstreichen. Doch die DVAG sei nicht bereit gewesen, den Jackpot zu zahlen. So gehen die nächsten Jahre dahin. Schabirosky schreibt Briefe an die DVAG-Spitzen, droht, prozessiert, verliert, bis es dem Rufmörder zu dumm wird und er anfängt, das nun fertige Buch zu schreiben.

Und hat seine Geschichte nicht alles – bis hinein in die große Politik? Auf der einen Seite Maschmeyer samt seinen politischen Freunden wie etwa Altkanzler Gerhard Schröder. Dort die DVAG, vertreten ausgerechnet durch Friedrich Bohl, einst Kanzleramtsminister unter Helmut Kohl und mittlerweile sogar Aufsichtsratschef des Frankfurter Finanzvertriebs.

Bohl soll es auch gewesen sein, der Schabirosky gemeinsam mit dem DVAG-Direktor Gerd Schneider* jahrelang gesteuert hat. Bohl äußert sich Ende vergangener Woche ebenso wenig zu der bizarren Beichte wie Maschmeyer. Die DVAG zeigte sich am Freitag außerstande, in der Kürze der Zeit den Fall zu beurteilen. Unbekannt war der Name in Frankfurt indes nicht.

Einerseits: Zweimal schon unterlag Schabirosky der DVAG vor Gericht. Andererseits ging es da nicht um seine schmutzigen Tricks, sondern um seine Millionenforderung. Nun also wird der Verräter erneut zum Verräter. Er weiß, dass das Fragen provoziert, neuen Ärger, womöglich neue Debatten. Aber offenbar will da ein Insider reinen Tisch machen über das, was 2003 an einem anderen Flughafen begann.

* Name von der Redaktion geändert

„Meine Kampagne lief wie geschmiert“

Laut seinem Buch war Stefan Schabiroskys erstes Treffen mit den DVAG-Leuten damals im Sheraton Hotel am Airport Frankfurt. In seiner Tasche steckte bereits die Präsentation zu seinem „Unternehmen Donnerwetter“. Über zehn Jahre lang hat er vorher für den Finanzdienstleister AWD gearbeitet. Jetzt will er ihn zerstören. Mit illustrer Hilfe: Laut Buch erscheint neben seinem Verbindungsmann Schneider damals zu seiner Überraschung auch Bohl persönlich (damals bereits im Vorstand der DVAG).

So beginnt jedenfalls das Buch des ehemaligen Finanzvertreters, in dem er eine gigantische und angeblich von der DVAG bezahlte Attacke auf den Konkurrenten beschreibt, wie sie die deutsche Wirtschaftsgeschichte wohl noch nicht gesehen hätte.

Die DVAG und der AWD waren immer schon beinharte Konkurrenten. Die DVAG, geführt von Reinfried Pohl ebenso wie das Carsten-Maschmeyer-Baby AWD. Zwei Männer, die sich nichts schenkten. Und Schabirosky ist ein intimer Kenner des Geschäfts. Offiziell sei er bald nach dem ersten Treffen in Frankfurt als selbstständiger Berater für Vertriebscontrolling angeheuert worden, wie er nun verrät.

Mehr als eine halbe Million Euro habe er über die Jahre von seinen neuen Auftraggebern kassiert, schreibt der heute 46-Jährige. Nicht genug, wie er fand. Und hatte man sich nicht schon anfangs auf zwei Millionen Euro verständigt, wenn es ihm gelänge, den AWD wirklich zu zerstören? Den siebenstelligen „Jackpot“ habe er immer vor Augen gehabt, schreibt Schabirosky. Doch die Millionen kamen nie. Dabei zog er doch eigenem Bekunden nach alle Register der Diffamierung.

Die erste kritische Maschmeyer-Geschichte unterzubringen, habe noch ein Dreivierteljahr gedauert, beschreibt der Autor. Danach brachen offenkundig Dämme, wenn man Schabirosky Glauben schenkt, der sich irgendwann im Buch wundert: „Meine Kampagne lief wie geschmiert: Ich ersann wilde Verdächtigungen gegen den AWD. Von der DVAG finanzierte Juristen machten daraus wohlklingende Schriftsätze an Behörden, mit denen ich bei Journalisten hausieren ging.“ Und weiter: „Die Presse stieg auf meine Story ein. Was einige dann druckten, waren in großen Teilen bloß Verdächtigungen. Bewiesen war nichts. Hauptsache, der Ruf des AWD und der seines Gründers Carsten Maschmeyer waren ramponiert.“ Schabirosky hat auch die Mails akribisch gesammelt, die er mit Journalisten bei „ Spiegel“, „Stern“, „Süddeutscher Zeitung“ oder auch der NDR-Redaktion von Report tauschte. Alle gehörten demnach zu den Abnehmern seiner vielfach frisierten Belege, schildert er. Große Anti-Maschmeyer-Dokumentationen entstanden auf diese Weise fürs Fernsehen, ebenso ein Buch. Das Perpetuum Mobile einer heiß laufenden Mediendemokratie.

Schabiroskys Bekenntnisse sind deshalb nicht nur für die DVAG heikel. Seine „Informationen“ dienten etlichen Journalisten als Basis harter Abrechnungen mit dem ohnehin vielfach gescholtenen „Finanzhai“ aus Hannover. Man vertraute sich. Das war falsch, schreibt Schabirosky nun selbst. Aber der Betrug war so einfach. Ein Journalist erklärte ihm, für eine größere Attacke brauche man als Anlass und Grundlage eine Strafanzeige, also ließ er über eine angesehene Hamburger Kanzlei eben eine einreichen bei der Finanzaufsicht Bafin. Prompt wurde berichtet. Der AWD-Kurs sackte ab. Wieder ein Grund für Berichterstattung.

Überraschende Wende in jahrelanger Schlammschlacht


Und obwohl es den Anschein hatte, als sei der AWD unter juristischem Dauerfeuer, kamen mehrere Anzeigen, anonym versendete Daten-CDs oder gut frisierte Unternehmenszahlen am Ende vom gleichen Absender: Schabirosky. Selbst als er durchgab, dass eine ausgelöste Ermittlung von der Staatsanwaltschaft – leider leider – vor der Einstellung stehe, gab es noch Journalisten, die wider besseren Wissens einen langen Artikel über die Vorwürfe schrieben, die von den Ermittlern schon für zu leicht befunden wurden.

Schabirosky verbuchte all das als seinen Erfolg. In seinem Buch druckt er neben E-Mails von Redaktionen auch Kanzleirechnungen oder Spesenabrechnungen ab. Gespart wurde nicht. Die Belege stammten von ersten Hoteladressen, gereist wurde in der Regel erster Klasse. Alle sechs, acht Wochen will er sich mit DVAG-Direktor Gerd Schneider im Mövenpick am Hamburger Flughafen getroffen haben.

Und Maschmeyer? Erst verkaufte Maschmeyer den AWD, später verschwand auch der Name. Was blieb, war Maschmeyers Image als Drückerkönig und Rentnerschreck.

Das Buch „Mein Auftrag: Rufmord“ markiert insofern die überraschende Wende einer seit Jahrzehnten andauernden Schlammschlacht. Die DVAG, gegründet 1975, hatte bereits in den 1980er Jahren mehr als eine Million Kunden und schloss Verträge im Wert von mehr als fünf Milliarden Euro ab. Ihr Gründer Reinfried Pohl (er verstarb 2014) erhielt 1988 das Bundesverdienstkreuz, sein Unternehmen wurde dagegen für seine Verkaufsmethoden immer wieder scharf gescholten. Gegen ein Enthüllungsbuch ihres ehemaligen Mitarbeiters Wolfgang Dahm zog die DVAG bis vor den Bundesgerichtshof – und verlor. „Der Spiegel“ nannte das Unternehmen 1995 die „größte Drückerkolonne Deutschlands“.

Der AWD, der Allgemeine Wirtschaftsdienst, schon 1987 gegründet, fand kurz darauf mit dem Einstieg von Carsten Maschmeyer seinen eigentlichen Antreiber. Der gebürtige Bremer stieg mit 900.000 D-Mark in das junge Unternehmen ein und führte es zu immer neuen Erfolgen. An dem Tag im Jahr 2003, den Schabirosky in seinem Buch als ersten Kontakt mit Friedrich Bohl beschreibt, hatte der AWD schon sechstausend Mitarbeiter, eineinhalb Millionen Kunden und zwölf Milliarden Euro Vermittlungsumsatz im Jahr. Und auch der AWD hatte bereits vor dem Rufmörder das schlechte Image einer „Drückerkolonne“. Vor allem der wacklige Drei-Länder-Fonds war bei Verbraucherschützern bereits früher ins Visier der Kritik geraten.

Nun sind womöglich beide Finanzkonzerne Opfer des gleichen Mannes geworden. Es ist ohnehin eine Geschichte, in der Opfer und Täter nicht mehr so leicht auseinander zu halten sind. Das Handelsblatt präsentiert ab heute wichtige Passagen aus dem Buch.

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