Stress lauert überall. Nicht nur, dass wir permanent darüber sprechen, wir fühlen uns tatsächlich schnell gestresst. Mehr noch: In einer Art Hassliebe, vielleicht sogar Abhängigkeit, führen wir Stress immer wieder selbst herbei.
So absurd eine Sucht nach Stress klingt, so schnell entwickeln viele Menschen sie. Das Stresshormon Cortisol wird vom Körper produziert, um notwendige Anpassungsreaktionen zu steuern. Wir atmen schneller, die Muskeln werden angespannt und Körper und Geist in Sekundenbruchteilen darauf vorbereitet, eine Veränderung zu bewältigen, einer Gefahr zu entkommen. Anderenfalls wären wir nicht handlungsfähig und würden morgens das Bett kaum verlassen.
Die andere Seite der Medaille: Cortisol wirkt im Körper wie eine Droge und macht abhängig. Da das Gehirn Bekanntes bevorzugt, auch wenn es sich für uns nachteilig auswirkt, wiederholen wir Dinge und Situationen selbst dann, wenn sie uns schaden.
Test: Wieviel mentalen Stress haben Sie?
Wenn Sie von diesen Fragen einige oder alle mit Ja beantworten, bedeutet jedes davon eine kleine gelbe Karte.
Denken Sie während der Arbeit an private Probleme und zu Hause an die Arbeit?
Wären Sie gern optimistisch, scheitern aber an schlechten Erfahrungen?
Schlafen Sie abends über den Ärgernissen des Tages schlecht ein?
Versuchen Sie immer wieder, Ihre negativen Gedanken und Erlebnisse zu unterdrücken?
Akzeptieren Sie „um des lieben Friedens willen“ Situationen und Menschen, die Ihnen nicht gut tun?
Denken Sie über Probleme anderer, zum Beispiel der Kinder oder Kollegen, nach?
Wollen Sie anderen bei Schwierigkeiten gern helfen – ehe diese darum geben haben?
Hadern Sie mit Ihrem Körper, Gewicht, Fitness, nachlassender Leistungsfähigkeit?
Fühlen Sie sich bei der Arbeit manchmal ungerecht behandelt?
Ärgern Sie sich öfter darüber, dass Sie Recht haben, es aber nicht gesehen wird?
Machen Sie sich häufig Sorgen über negative Nachrichten aus aller Welt?
Nehmen Sie sich beruflich und/oder privat immer wieder zu viel vor?
Glauben Sie, Sie müssten sich mehr anstrengen, um zu erreichen, was Ihnen wichtig ist?
… werden andere folgen. Schlechter Schlaf oder Rückenschmerzen werden bereits häufig mit Stress in Verbindung gebracht. Gleiches gilt für Unruhe, starkes Herzklopfen, Lärmempfindlichkeit, Gereiztheit, Unwohlsein oder einfach das Gefühl, „etwas stimme nicht“. Nehmen Sie solche Hinweise ernst, nehmen Sie sich ernst.
Dieser Teufelskreis ist schwer zu durchbrechen und irgendwann erleben wir Stress als Normalzustand, den wir unbewusst immer wieder suchen. Wir schaffen Erlebnisse und Umstände, die uns stressen, weil uns dieser Zustand vertraut ist. Die biochemische Reaktion auf Stress wird zur Gewohnheit.
Evolutionsbiologisch ist er eine Anpassungsreaktion des Körpers auf sich verändernde Umstände. In den Ursprüngen der Menschheit ging es um das Überleben. Nicht der Klügste oder Stärkste überlebte, sondern derjenige, der sich am besten anpassen konnte, am stressresistentesten war. Schauen wir uns erfolgreiche Menschen heute an, dann zählen in einer sich immer schneller verändernden Welt der Umgang mit Krisen, Flexibilität, Souveränität, also Stressresistenz in einem anderen Kontext, mehr als Muskeln und der höchste IQ.
Die gute Nachricht ist: Auf unsere Stressresistenz können wir Einfluss nehmen. Alltägliche Situationen bergen Stresspotential nur dann, wenn wir es zulassen. Ein um 15 Minuten verspäteter ICE auf dem Weg zum Vortragstermin kann einen wahnsinnig stressen. Oder ein bestelltes Taxi, das nicht kommt. Aber warum freut man sich nicht, wenn mal einer der 85 Prozent pünktlichen Züge in den Bahnhof einfährt? Mit einfachen mentalen Tricks lassen sich Stressfaktoren auf ein Minimum reduzieren.
Denn die vielen kleinen Stressmomente, die wir zulassen, summieren sich. Die Zeiten werden nicht vorhersagbarer, ruhiger, langsamer oder einfacher. Das individuelle Wohlbefinden kristallisiert sich als Mediator zwischen Anforderungen und individuellen Potentialen heraus. Menschen arbeiten und leben genauso gut oder schlecht, wie sie sich fühlen und für sich selbst sorgen.
Erste Hilfe, wenn alles zu viel wird: 12 Tipps mit Sofortwirkung
Die negativen Begleiterscheinungen von Stress häufen sich oft unbemerkt über die Wochen an. Wenn Sie es merken, liegt häufig schon einiges im Argen. Mit kleinen Maßnahmen können Sie versuchen, wieder ein bisschen mehr ins Lot zu kommen.
Tun Sie sich etwas Gutes und konzentrieren Sie sich vollkommen darauf, zum Beispiel eine Tasse Tee trinken, ein Stück Schokolade genießen, einen angenehmen Geruch wahrnehmen.
Denken Sie ganz konkret an etwas besonders Schönes wie Ihren bevorstehenden Urlaub. Was werden Sie einpacken, welches Lieblingskleid werden Sie tragen, welche Sonnencreme ist am besten?
Kritzeln Sie etwas auf Papier, das Ihnen gerade einfällt, ob Strichmännchen oder Blumen, oder malen Sie Kästchen oder ein Logo aus.
Stellen Sie Ihren Blick auf unendlich – schauen Sie in die Ferne, in den Himmel oder zum Horizont, möglichst ohne etwas zu fixieren.
Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Spüren Sie an Ihren Nasenflügeln, wie er hinein- und hinausströmt, ohne dass Sie etwas dafür tun müssen.
Atmen Sie mehrmals tief ein und länger aus – gern mit einem Seufzer. Ausatmen aktiviert den Parasympathikus, den sogenannten Erholungsnerv.
Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz; das aktiviert das Entspannungshormon Oxytozin.
Lächeln Sie. Finden Sie den Grund dafür in Ihrer Umgebung, vielleicht Blumen, Ihre Kleidung, die nette Kollegin, einen interessanten Menschen, der vorübergeht.
Bewegen Sie sich. Schütteln Sie sich, als seien Sie ein Wackelpudding, steigen Sie Treppen, hüpfen Sie zu Ihrem Lieblingssong.
Sprechen Sie mit einem lieben Menschen. Besuchen Sie ihn oder rufen Sie an und sagen Sie ihm/ihr, dass Sie ihn/sie mögen und einfach mal auftanken wollen.
Schreiben Sie zehn Dinge auf, die Sie an sich mögen. Auch vermeintliche Nichtigkeiten zählen.
Schreiben Sie zehn Dinge und Menschen auf, die Sie lieben.
Gefragt ist Selbstmanagement. „Das kann ich nicht“ heißt nicht mehr „Ich bin nicht gut genug“. Sondern: „Hier sollte ich etwas lernen“. „Ich habe zu viel Arbeit“ mündet nicht länger in den Gedanken „Ich muss mehr und härter arbeiten“. Sondern: „Hier werde ich mir Unterstützung suchen oder mich anders organisieren“. „Ich habe Stress“ bedeutet nicht mehr „Mir ist mir alles zu viel“. Sondern: „Wie sorge ich besser für mich, um zu schaffen, was ich schaffen will“.
Je besser uns dieser Perspektivwechsel gelingt, desto stressresistenter sind wir. Nicht um uns anschließend erneut zu überfordern, sondern um angemessener handeln zu können.