Egal ob bei Opel, Schlecker, Nokia, der Baumarktkette Praktiker oder kleineren Unternehmen wie der Kaiser's-Tengelmann-Tochter Fleischwerk Birkenhof: Unternehmen und Politik arbeiten seit 1998 bei Massenentlassungen zusammen, um den Mitarbeitern per Transfergesellschaft die Arbeitslosigkeit zu ersparen. Dafür geben beide Seiten viel Geld aus.
Für die Mitarbeiter von Opel Bochum investierte der Autobauer 4,3 Millionen Euro. Dem TÜV Nord, Träger der Opel-Transfergesellschaft, standen außerdem noch 6,9 Millionen Euro aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) zur Verfügung.
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord.
Was ist eine Transfergesellschaft?
Eine Transfergesellschaft wird dann ins Leben gerufen, wenn sich das Unternehmen aus eigener Kraft nicht mehr retten kann, und durch diese Krise Massenentlassungen nicht zu vermeiden sind.
Der Zweck einer Transfergesellschaft ist es, Arbeitnehmer, die gekündigt werden sollen, in einen befristeten Arbeitsvertrag zu übernehmen. Dazu wird eine eigene Gesellschaft gegründet. Für die Gründung der Transfergesellschaft gibt es ein gesetzlich definiertes Verfahren. Es wird in enger Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit umgesetzt. Beim Wechsel in eine Transfergesellschaft werden die Mitarbeiter für maximal ein Jahr weiter beschäftigt.
Transfergesellschaften haben ausschließlich das Ziel, die bei ihnen angestellten Beschäftigten so schnell wie möglich in neue Beschäftigungsverhältnisse zu vermitteln. Wer in eine Transfergesellschaft wechselt, ist dort angestellt - nicht beim bisherigen Arbeitgeber. Die Schlecker-Mitarbeiter wäre also nicht mehr bei Schlecker beschäftigt, sondern in der neu gegründeten Transfergesellschaft.
Einige große Konzerne haben in schweren Krisensituationen, in denen tausende Arbeitsplätze auf dem Spiel standen, bereits Transfergesellschaften gegründet: Telekom, Opel, Infineon, der Autozulieferer Phoenix, die ehemalige Siemens-Tochter BenQ.
Rechtlich handelt es sich bei Transfergesellschaften um so genannte strukturelle Kurzarbeit. Das bedeutet, die Beschäftigten erhalten "Transferkurzarbeitergeld". Das beträgt 60 Prozent des Nettolohns für Mitarbeiter, die keine Kinder haben; Mitarbeiter mit Kind erhalten 67 Prozent des letzten Nettolohns. Diesen Betrag zahlt das Arbeitsamt aus den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung. In vielen Fällen stockt der ehemalige Arbeitgeber das Gehalt auf 80 Prozent auf.
Während der ersten Transfergesellschaft 2010 bekamen die Ex-Opelaner 80 Prozent ihres letzten Gehalts. Finanziert wurde das zu gleichen Teilen von der Arbeitsagentur und Opel. Ausgelegt war die Transfergesellschaft für zwölf Monate. Wer vorher einen neuen Job fand, bekam eine sogenannte Sprinter-Prämie: Für jeden Monat, den der Autokonzern das Gehalt nicht mehr zahlen musste, gab es 1000 Euro für die Ex-Mitarbeiter. So sollte ein Anreiz geschaffen werden, dass sich die Mitarbeiter nicht zwölf Monate lang weiterbezahlen lassen und dann erst aktiv nach Jobs suchen.
Dem TÜV Nord standen Gelder aus dem Europäischen Globalisierungsfonds (EGF) in Höhe von 6,9 Millionen Euro zur Verfügung, um die Mitarbeiter weiterzubilden und zu vermitteln. „Wir hatten 4,3 Millionen Euro von Opel und die Möglichkeit bei Bedarf bis zu 6,9 Millionen Euro vom EGF abzurufen“, sagt Hermann Oecking, Geschäftsführer des TÜV Nord Transfer.
„Beim EGF gab es zwei Fördertöpfe. Einen für die klassischen Qualifizierungsmaßnahmen und einen für sonstige arbeitsmarktpolitische Instrumente wie Job-Speed-Datings mit Arbeitgebern, Job-Messen und so weiter.“
Abgerufen wurde laut dem Bundesarbeitsministerium jedoch nur 3,182 Millionen Euro für Qualifizierung, Beratung und Betreuung der Beschäftigten nach dem Ausscheiden aus der Transfergesellschaft. Hinzu kamen nochmal 430.000 Euro für Verwaltungskosten des TÜV Nord. Nach den EU-Vorgaben habe der TÜV Nord zuerst das von Opel zur Verfügung gestellte Geld ausgeben müssen. „Danach wurden mit EGF -Gelder alle weiteren Maßnahmen ermöglicht, die für die berufliche Zukunft sinnvoll waren“, sagt er. „Mit dem Mittelabruf liegen wir im Durchschnitt vergleichbarer Transfergesellschaften. Dies hat das Bundesarbeitsministerium bestätigt."
Den Kosten gegenüber stand jedoch nur ein geringer Erfolg gegenüber: Tatsächlich fanden durch die auf insgesamt drei Jahre ausgedehnte Transfergesellschaft 900 Ex-Opelaner einen neuen Job. 750 gingen in Rente, rund 1000 waren mit dem Ende der Transfergesellschaft immer noch arbeitslos. Von den versprochenen Vermittlungsquoten von 70 bis 80 Prozent war man in Bochum weit entfernt.
Tatsächlich stehen die Transfergesellschaften seit Langem in der Kritik – und das nicht nur von enttäuschten Mitarbeitern. 2006 zeigte ein Gutachten des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), dass Transfergesellschaften zwar eine nette Geste des Arbeitgebers und der Arbeitsagentur sind, aber kaum zur Jobvermittlung taugen. Der ehemalige Direktor Arbeitsmarktpolitik beim IZA, Hilmar Schneider, nannte Transfergesellschaften in diesem Gutachten eine "Geldverschwendung".
Ein Jahr später veröffentlichte das IZA ein weiteres Gutachten zur Wirksamkeit von Arbeitsmarktinstrumenten. Darin heißt es „Es macht praktisch keinen Unterschied, ob die Vermittlung durch die Arbeitsagentur oder durch eine Transfergesellschaft erfolgt.“ Es gebe zwar „möglicherweise erfolgreiche Strategien“, belegen könne man die aber nicht.
Belegen lässt sich dafür, dass die häufig prognostizierten Vermittlungsquoten jenseits der 60 Prozent nur Ausreißer sind. So wie den 8000 Ex-Mitarbeiter der Baumärkte Praktiker und Max Bahr, von denen sich rund 70 Prozent von ihrem Transferträger gut beraten und betreut fühlten,.wie das Bochumer Helex-Institut analysierte. Das Institut forscht rund um die Themen Arbeit, Beschäftigung und Arbeitsmarktpolitik und hat die Betroffenen nach ihren Erlebnissen in der Transfergesellschaft befragt.
Neben der hohen Zufriedenheit war auch die Vermittlungsquote beeindruckend: 67,6 Prozent hatten nach Ende der Transferzeit einen neuen Job. 25 Prozent bezogen Arbeitslosengeld.
Eher 40 als 70 Prozent Erfolg
Gemäß Statistiken der Bundesagentur für Arbeit finden in der Regel nur zwischen 34 und 40 Prozent der Betroffenen innerhalb von sechs Monaten einen Job. Nach Ende der Laufzeit einer Transfergesellschaft haben 38 bis 45 Prozent wieder eine neue Stelle – so sie nicht zu alt sind. „Je älter die Arbeitnehmer sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie Transferkurzarbeit frühzeitig beenden“, heißt es dort. Jenseits der 55 stehen die Chancen schlechter.
Die Erfolgsquoten haben sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. So kam auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu dem Ergebnis, dass zwischen 2000 und 2005 rund 44 Prozent der Beschäftigten in Transfergesellschaften ein Jahr später wieder beschäftigt waren.
Das sei aber nicht die Schuld der Träger der Gesellschaften, wie eine Studie der Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung des Arbeitsministeriums NRW zeigt. Demnach sei der Vermittlungserfolg von vielen Faktoren wie Alter, Motivation, Flexibilität, Ausbildung und Nachfrage abhängig. „So bilden auch Sozialpläne, SGB III sowie ESF und EGF wichtige Rahmenbedingungen für Qualifizierungen, ebenso deren Finanzierung und deren zuverlässige Einbindung in Gesprächen und (Ziel-)Vereinbarungen mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Dieser Rahmen kann von den Trägern nicht beeinflusst werden“, heißt es dort.
Die reine Vermittlungsquote sage jedoch nichts über die Qualität der Beratungsarbeit aus, wie der Sozialwissenschaftler Gernot Mühge vom Helex-Institut in einer weiteren Untersuchung feststellt, aus der auch der Bundesverband der Träger im Beschäftigtentransfer (BVTB) zitiert.
In der Theorie kann es funktionieren
Demnach sei die Hauptaufgabe von Transferträgern, „die Beschäftigten in ihren Suchprozessen intensiv zu unterstützen und ihre beruflichen Handlungsspielräume durch Beratung und Qualifizierung zu erweitern.“ Weiter ist in der Studie von Widersprüchen die Rede: zwar sinke die Zahl der Vermittlungserfolge, die Qualität der neuen Jobs sei dafür sehr hoch und die Teilnehmer zufrieden mit der Beratung in den Transfergesellschaften. Deshalb kommen die Studienautoren zu dem Schluss, dass zwar nicht alles in Ordnung sei, dem Klischee vom „‚Parkplatz für Überzählige‘ [...] ohne arbeitsmarktpolitischen Nutzen“ könne jedoch entschieden widersprochen werden. Jedenfalls dann, wenn sich die Transfergesellschaft stärker „auf abschlussbezogene und investive Qualifizierungen [fokussiere], als dies in der bisherigen Praxis von Transfergesellschaften der Fall ist.“
Heißt: Wenn die Transfergesellschaft ordentlich geführt ist und jedem Mitarbeiter gemäß seiner Fähigkeiten Weiterbildungen anbietet – was derzeit nicht so sei – könnten Menschen einen neuen Job finden. So lange sowohl dem 62-jährigen Ingenieur als auch der 27-jährigen Flugbegleiterin empfohlen wird, doch irgendwas mit Computer oder Pflege zu machen, bleibt die Transfergesellschaft wohl ein Parkplatz für all diejenigen, die nicht aus eigener Kraft einen neuen Job finden – ob jetzt bei Eurowings, einer anderen Airline oder eben auch der Bundeswehr.