




Jetzt geht es nur noch ums Geld: Für die Fluggesellschaft Air Berlin ist am ersten November das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Den Flugbetrieb stellte das Unternehmen schon am Freitag vergangener Woche ein. Die Fluglinie Easyjet will bis zu 1000 Piloten und Flugbegleiter übernehmen. Außerdem sollen bis zu 1200 Mitarbeiter aus der Air-Berlin-Verwaltung in einer Transfergesellschaft unterkommen.
Für die meisten Air Berlin-Mitarbeiter geht es also um ihre persönliche Existenz und berufliche Zukunft. Trotzdem sollten sich jetzt noch um ein Arbeitszeugnis bemühen. Das gilt nicht nur für die Beschäftigten der Fluglinie, sondern für jeden, dessen Arbeitgeber in der Krise steckt.
Rechtsanspruch auf ein Arbeitszeugnis gilt auch bei Insolvenz
Wer lange bei einem Arbeitgeber war, wie es bei Air Berlin der Fall gewesen sein dürfte, hat wahrscheinlich lange keine aktuelle Leistungsbeurteilung oder Zwischenzeugnis mehr erhalten. Und wie sah es aus mit regelmäßigen Mitarbeiterbeurteilungen?
Zur Person
Christina Kock ist von Hause aus diplomierte Bank-Betriebswirtin. Darüber hinaus ist sie Inhaberin der Karriere- und Outplacementberatung Dom Consulting. Ihr Schwerpunkt ist die Beratung von Fach- und Führungskräften in beruflichen Veränderungsprozessen.
Auch wenn das in der Insolvenz zunächst nachrangig erscheinen mag: Die Mitarbeiter haben einen Anspruch darauf, dass ein qualifiziertes Arbeitszeugnis ihre berufliche Laufbahn dokumentiert.
Das Gesetz bestimmt, dass:
- das Zeugnis „Leistung und Führung“ (§ 630 Bürgerliches Gesetzbuch) und Verhalten (§ 109 Gewerbeordnung)“ beschreiben muss.
- „Es muss klar und verständlich formuliert sein“.
- „Es darf keine Merkmale oder Formulierungen enthalten, die den Zweck haben, eine andere als aus der äußeren Form oder aus dem Wortlaut ersichtliche Aussage über den Arbeitnehmer zu treffen“ (§ 109 Gewerbeordnung).
Etabliert hat sich der Begriff vom „Wohlwollenden Zeugnis“. So weit, so klar.
Diese Urteile zu Arbeitszeugnissen sollten Sie kennen
Ein Arbeitgeber, der schuldhaft seine Zeugnispflicht verletzt, schuldet dem Arbeitnehmer Ersatz des dadurch entstehenden Schadens. Der Schadensersatzanspruch kann sowohl wegen Schlechterfüllung (positive Vertragsverletzung) wie auch wegen Schuldnerverzugs (§ 286 BGB) gegeben sein. In beiden Fällen setzt der Schadensersatzanspruch voraus, dass das Zeugnis nicht gehörig oder verspätet ausgestellt wurde, dass dem Arbeitnehmer ein Schaden entstanden ist und dass der eingetretene Schaden auf der schuldhaften Verletzung der Zeugnispflicht beruht.
- LAG Hamm 11.7.1996 - 4 Sa 1534/95 und BAG 16.11.1995 - 8 AZR 983/94
Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft seine Pflicht, dem Arbeitnehmer das in § 73 HGB näher beschriebene Zeugnis zu erteilen, so haftet er dem Arbeitnehmer für den Minderverdienst, der diesem dadurch entsteht, dass er bei Bewerbungen kein ordnungsgemäßen Zeugnis vorweisen kann.
- BAG 26.2.1976 - 3 AZR 215/75
Seinen Anspruch auf Schadensersatz wegen eines nicht ordnungsgemäßen Zeugnisses muss ein Arbeitnehmer mit den notwendigen Angaben einschließlich der Mitteilung der ungefähren Höhe seiner Schadensersatzforderung innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist dem Arbeitgeber geltend machen. Im Sinne tariflicher Ausschlussfristen, die für ihren Beginn auf die Fälligkeit des Anspruches abstellen, wird ein Schadensersatzanspruch frühestens fällig, sobald der Gläubiger (Arbeitnehmer) vom Schadensereignis Kenntnis erlangt hat oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis hätte erlangen können.
- LAG Hamm 11.7.1996 - 4 Sa 1534/95
Wenn das Verhalten eines Arbeitnehmers nach seinem Ausscheiden bei seinem bisherigen Arbeitgeber nur so aufgefasst werden kann, der er dem ihm von seinem Arbeitgeber ausgestellten Zeugnis keine besondere Bedeutung beimesse, ergibt sich hieraus, dass er den Arbeitgeber über fünf Monate nach seinem Ausscheiden mit Schadensersatzansprüchen wegen Formulierungen des Zeugnisses nicht mehr überziehen kann.
- BAG 17.10.1972 - 1 AZR 86/72
Macht der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch geltend, weil er wegen des fehlenden ordnungsgemäßen Zeugnisses einen Verdienstausfall erlitten habe, so muss er darlegen und ggf. beweisen, dass ein bestimmter Arbeitgeber bereit gewesen sei, ihn einzustellen, sich aber wegen des fehlenden Zeugnisses davon habe abhalten lassen.
- LAG Hamm 11.7.1996 - 4 Sa 1534/95
Der Begriff "Geltendmachung eines Anspruchs" bedeutet, dass der Gläubiger (Arbeitnehmer) sein Begehren auf Erfüllung einer Forderung dem Schuldner (Arbeitgeber) gegenüber unmissverständlich zum Ausdruck bringen muss. Für den Schuldner muss dabei ersichtlich sein, um welche Forderung es sich handelt. Sieht eine Ausschlussklausel vor, dass Ansprüche innerhalb einer bestimmten Frist nach Fälligkeit geltend gemacht werden müssen, so ist der Gläubiger verpflichtet, bei der Geltendmachung den Grund des Anspruchs und auch die ungefähre Höhe seiner Forderung zu beziffern, damit der Schuldner sich darüber schlüssig werden kann, wie er sich verhalten soll.
- LAG Hamm 11.7.1996 - 4 Sa 1534/95
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Nichterteilung, die verspätete Erteilung oder die Erteilung eines unrichtigen Zeugnisses für einen Schaden des Arbeitnehmers ursächlich gewesen ist, liegt beim Arbeitnehmer. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass bei leitenden Angestellten allein das Fehlen eines Zeugnisses für erfolglose Bewerbungen um einen anderen Arbeitsplatz ursächlich gewesen sei. Macht der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch geltend, weil er wegen des fehlenden ordnungsgemäßen Zeugnisses einen Verdienstausfall erlitten habe, so muß er darlegen und ggf. beweisen, dass ein bestimmter Arbeitgeber bereit gewesen sei, ihn einzustellen, sich aber wegen des fehlenden Zeugnisses davon habe abhalten lassen. Dem Arbeitnehmer kommen dabei die Beweiserleichterungen nach § 252 Satz 2 BGB und § 287 ZPO zugute.
- BAG 16.11.1995 - 8 AZR 983/94
Hat der frühere Arbeitgeber rechtswidrig und schuldhaft eine unrichtige Auskunft erteilt, wobei er sich das Verschulden eines Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfen zurechnen lassen muss (§§ 278 und 831 BGB), und es entsteht dadurch dem Arbeitnehmer ein Schaden, etwa weil es deshalb nicht zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages gekommen ist, so ist er dem Arbeitnehmer zum Schadensersatz, ggf. in Höhe des beim neuen Arbeitgeber entgangenen Verdienstes verpflichtet. Im Prozess muss allerdings der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass der potentielle Arbeitgeber bereit gewesen wäre, ihn einzustellen und wegen der (unrichtigen) Auskunft davon Abstand genommen hat.
- LAG Berlin 8.5.989 - 9 Sa 21/89
Erteilt ein Arbeitgeber über einen ehemaligen Arbeitnehmer an einen zu dessen Einstellung bereiten Dritten eine fehlerhafte Auskunft und führt dies zu einer Ablehnung des Bewerbers, so hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die entgehende Vergütung zu ersetzen.
- LAG Hamburg 16.8.1984 - 2 Sa 144/83
Erteilt ein Arbeitgeber über seinen früheren Arbeitnehmer schuldhaft unrichtige Auskünfte und führt dies dazu, dass ein zur Einstellung bereiter Arbeitgeber eben wegen dieser Auskünfte Abstand von der beabsichtigten Einstellung des Arbeitnehmers nimmt, kann dieser vom ehemaligen Arbeitgeber Schadensersatz für den beim ("neuen") Arbeitgeber entgangenen Verdienstes verlangen. 2. In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass ein Arbeitgeber bereit gewesen wäre, ihn einzustellen und sich dann aber wegen der unrichtigen Auskunft des ehemaligen Arbeitgebers davon hat abhalten lassen.
- LAG Frankfurt/M. 20.12.1979 - 12/10 Sa 28/79
Hat der Aussteller eines Zeugnisses nachträglich erkannt, dass dieses grob unrichtig (trotz erheblicher Unredlichkeiten fälschlich: "Wir kennen ... als zuverlässigen und verantwortungsbewussten Mitarbeiter") ist, und dass ein Dritter durch Vertrauen auf dieses Zeugnis Schaden zu nehmen droht, dann haftet er für den durch die Unterlassung einer Warnung entstandenen Schaden.
- BGH 15.5.1979 - VI ZR 230/76
Durch das Verschweigen der strafbaren Handlungen und der darauf gestützten fristlosen Entlassung unter Hervorhebung nur der günstigen, auf eine Vertrauensstellung hinweisenden Tatsachen hat der ausstellende Arbeitgeber gegen die guten Sitten verstoßen. Ein Arbeitgeber, der im Zeugnisse umfangreiche Unterschlagungen des Arbeitnehmers nicht erwähnt, kann sich gegenüber den Schadensersatzansprüchen des geschädigten neuen Arbeitgebers keinesfalls darauf berufen, dieser habe wegen der Nichterwähnung der Ehrlichkeit Bedenken gegen die Vollständigkeit des Zeugnisses bekommen müssen.
- BGH 22.9.1970 - VI ZR 193/69
Das Zeugnis soll von verständigem Wohlwollen getragen sein. Diese Rücksichtnahme muss aber dort ihre Schranken finden, wo sich das Interesse des künftigen Arbeitgebers an einer zuverlässigen Beurteilungsgrundlage aufdrängt. So fällt es bei einer Gesamtbetrachtung ins Gewicht, dass der Arbeitnehmer (Erzieher) Gelder, die ihm von seinen Schützlingen anvertraut worden waren, unterschlagen hatte. Mit der Wirklichkeit stand es daher in offenbarem Widerspruch, dass dem Arbeitnehmer im Zeugnis bescheinigt wurde, er sei "uns eine wertvolle Stütze auf dem Gebiet der Bekämpfung und Verwahrlosung der Jugend" gewesen. Dieses Zeugnis verstößt gegen die guten Sitten, so dass der ausstellende Arbeitgeber dem nachfolgenden Arbeitgeber, der dem Arbeitnehmer in Vertrauen auf das Zeugnis Geldangelegenheiten anvertraut hat, wegen dort erneut begangener Unterschlagen schadensersatzpflichtig ist.
- BGH 26.11.1963 - VI ZR 221/62
Es verstößt gegen die guten Sitten, die Unterschlagung durch einen Prokuristen nicht im Zeugnis anzugeben. Die Schutzbedürftigkeit eines im Beruf straffällig gewordenen Angestellten muss gegenüber dem Interesse des zukünftigen Arbeitgebers, die wahre Sachlage zu erfahren, zurücktreten. Schadensersatz ist jedoch seitens des Ausstellers nur bei Vorsatz zu leisten.
- OLG Hamburg 14.12.1954 - 1 U 212/54
Wenn der Arbeitnehmer die Erwähnung seiner Betriebsratszugehörigkeit im nicht wünscht und sie doch erfolgt, so haftet der Arbeitgeber für den evtl. Schaden, wenn mit einem solchen zu rechnen ist.
- LAG Frankfurt/M. 18.2.1953 - II LA 22/53
Doch bei Air Berlin müssen jetzt Tausende Zeugnisse mehr oder weniger auf einmal erstellt werden. Wer soll das jetzt leisten? Zeugnisse schreiben ist Arbeit. Da müssen Personalakten gewälzt werden, um die inhaltlichen Bausteine der Beschäftigung und Karriere zusammenzustellen, Vorgesetzte (sofern die überhaupt noch da sind) befragt werden, um etwas zur qualitativen Bewertung der Person und Leistung aussagen zu können und Texte verfasst werden.
Viele Unternehmen reihen einfach Textbausteine aneinander
Das Risiko ist jetzt außerordentlich hoch, nur noch ein 08/15 Standardpapier zu bekommen, das nichts oder wenig mit der individuellen Leistung des Mitarbeiters oder der Führungskraft zu tun hat – denn die sitzen ja aufgrund der Insolvenz alle in einem Boot.
Schon bei einer normalen Trennung von einem Arbeitgeber hat dieser oft gar kein Interesse mehr daran, Zeit und damit Geld in einen scheidenden Mitarbeiter zu investieren, der ja betriebswirtschaftlich dem Unternehmen nichts mehr bringt. Daher ist Zeugnissen oft anzumerken, dass sie lieblos und ohne wirkliche individuelle Wertschätzung verfasst werden. Im schlechtesten Fall setzen sie sich aus Textbausteinen zusammen, die elektronisch aus einem Notensystem der jährlichen Mitarbeiterbeurteilung gezogen werden. Nicht nur deswegen verlieren Zeugnisse leider an Bedeutung.





Kleines Beispiel:
„Auf der Basis seiner sehr guten Auffassungsgabe überblickte er auch schwierige Situationen sofort, analysierte komplexe Zusammenhänge zutreffend und arbeitete sich umgehend in neue Themenfelder ein“.
Hört sich doch ganz gut an? Aber was haben schwierige Situationen und neue Themenfelder miteinander zu tun? Richtig – gar nichts. Hier werden verschiedene Faktoren aneinandergereiht, die sehr gut getrennt beschrieben und bewertet werden können.