Was ist dagegen einzuwenden?
Ich weiß, dass das eine demokratische, leistungsorientierte Gesellschaft ungern hört: Ein großer Autor oder Künstler ist ebenso eine unkalkulierbare, seltene Ausnahme wie ein glücklicher Angestellter. Für die meisten von uns bleibt die Wirklichkeit hinter den Erwartungen zurück. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass unser Potenzial zum großen Geldsegen führt oder außergewöhnliche Dinge hervorbringt.
Ist es nicht beruhigend, dass jeder durch Arbeit sein Glück finden kann?
Ich finde das gedankenlos und grausam. Das soll nicht heißen, dass uns Arbeit niemals glücklich machen kann – bloß tut sie es selten. Wenn aber die Ausnahme zur Regel erklärt wird, leiden wir unter unseren jeweiligen Missgeschicken wie an einem eigens gegen uns ausgesprochenen Fluch. Es ist heutzutage leichter als jemals zuvor, sich ein gutes Auskommen zu sichern. Aber es ist schwieriger denn je, ruhig und frei von Karriereangst zu bleiben.
Kulturpessimisten schieben es darauf, dass wir zu gierig und materialistisch sind.
Das glaube ich nicht. Wir leben schlichtweg in einer Gesellschaft, die bestimmte emotionale Belohnungen an materielle Güter geknüpft hat. Wir wollen nicht die materiellen Güter. Wir wollen die Belohnungen.
Was ist daran falsch?
Nichts. Aber niemals zuvor waren die Erwartungen höher, was Menschen in ihrer Lebenszeit erreichen können. Wir leben jetzt in einem System, in dem jeder in die Position aufsteigen kann, die ihm gefällt. Hinzu kommt eine Art Geist der Gleichheit: Es gibt keine strikt definierten Hierarchien.
Klingt nach einer schönen Idee.
Einerseits ja, aber dabei gibt es ein großes Problem: Das vorherrschende Gefühl in der modernen Gesellschaft ist Neid, und das hängt mit dem Geist der Gleichheit zusammen.
Wie meinen Sie das?
Wir haben die ganze Welt in eine Schule verwandelt. Jeder Mensch trägt Jeans, jeder ist scheinbar gleich. Das kann allerdings Stress auslösen. Wahrscheinlich ist es heute ebenso unwahrscheinlich, so reich und berühmt wie der Microsoft-Gründer Bill Gates zu werden, wie es im 17. Jahrhundert war, Teil des französischen Adels zu werden. Aber es fühlt sich nicht so an. Vielmehr wird uns das Gefühl vermittelt, dass man nur Energie braucht, ein paar kluge Ideen und eine Garage, um eine große Sache zu starten.
Wer Talent, Energie und Willen hat, gelangt an die Spitze – glauben Sie das nicht?
Wenn Sie das wirklich glauben, dann glauben Sie auch daran, dass diejenigen am unteren Ende der Gesellschaft das genauso verdient haben. Deshalb gibt es in den Industrieländern mehr Suizide – weil sich die Menschen das, was ihnen zustößt, extrem zu Herzen nehmen. Ihren Erfolg – aber eben auch ihr Versagen.
Sehen Sie einen Ausweg?
Die Vorstellung, dass jeder bekommt, was er verdient, ist völlig verrückt. Davon müssen wir uns dringend lösen. Es gibt einfach zu viele Zufallsfaktoren. Unfälle bei der Geburt, Unfälle, bei denen Menschen Dinge auf den Kopf fallen. Wer ständig immer nur sagt, dass es möglich ist, alles zu erreichen, wird viele verbitterte und wütende Menschen heranzüchten.
Echte Arbeitsfreude statt mantraartiger Selbstmotivation - so geht's
Wenn wir etwas Neues in Angriff nehmen, sind wir hellwach und lebendig. Herausforderungen stellen deshalb eine ausgezeichnete Glücksquelle dar. Wir können Zusammenhänge erforschen, wir lernen, wir gehen Risiken ein, müssen improvisieren, erfinderisch sein, Hindernisse aus dem Weg räumen usw. Das Erleben steht im Vordergrund. Wer so arbeitet, denkt nicht daran, zwischendurch auf die Uhr zu sehen und der Feierabend kommt überraschend.
Quelle: Diplom-Psychologin Marion Lemper-Pychlau
Das, womit sich der Geist beschäftigt, das wächst. Konzentrieren wir uns auf all die Faktoren, die Anlass zur Unzufriedenheit geben, dann wächst unweigerlich die Unzufriedenheit. Empfinden wir hingegen Dankbarkeit für die Dinge, die in Ordnung sind, wächst die Zufriedenheit. Alles nur eine Frage der Wahl...
Als soziale Wesen sind wir auf nährende Beziehungen angewiesen. Gerade im beruflichen Stress tut es gut, öfter mal ein Lächeln und ein aufmunterndes Wort geschenkt zu bekommen. Eine lockere Plauderei, gemeinsames Lachen, ein bisschen Anteilnahme – es braucht nicht viel, um Verbundenheit herzustellen. Jeder kann damit anfangen, solch eine Kultur der Freundlichkeit und des gegenseitigen Wohlwollens zu etablieren. Ein wenig Wärme im rauen Tagesgeschäft ist ein wertvoller Wohlfühlfaktor.
In der Arbeitswelt geht es den meisten um Gewinn und groß ist die Befürchtung, man könnte zu kurz kommen. Dahinter steht die unreflektierte Überzeugung, dass wir um so glücklicher sein werden, je mehr wir bekommen. Diese Überzeugung ist falsch. Denn wir sind alle Opfer des Gewöhnungseffekts: Was auch immer wie bekommen, wir gewöhnen uns daran und wollen dann um so mehr. So werden wir zu Getriebenen.
Beständiger hingegen ist das Glück des Gebens, ebenfalls eine Erfindung der Evolution. Wenn wir etwas für andere tun, nutzt das häufig mehr uns selbst als dem Empfänger unserer Wohltaten. Die Natur belohnt Selbstlosigkeit mit Glücksgefühlen, weil sie früher einmal unmittelbar dem Überleben der Art diente. Der Mechanismus funktioniert auch heute noch hervorragend. Und ganz nebenbei erweist sich großer Einsatz oft auch als sehr förderlich für die eigene Karriere...
Fremdbestimmung ist der Arbeitsfreude abträglich. Das Gefühl, nur ein Befehlsempfänger zu sein, lässt kein Glück zu. Wir können in solch einer Situation jedoch zum versierten Detektiv für Spielräume werden. Kleine Spielräume finden sich immer. Es ist sehr beglückend, sie auf persönliche und eigenwillige Weise zu nutzen. Wir wollen gestalten und der Welt unseren eigenen Stempel aufdrücken – das liegt in unserer Natur. Auch wenn es nur im Kleinen geschieht, so fühlt es sich doch sehr gut an.
Und dabei kann die Philosophie helfen?
Ja. Die westliche Tradition kennt eine ruhmreiche Alternative zum amerikanischen „Yes, we can“: die Tragödie. Sie war im Kern eine Kunstform, die sich damit beschäftigte, wie Menschen scheitern. Wir können daraus etwas sehr Wertvolles lernen: Manchmal scheitern die Guten.
Das wollen Sie Ihren Kindern beibringen?
Unbedingt! Wenn ich ihnen beibringe, dass nur die schlechten Menschen scheitern, und sie scheitern dann eines Tages mal: Was dann?