Alain de Botton über Work-Life-Balance Warum Arbeiten uns nur selten glücklich macht

Der Philosoph Alain de Botton verachtet den Begriff Work-Life-Balance. Denn seinen Beruf als Quelle des Glücks oder gar als Berufung zu empfinden, ist für ihn Teil unseres heutigen Unglücks. Was stattdessen hilft.

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Der Philosoph Alain de Botton sitzt in seinem Arbeitszimmer in London. Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr de Botton, macht Ihr Beruf Sie glücklich?
Alain de Botton: Ja, leider schon.

Warum leider?
Wir sind die erste Gesellschaft, die Arbeit nicht nur als Strafe empfindet, sondern als Quelle des Glücks. Das ist einerseits eine Errungenschaft, andererseits wird unsere Identität erheblich von der Wahl unserer Beschäftigung bestimmt ...

... deswegen fragen wir Fremde meist zuerst, was sie beruflich machen.
Und je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, sind Menschen entweder unglaublich froh, einen zu sehen, oder sie schauen auf ihre Uhr und entschuldigen sich.

Je höher das Gehalt, desto mehr Überstunden
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Welche Frage stellen Sie denn lieber?
Was interessiert Sie im Moment? Was regt Sie auf? Was macht Sie traurig? Wer jemanden wirklich kennenlernen will, sollte lieber solche Fragen stellen. Stattdessen fragen die meisten nach dem Beruf. Weil sie davon ausgehen, dass der Weg zu einer bedeutungsvollen Existenz unweigerlich durch das Tor der lukrativen Beschäftigung führt.

So ist es nicht immer gewesen.
Nein. Aristoteles zum Beispiel glaubte fest daran, dass seelische Zufriedenheit und bezahlte Arbeit unvereinbar sind. Körperliche Arbeit führte erst recht zu geistiger Deformation. Die Bürger konnten Musik und Philosophie nur dann genießen, wenn sie ein Leben in Muße führten.

Wann änderte sich das?
Mit Beginn der Renaissance. In den Biografien von Leonardo da Vinci oder Michelangelo gibt es erstmals Hinweise darauf, dass praktische Beschäftigung Freude machen kann.

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Vorher hatten zufriedene Menschen viel Freizeit, jetzt hatten sie viel Arbeit.
Genau. Betätigungen ohne finanzielle Entlohnung wurden jeglicher Bedeutung beraubt, sie waren etwas für dekadente Dilettanten. Zuvor schien es unmöglich, arbeiten zu müssen und Mensch sein zu können. Nun schien es unmöglich, nicht zu arbeiten und trotzdem glücklich zu sein.

Das beeinflusst uns noch heute: Alle sind scheinbar auf der Suche nach ihrer Berufung.
Ein merkwürdiger und unglückseliger Begriff. Er kam bereits im Mittelalter auf, damals aber in völlig anderem Zusammenhang. Man verstand darunter die Reaktion eines Menschen auf die plötzliche innere Anweisung, sich gänzlich den Lehren Jesu zu widmen. Das Wort Berufung ist heute Teil unseres Unglücks.

Wie meinen Sie das?
Wir sind Sklaven der Erwartung, dass uns der Sinn des Lebens irgendwann zwangsläufig klar wird und wir danach für immer gegen negative Gefühle gefeit sind. Dabei sagte der berühmte Psychologe Abraham Maslow: „Zu wissen, was wir wollen, ist nicht normal, sondern das seltene und nur mühevoll zu erringende Resultat einer psychologisch recht komplexen Leistung.“

Was raten Sie also?
Wir müssten viel geduldiger sein und darüber nachdenken, was wir wirklich vom Leben wollen. Stattdessen geraten wir bei der ersten Unzufriedenheit in Panik. Aber diese negativen Gefühle sind für eine Weile nicht nur normal, sondern notwendig: Meist müssen wir unsere wahre Bestimmung eben mühsam zusammenreimen.

Wir Deutschen tun uns mit dem Scheitern schwer, sagt man. Doch mancher gefällt sich als Retter und Krisenmanagers - so wie Matthias Härzschel. Er machte Scheitern zur Passion. Auf Dauer tat ihm das nicht gut.

Sachbuchautoren predigen aber gerne, wir könnten alles erreichen, solange wir nur wollen.
Ein gefährlicher Gedanke. Ich bin kein Nostalgiker und sage nicht, dass früher alles besser war. Aber Fakt ist, dass die Gesellschaften damals stärker hierarchisch geprägt waren. Das Schicksal des Einzelnen war also vorwiegend durch die Zufälle der Geburt bestimmt.

Das ist doch schrecklich.
Auf die eine Art natürlich. Andererseits hing damals der Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern nicht davon ab, wie nachdrücklich man „Ich kann alles schaffen, wenn ich nur will“ sagte. In der modernen, leistungsorientierten und sozial mobilen Welt hängt der eigene Status hingegen vor allem vom Selbstvertrauen ab, andere zu überzeugen.

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