Herr Sauberschwarz, Sie haben vor 10 Jahren „Venture Idea“ gegründet und sind als Fünf-Personen-Team von der WirtschaftsWoche mit dem „Best of Consulting Award“ für „Innovation & Wachstum“ ausgezeichnet. Was machen Sie so anders als andere Unternehmensberatungen?
Lucas Sauberschwarz: Eigentlich bedienen wir uns als Wirtschaftswissenschaftler klassischer Methoden: Zielsetzung, Situationsanalyse, Strategieentwicklung. Aber genau das geht im New-Work-Hype oft verloren. Aktionismus ersetzt das Reflektieren: Viele Konzerne bilden blindlinks Hubs und Innovation Labs oder probieren neue Methoden wie agiles Arbeiten oder Design Thinking aus. Wenn die jedoch nicht zu den Zielen, der Organisationsstruktur und der Unternehmenskultur passen, kann es gefährlich werden: Kreativitätstechniken wie Design Thinking werden oft der Komplexität großer Unternehmen gar nicht gerecht, und Innovation Labs haben nachweislich auch nach Jahren kaum etwas zum betriebswirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen beigetragen.
Gerade die etablierten Unternehmen brauchen aber neue Ansätze, um in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt Schritt halten zu können.
Lysander Weiß: Der beste Ansatz, Umsatz und Gewinn zu steigern – und darum geht es ja letztlich immer – ist, die Produktivität und Kreativität der Mitarbeiter zu fördern. Und der Hebel dafür ist nachweislich die Mitarbeiterzufriedenheit: Denn nur Mitarbeiter, die einen „Good Job“ haben, machen auch einen guten Job! Das haben insbesondere die Manager großer Konzernen oft noch nicht verstanden: Mitarbeiterzufriedenheit ist kein Kuschelthema, sondern heutzutage einer der wenigen Ansätze, mit denen sich Umsatz und Gewinn noch maßgeblich steigern lassen – Harvard-Studien zufolge sind zufriedene Mitarbeiter drei Mal kreativer und dadurch auch 31 Prozent produktiver! Oft versandet das Thema Mitarbeiterzufriedenheit aber im Recruiting oder Employee Branding, ohne dass es nachhaltig eingesetzt oder weiterverfolgt wird.
Damit sind wir beim Titel Ihres Buches, „Good Job: Neue Impulse für eine absurde Arbeitswelt“. Was sind denn Ihrer Meinung nach die größten Absurditäten?
Lysander Weiß: Absurditäten sind eigentlich alle Verhaltensweisen, die wir verinnerlicht haben, weil wir sie „schon immer so gemacht haben“, oder weil „man das halt so macht“. Und das, obwohl sie reflektiert eigentlich gar nicht sinnvoll sind und verhindern, dass Mitarbeiter einen guten Job haben – und auch, dass sie einen guten Job machen!
An welche Absurditäten denken Sie da ganz konkret?
Lysander Weiß: Dies können sozial erwünschte Verhaltensweisen sein, zum Beispiel extra lange zu arbeiten, um Präsenz zu zeigen, obwohl gar nichts mehr zu tun ist. Interessant wird es auch, wenn Unternehmen reflexartig New-Work-Maßnahmen wie Selbstorganisation und agiles Arbeiten einführen, ohne an der entsprechenden Unternehmenskultur zu arbeiten. Wenn der Vorgesetzte Leistung beispielsweise immer noch an der Arbeitszeit misst, dann darf ich mir zwar die Arbeit selbst einteilen, bleibe aber trotzdem bis zuletzt im Büro oder schicke E-Mails aus dem Homeoffice erst nachts raus, um Eindruck zu schinden. Ebenso wenig hilfreich ist es, wenn der Chef Duzen, Kapuzenpulli und Turnschuhe plötzlich zur neuen Pflichtkultur erhebt, statt dafür zu sorgen, dass Mitarbeiter ihre eigene Persönlichkeit und ihre Kompetenzen einbringen können.
Immer mehr Unternehmen setzen auf Großraumbüros, um Teamgeist und Austausch zu fördern und natürlich auch, um Kosten zu sparen.
Lucas Sauberschwarz: Ja, auch diese „Open Offices“ sind ein passendes Beispiel, da sich dort nicht nur Krankheiten und Lautstärke schneller verbreiten, sondern auch die eigentlich beabsichtigte Kommunikation sogar oft abnimmt, weil jeder noch aktiver seine Privatsphäre sucht. Es gibt noch unzählige weiterer solcher Maßnahmen, bei denen im Zuge des New Work-Hypes die Arbeitswelt oft verschlimmbessert wird, da einfach „die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird“. Das ist oftmals tatsächlich absurd, und manchmal sogar gefährlich für den Erfolg der Unternehmen – wir nennen das dann den „Reflextod“.
Sieben Absurditäten der neuen Arbeitswelt
Noch immer wird über Bewerber zu über 90 Prozent nach dem bisherigen Lebenslauf entschieden, obwohl historische Daten kaum etwas über zukünftige Leistung aussagen – vor allem in Jobs, die oftmals gar kein eindeutiges Aufgabenprofil mehr haben. Wichtiger sind Persönlichkeit, Zukunftspläne, Kompetenzen. Diese werden oft nicht berücksichtigt.
Was früher Bonus, Dienstwagen und Eckbüro waren, sind heute Obstkorb, iPhone und schicke Co-Working-Spaces. So setzen Unternehmen immer noch auf äußere Anreize statt der inneren Motivation Raum zur Entfaltung zu geben. Etwa mit Selbstbestimmung, Wertschätzung und passenden Aufgaben!
Statt Excel-Kurs werden jetzt digitale Kompetenzen gelehrt, Raum zur persönlichen Weiterentwicklung ist aber meistens immer noch nicht gegeben. Intrapreneurship-Programme für unternehmerischen Freiraum im Unternehmen, Sabbaticals, flexiblere Weiterbildungsbudgets zeigen, wie es auch anders geht!
Flache Hierarchien sind der neueste Schrei – und der Chef sitzt womöglich auch noch mit im Großraumbüro. Wichtiger wäre es jedoch meistens, an einer wertschätzenden Haltung auf Augenhöhe zu arbeiten. Denn dann sind auch Hierarchien kein Problem mehr.
Vertrauensarbeitszeit und Home Office werden eingeführt, während im Gedankengut noch fest verankert ist, dass ausufernde Arbeitszeit die Leistung zeigt. Deshalb wird auch so manche E-Mail gern noch später von zu Hause abgeschickt. Besser ist, an gemeinsamen Zielen zu arbeiten, die ergebnisbasiertes Arbeiten ermöglichen. Dann ist es auch tatsächlich egal, wo und wie lange jemand arbeitet.
Mitarbeiter werden in Open Offices, früher Großraumbüro genannt, gesteckt – womöglich noch ohne eigenen Schreibtisch, um „agiler“ zu arbeiten (und natürlich Kosten zu sparen). Dabei ist nicht jede Aufgabe für ein Open Office geeignet, und nicht jeder Mitarbeiter kann sich dort konzentrieren. Deshalb gilt es, den individuell richtigen Platz für die Mitarbeiter und ihre Aufgaben zu bestimmen.
Work-Life-Blending löst die Work-Life-Balance ab und Mitarbeiter sind nun immer erreichbar, Stichwort 24/7. Wenn nicht gleichzeitig auch dafür gesorgt wird, dass Mitarbeiter sich selbst organisieren können und Sinn in ihrer Arbeit sehen, führt dies aber eher zum Burnout als zum „Good Job“!
Und was sind dann Ihre Impulse für eine neue Arbeitswelt mit zufriedenen Mitarbeitern?
Lucas Sauberschwarz: Nach dem Motto „Reflexion statt Reflex“ ist es uns wichtig, mit unseren Aktivitäten zunächst einmal ein Bewusstsein für diese Absurditäten zu schaffen. Wir wollen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dazu einladen, ihre Verhaltensweisen zu hinterfragen, um auf dieser Basis die Voraussetzungen für „gute Arbeit“ zu schaffen. Eine Lösung könnte beispielsweise sein, an der Haltung der Führungskräfte zu arbeiten, statt von heute auf morgen Hierarchien abzubauen. Oder allen Mitarbeitern tatsächlich mehr Selbstbestimmungsmöglichkeit in ihrer täglichen Arbeit zu geben, statt künstlich Motivationsprogramme aufzusetzen oder ausgewählte Mitarbeiter in Hubs einzusetzen. Ein gutes Beispiel ist auch das gängige Recruiting: Meist wird nur darauf geschaut, was Mitarbeiter in der Vergangenheit gemacht haben – und nicht darauf, was sie können und in Zukunft wollen.
„In der Selbstständigkeit lauern sehr viele Fallen, gerade keinen Good Job zu haben“
Was sind die größten Absurditäten, die Ihnen persönlich schon passiert sind?
Lysander Weiß: Mein Kollege erzählt gern, wie ihm in seiner Ausbildung bei einem großen Energieversorger gesagt wurde, er müsse lernen, langsamer zu arbeiten, weil er sonst nicht genug zu tun hätte. Ich selbst habe vor zwei Jahren noch erlebt, wie eine Führungskraft in einer Bank kommentierte, dass „man ja schließlich zum Arbeiten da sei und nicht zum Spaß haben“. Beispiele, die zeigen, wie aus Systemen Denkweisen werden, die schließlich so absurd sind, dass die Ziele dadurch verpasst werden. Denn natürlich wäre es nicht nur für mich, sondern auch für das Unternehmen besser, ich würde möglichst schnell arbeiten und dabei auch noch Spaß haben.
Und wie setzen Sie persönlich „gute Arbeit“ um?
Lucas Sauberschwarz: Wir leben das, was heutzutage New Work heißt, also Flexibilität, Mobilität, Arbeiten auf Augenhöhe, ja schon seit fast zehn Jahren. Wir haben alle schon bei verschiedensten Organisationen in unterschiedlichen Positionen und Rollen gearbeitet: Ich beispielsweise bei einem Beauty-Konzern, aber auch im Mittelstand sowie im Aufbau eines Start-ups – und jetzt eben als Geschäftsführer von Venture Idea mit meinen drei Partnern und Co-Autoren. Dabei ist Venture Idea das größte Experiment: Denn wir überlegen immer wieder aufs Neue: Wie muss unser Unternehmen ausgerichtet sein, um uns glücklich zu machen – und damit auch unseren Erfolg zu steigern. Dafür müssen auch wir die Regeln, die wir kennen, immer wieder infrage stellen.
Wie hat das bislang funktioniert?
Lucas Sauberschwarz: Venture Idea war von Anfang an als Experiment aufgesetzt, um die Gesetze der Arbeitswelt auszuhebeln und angeblich Widersprüchliches zusammenzubringen: Wir arbeiten beispielsweise alle an anderen Orten, vor allem, um Arbeit und Privatleben vereinbaren zu können. Aber auch hier gibt es kein Patentrezept: Ich habe zwei kleine Söhne und arbeite deshalb „Nine to Five“ in Düsseldorf – während Lysander Weiß der Liebe wegen in Paris lebt, Florian Lanzer gern vom Surfhostel aus arbeitet und Alexander Kornelsen sich im Zuge eines Projektes für einen Reisemobil-Anbieter zeitweise in einem VW Bully einquartiert.
Dies möglich zu machen ist jedoch kein Selbstläufer. In der Selbstständigkeit lauern sehr viele Fallen, gerade keinen Good Job zu haben – schließlich spricht man nicht umsonst von „selbst und ständig“. Und während eines Buchprojekts funktioniert die Nine-to-five-Regel dann auch nicht immer – wichtig ist aber, es immer wieder zu versuchen!
Sie und Ihre Partner und Mitautoren sind Unternehmensberater, Bestseller-Autoren, Wiwo-Award-Träger, Podcaster, Dozenten und Speaker, Partner und Väter – ist das auch New Work, dieses ständige Jonglieren?
Lucas Sauberschwarz: Das wirkt auf den ersten Blick ja tatsächlich eher überfordernd. Der Trick liegt jedoch darin, nicht möglichst viel zu machen, sondern alles, was einem wichtig ist, fokussiert anzugehen. Hier hat mich zum Beispiel das Buch „Big Five for Life“ von John Strelecky sehr inspiriert, das dazu anleitet, sich den großen Träumen im Leben zu widmen. Dabei setzte ich auch auf die in unserem Buch zitierte Methode von Shawn Anchor: sich jeden Abend drei Dinge bewusst machen, für die man dankbar ist. Das geht übrigens auch, wenn man (noch) keinen „Good Job“ hat.