Altersdiskriminierung „In jeder Lebensphase haben wir Kompetenzen“

Klaudia Bachinger Quelle: PR

Mit 40 Jahren bereits als Arbeitnehmer „schwer vermittelbar“? Die Plattform „Grow Wisr“ setzt sich für mehr Wertschätzung älterer Arbeitnehmer ein. Gründerin Klaudia Bachinger, selbst erst 32, kam durch ihre Oma darauf.

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Jüngst forderte Finanzminister Olaf Scholz die Unternehmer in Deutschland auf, ihre Einstellungspraxis in Bezug auf ältere Arbeitnehmer zu überdenken. Das Echo: mehr als mau. An diesem Dienstag beginnt die Zukunft Personal 2018 in Köln, die sich als europäische Leitmesse in Personalfragen definiert. Doch Altersdiskrimierung hat (fast) niemand auf die Agenda gesetzt. Klaudia Bachinger (32) ist die Co-Gründerin von Grow Wis(e)r, einer Bewegung, die mit dem Vortrag “Alter neu denken” auch ein Plädoyer für mehr Wertschätzung im Arbeitsleben hält.

WirtschaftsWoche: Trotz hunderter Vorträge ist der von Grow Wis(e)r anscheinend der einzige, der sich mit dem Potenzial von „Älteren“, konkret Babyboomern und Rentnern, beschäftigt – in den Hallen riecht es eher nach Krankengymnastik und Medizinbällen.
Klaudia Bachinger: Haha ja, das ist schon absurd nicht?! Noch absurder finde ich, dass viele Menschen in Führungspositionen weit über 45 sind und es trotzdem eine Diskriminierung gegenüber älteren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gibt. Das zeigt ein großes Problem in der Selbstwahrnehmung. Und auch in der Wahrnehmung von Potenzialen in den unterschiedlichen Lebensphasen. Mein Vorschlag ist, Altersvielfalt zu fördern und generationenübergreifende Teams zusammenzustellen, in denen die Jungen emotionale Intelligenz und Kommunikationsfähigkeit lernen und die Älteren einen besseren Umgang mit digitalen Medien.

„Alter neu denken“ haben Sie Ihren Vortrag von heute genannt – wofür genau plädieren Sie?
Ganz allgemein gesprochen müssen wir alle einfach mal aufhören, davor Angst zu haben, älter zu werden – sprich von Anti-Ageing zu einem Pro-Ageing-Denken kommen. Jede Lebensphase ist wertvoll, jede Lebensphase ist lebenswert und in jeder Lebensphase haben wir Kompetenzen und Potenziale, die wir wahrnehmen müssen. Für mich ist daher die Frage, ob ältere Menschen jüngeren ihre Jobs wegnehmen, Stichwort Jugendarbeitslosigkeit, eine absolut absurde Diskussion. Ein 50- oder 60-jähriger Mensch hat doch ganz andere Fähigkeiten und kann damit ganz anders in der Gesellschaft beitragen und mitarbeiten als ein 20- oder 30-Jähriger. Viel essentieller ist es doch, die Potenziale zu sehen, die jeder Einzelne in sich trägt und diese sinnvoll einzusetzen.

Altersdiskriminierung im Recruiting – ein Stichwort aus Ihrem Vortrag, das im Messeprogramm nicht vorkommt. Warum scheuen sich so viele, die Situation klar zu benennen?
Ja, das finde ich auch spannend! In den Feldforschungsinterviews, die wir zur Entwicklung unserer Plattform geführt haben, haben wir ganz oft von Personalverantwortlichen gehört, wie wichtig sie das Thema finden und dass sie alle Altersstufen willkommen heißen, ihren Fokus auf Diversität legen und so weiter. Danach haben sie sich aber nie wieder zurückgemeldet – geschweige denn, dass sie Interesse daran gehabt hätten, über eine Plattform wie WisR zu rekrutieren.

Hört sich nach Doppelmoral beziehungsweise politisch korrekten Antworten gemäß der (gesetzlichen) Vorgaben an.
Die ehrlichsten Antworten haben wir eigentlich von Headhuntern bekommen, die uns erzählt haben, dass nicht nur Matching-Algorithmen in den sozialen Netzwerken ein Faktor dafür sind, dass Lebensläufe älterer Bewerber in den Systemem ausgesiebt werden und es damit erst gar nicht auf den Tisch eines Recruiters schaffen, sondern vor allem die Recruiter und Recruiterinnnen und auch die Führungskräfte selbst, die die Auswahlkriterien bestimmen. Es gibt einen enormen Bedarf an Aufklärung und Sensibilisierung für das Thema Alter – und zwar vor allem bei den Entscheidungsträgern.

Heidi Klum hat den Slogan „40 sind die neuen 30“ geprägt – laut Ihrer Präsentation sind 60 dann die neuen 40 im Berufsleben?
Klar! Ich treffe tagtäglich Menschen, die knapp 60 oder darüber sind, extrem viel Lebenserfahrung haben und genauso viel von Technologie verstehen wie so mancher jüngere Bewerber. Und wenn man sich ansieht, welche Kompetenzen 2020 laut World Economic Forum am wichtigsten sein werden, sind es eben nicht die digitalen Fähigkeiten, sondern Skills wie komplexe Problemlösungsfähigkeiten, kritisches Denken, Kreativität, Mitarbeiterführung, Emotionale Intelligenz, Verhandlungsfähigkeiten, Service- und Kundenorientierung.

Hört sich gut an, aber warum will das keiner (an)erkennen?
Unternehmern wird aufgrund der demografischen Entwicklung gar nicht viel anderes überbleiben als ihren Talentpool zu vergrößern und auch in ältere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu investieren. Damit wird es eine Diskriminierung am Arbeitsmarkt aufgrund von äußerlichen, demografischen Merkmalen nicht mehr lange geben. Es wäre aus Unternehmensperspektive einfach zu teuer, nicht divers – also die ganze Vielfalt, auch an Alter – zu rekrutieren.

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