Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer „Diesen Mut zu springen kann man lernen“

Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer. Quelle: dpa

Lea-Sophie Cramer spricht über entscheidende Zufälle in Ihrer Karriere, die Frage, was es braucht, um Chancen zu ergreifen – und warum 50 Meter über die Gründung von Amorelie entschieden.

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Lea-Sophie Cramer ist Gründerin des wohl bekanntesten deutschen Erotik-Start-ups Amorelie. Anfang des Jahres wechselte sie in den Beirat des Unternehmens. Cramer wurde vom Bundeswirtschaftsministerium als „Vorbild-Unternehmerin“ ausgezeichnet und in die Capital „40 unter 40“ und Forbes „30 unter 30“ als führende Jung-Unternehmerin in Europa gewählt.

WirtschaftsWoche: Unternehmer erklären ihren Erfolg gerne mit ihrem Talent, ihrem Fleiß oder ihrer Kreativität. Dabei hat der Zufall meist einen viel entscheidenderen Einfluss. Wann hatten Sie Glück in Ihrer Karriere?
Lea-Sophie Cramer: Es gab zwei Zufälle, die meinem Leben eine entscheidende Wendung gegeben haben: Zwischen Schule und Studium habe ich ein Praktikum in Frankreich gemacht – und dort meinen damaligen Freund kennengelernt, der anschließend ein Studium an der WHU angefangen hat…

…So etwas wie die Kaderschmiede der deutschen Gründerszene…
Ich selbst habe zwar nach meinem Praktikum in Mannheim BWL studiert. Aber an jedem zweiten Wochenende war ich an der WHU in Vallendar. Später in Berlin, als ich gerade meinen ersten Job bei der Beratung BCG angefangen hatte, traf ich einen Freund von der WHU wieder. Er hat damals für Oliver Samwer Rocket Internet aufgebaut – und zu mir gemeint: BWL-Studium in Mannheim und Job bei BCG? Das ist auf alle Fälle Grund genug, dass Oli sich mal mit dir unterhalten würde.

Und diese Chance haben Sie genutzt.
Das Gespräch, das ich dann mit Oliver Samwer geführt habe, hat mich dazu veranlasst, noch in der Probezeit zu kündigen.

Mutig.
Der Sprung war eine echte Überwindung. Oliver Samwer hat mir gesagt: Du kannst hier alles werden – oder in zwei Wochen wieder raus sein.

Puh. Und dafür Ihren Job aufgegeben haben?
BCG war schon die absolute Topadresse. Es war ein sicherer Job, gut bezahlt – und ich wusste, wie viele den gerne gehabt hätten. Aber da war diese Versuchung: Vielleicht passt der Job bei Rocket Internet ja noch besser zu mir? Ich hatte das Gefühl: Da muss ich dabei sein.

Was hat Sie überzeugt zu springen?
Für mich sind die Samwers so etwas wie die Gründerväter der Berliner Start-up-Szene. Oliver Samwer war so entschieden, so schnell. Er ist enorme Risiken eingegangen – und dabei hat er solch eine Sicherheit ausgestrahlt. Ich bin dann nach Japan entsendet worden, um Groupon aufzubauen. Bald war ich für elf verschiedene Länder verantwortlich – und für ein Team von 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Was haben Sie bei Rocket Internet gelernt?
Diese Einstellung, ein Nein nicht zu akzeptieren. Wenn man denkt, es ist noch nicht richtig, so lange daran zu arbeiten, bis es auch richtig wird. Dieser Glaube, dass auch junge Leute, die zwar wenig Erfahrung haben, aber dafür viel Begeisterung, etwas Großes machen können. Ich habe diesen Gründergeist aufgesogen.

Und 2013 haben Sie mit Sebastian Pollok eigenes Unternehmen gegründet: Amorelie, einen Anbieter von Sextoys.
Und auch das war purer Zufall: Ich habe damals nach einer Idee gesucht und mich mit zig Leuten getroffen. Irgendwann stand ich bei einer dieser Netzwerkveranstaltungen schon etwas angetrunken neben jemandem, den ich noch von einem Praktikum kannte. Wir waren damals schon immer die letzten auf der Tanzfläche. Und dieser Jemand war Sebastian Pollok.

Die Geschichte von Amorelie hat also auf einer Tanzfläche begonnen?
Nicht ganz. Sebastian war damals gerade aus dem Silicon Valley zurück, wo er für einen Risikokapitalgeber gearbeitet hatte. Er wollte auch etwas eigenes machen. Und natürlich haben wir uns zum Lunch verabredet. Am nächsten Tag war ich mir aber schon sicher, dass ich das absage.

„Das Wasser wird wärmer“

Wieso?
Ich war so müde. Ich hatte einfach keine Lust mehr, Leute zu treffen und über Businesspläne zu sprechen.

Aber Sie haben dann doch zueinander gefunden.
Und auch das war Zufall: Das Restaurant, das Sebastian ausgesucht hat, war 50 Meter von meiner Wohnung entfernt. Und so habe ich mich doch aufgerafft. Als wir uns dann gegenüber saßen, hat es sofort Klick gemacht: Wir hatten die gleiche Passion. Und dort entstand schon die Idee zu Amorelie. Auf den 50 Meter zurück in meine Wohnung habe ich gedacht: Das ist es!

Fiel es Ihnen dieses Mal leichter zu springen?
Ja, ich habe mir selbst mehr vertraut. Wir haben damals schon die Opportunitätskosten durchkalkuliert. Uns war klar, wenn das schief geht, dann wären wir nicht nur mit einem Unternehmen gescheitert. Sondern mit dem Versuch, einen Shop fürs Liebesleben aufzubauen. Das ist ja ein sensibles Thema. Wir waren uns sicher, dass wir damit gerade bei großen Konzernen viele Türen zugefallen wären. Am Ende haben wir uns gesagt: Selbst wenn wir uns die Hälfte der Chancen verschließen, dann sind das vermutlich die Jobs, die für uns sowieso nicht die richtigen wären.

Das heißt, je häufiger man springt, desto leichter fällt es?
Ich denke schon, dass man da eine gewisse Erfahrung entwickelt: Ich weiß, dass ich mich im kalten Wasser wohl fühle. Letztlich ist dieses Bauchgefühl ja die Sammlung meiner Erfahrungen. Man durchdenkt es nicht, sondern erspürt: Ich kann das. Diesen Mut zu springen, kann man erlernen. Und dann kann man das auch genießen, weil man weiß: Das Wasser wird wärmer.

Denken Sie nicht, dass man der Typ dafür sein muss?
Ich mache tatsächlich ganz viele Sachen, die sich erst einmal unangenehm anfühlen, aber die mich weiterbringen. Ich habe letzte Woche zum Beispiel mit dem Boxen angefangen. Da wusste ich, dass ich erst einmal einen auf die Nase bekommen. Es macht mir Spaß, neue Dinge auszuprobieren. Aber das war nicht immer so.

Wie hat sich das denn geändert?
Als Kind war ich eher schüchtern. Wenn ich mit meinen Eltern essen war, habe ich extra langsam getrunken, weil ich Angst hatte, dass ich selbst mir beim Kellner ein neues Getränk bestellen müsste, wenn ich noch Durst habe. Und das habe ich mich nicht getraut.

Kann man sich heute kaum noch vorstellen.
Meine Eltern haben mich immer wieder sanft in diese neuen Situationen gedrückt. Meine heutige Extrovertierheit, die ist nicht antrainiert. Das bin ich. Aber ich brauchte jemanden, der mich immer wieder fordert. Und der mir gleichzeitig Sicherheit gibt.

Hat diese Rolle dann später, zu Beginn ihrer Karriere, Oliver Samwer übernommen?
In gewisser Weise schon. Die meisten Leute würden vermutlich bei Sicherheit nicht gerade an ihn denken. Aber ich hatte das Gefühl, er weiß, was er tut. Und es hilft, wenn man Menschen hat, denen man vertraut, die gewisse Wege schon gegangen sind – und die wissen, ob man sich da gerade verrennt.

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