Angehende Astronautin Baumann "Du kannst weit kommen, wenn du richtig Gas gibst"

Nicola Baumann will die erste deutsche Frau im Weltall werden. Im Interview spricht die Pilotin und Ingenieurin über das Überwinden von Grenzen, Vorurteile gegen Frauen in Kampfjets und darüber, was Politik und Wirtschaft von Astronauten lernen können. 

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Seit über zehn Jahren fliegt Nicola Baumann Kampfflugzeuge der Bundeswehr. Jetzt will sie noch höher hinaus: ins Weltall. Quelle: Presse

Frau Baumann, die WirtschaftsWoche und die Boston Consulting Group haben Sie zur Vordenkerin des Jahres gekürt. Die Auszeichnung steht unter dem Motto „Die Grenzen der Vorstellungskraft – und wie wir sie überwinden können“. Sie arbeiten hart daran, die Grenzen unserer Atmosphäre zu überwinden uns ins All zu fliegen. Was ist Ihre Motivation?
Nicola Baumann: Das Weltall hat mich schon immer fasziniert. In sternenklaren Nächten schaue ich oft zum Himmel hinauf und frage mich, was sich da wohl alles verbirgt, von dem wir noch gar nichts wissen.

Das Weltall fasziniert viele Menschen. Aber nur wenige würden sich mit dicker Schutzausrüstung in ein Raumschiff setzen und in den Himmel schießen lassen.
Naja, ich fliege ja schon mein ganzes Leben lang. Als Jugendliche bin ich Drachen geflogen, und seit über zehn Jahren bin ich Jetpilotin bei der Bundeswehr. In den ersten Jahren fand ich es extrem spannend, verschiedene Flugzeuge zu fliegen. Aber irgendwann wurde das Fliegen zum Alltag. Ich brauchte wieder eine neue Herausforderung -  und das ist jetzt der Flug ins Weltall.

Haben Sie schon als Kind davon geträumt, Astronautin zu werden?
Nein, das war nicht mein großer Kindheitstraum. Natürlich fand ich die Fliegerei und die Raumfahrt schon früh aufregend, ich habe viele Bücher über coole Pilotinnen und Piloten gelesen. Und natürlich habe ich Star Trek, Star Wars und Apollo 13 gesehen. Aber in der Pubertät hatte ich gar keine Ahnung, was ich später mal machen wollte. Ich hatte damals keinen Bock auf gar nix. Da hat mir mein Vater dann mal ins Gewissen geredet.

Nicola Baumann:

Was hat er gesagt?
Er sagte: „Nicola, du könntest so viel erreichen, wenn du nur wollen würdest.“ Und: „Konzentrier dich auf ein paar Dinge und mach sie richtig. Und dann schau mal, wie weit du kommen kannst, wenn du richtig Gas gibst.“

Daran haben Sie sich offenbar gehalten.
Das ist mittlerweile mein Lebensmotto. Ich mache Dinge entweder ganz oder gar nicht. Ich glaube aber nicht, wie oft behauptet wird, dass jeder alles erreichen kann. Ich kann nur das erreichen, was meinem Talent entspricht und auch dann nur, wenn ich mir große Mühe gebe. Und ein bisschen Glück gehört auch dazu.

Zur Person

Welche Eigenschaften muss man als Astronautin mitbringen?
Auf jeden Fall Teamfähigkeit. Wir sind ja da oben aufeinander angewiesen, müssen uns gegenseitig helfen. Es ist ja sonst niemand da. Außerdem brauchen Astronauten eine schnelle Auffassungsgabe: Wir sollten nicht nur sofort verstehen, was gerade um uns herum passiert, sondern auch, warum. Und dann müssen wir relativ schnell, aber besonnen handeln.

Im politischen Berlin erleben wir gerade auch eine Krisensituation. Die Jamaika-Sondierungen sind grandios gescheitert, jetzt gibt es schon wieder ersten Streit bei den möglichen neuen Verhandlungspartnern Union und SPD. Glauben Sie, die Politik könnte etwas von Astronauten lernen?
Vielleicht ja. Bei der Raumfahrt ist alles straff durchorganisiert. Die Astronauten werden lange ausgewählt und getestet. Sie können sich darauf verlassen, dass ihr Gegenüber psychisch stabil ist, emotional erwachsen, teamfähig, aber auch führungsfähig, diszipliniert und leidensfähig.

"Beate Uhse war eine starke Frau"

Politiker hingegen...
...haben es mit viel mehr und viel unterschiedlicheren Menschen zu tun, in einem viel komplexeren Umfeld. In einer Astronautenmission haben am Ende des Tages alle das gleiche Ziel. In der Politik ist das leider nicht so. Das ist das größte Problem. Wenn wir die Welt so führen würden, wie man eine Raumstation führt, würden wir sagen: „Das ist unser kleines Rettungsboot und hier kommt von außen keiner, der uns hilft. Wir müssen uns jetzt mal zusammenreißen und aufhören, uns querzustellen.“ Es wäre wohl einfacher, die Lehren der Raumfahrt auf kleinere Bereiche zu übertragen.

Welche?
Zum Beispiel auf ein Projektteam oder ein Start-up. Die können gemeinsame Projekte so angehen, als würden sie einen Flug zum Mond planen: Wir sind allein unterwegs, keiner hilft uns, und wir wollen lebendig wieder zurückkommen. Dann müssen sie ein paar Dinge durchdenken: Was könnte auf uns zu kommen? Was wären mögliche Lösungsszenarien? Daraus entwickeln sie Handlungsansätze und jeder weiß, wo sein Platz ist. Jeder kann alles ein bisschen, aber ist trotzdem auf seinem Gebiet Spezialist. Und alle sind demselben Ziel verpflichtet.

Mit Zielstrebigkeit kennen Sie sich ja aus. Sie haben mit 19 Jahren die Ausbildung zur Kampfpilotin bei der Luftwaffe begonnen – als zweite Frau überhaupt.  Jetzt wollen Sie die erste Deutsche im All sein.
Als ich mich damals bei der Bundeswehr beworben habe, habe ich gar nicht darüber nachgedacht, ob es da jetzt viele oder wenige Frauen gibt. Das war mir völlig egal. Ich wollte das unbedingt machen, also habe ich mich beworben. In der Schule hatte ich Leistungskurs Mathematik, da saßen außer mir auch 15 Jungs. Das war für mich normal.

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Nervt es Sie, dass Sie immer darauf angesprochen werden, eine der wenigen Frauen in einer Männerdomäne zu sein?
Ja und nein, ich habe dazu ein gespaltenes Verhältnis. Wenn man ernsthaft versucht, etwas Normalität werden zu lassen, dann hilft es nichts, es ständig als etwas Besonderes herauszustellen. Auf der anderen Seite haben wir mit dem Astronautenprojekt ja selbst damit angefangen. Unser Ziel ist es, eine deutsche Frau ins All zu bringen. Ich merke immer wieder, dass es eben doch noch einige Bereiche gibt, wo die Gleichberechtigung von Mann und Frau erst noch Normalität werden  muss.  

Sehen Sie sich als Vorbild für andere Frauen?
Ich habe nicht den Anspruch, als Vorbild zu fungieren. Aber ich habe schon einige Frauen getroffen, denen es geholfen hat, meine Geschichte zu hören. Wenn sie dann daraus Motivation ziehen, das zu tun, worauf sie Lust haben, dann freut mich das.

Haben Sie selbst auch ein Vorbild?
Ich finde die Pilotin Amelia Earhart cool, auch wenn ich nicht versuche, sie nachzumachen. (Amelia Earhart überquerte 1927 als erste Pilotin den Atlantik, Anm. d. Red.) Und Beate Uhse! Die war eine starke Frau. Nur wenige wissen, dass Uhse im Zweiten Weltkrieg Testpilotin der Luftwaffe war. Sie war eine der besten Pilotinnen Deutschlands und hat sehr gefährliche Manöver geflogen, um Flugzeuge weiterzuentwickeln. Nach dem Krieg war sie Witwe, hatte einen kleinen Sohn, um den sie sich kümmern musste. Um Geld zu verdienen, hat sie dann ihr berühmtes „Geschäft für Ehehygiene“ gegründet. Sie hat sich gesagt: „Ok, ich war Pilotin, aber jetzt bin ich in einer Notsituation, also mache ich einen Sexshop auf.“

Sehr pragmatisch.
Ja, und für die Vierzigerjahre wirklich beeindruckend.

Beate Uhse hat sich – um darauf noch einmal zurückzukommen – über Grenzen und Konventionen hinweggesetzt.
Genau. Allerdings sind wir auch heute in Deutschland noch nicht so fortschrittlich, wie wir immer glauben.

"So eine kleine Frau in so einem großen Flugzeug?!"

In welcher Hinsicht?
Seit dem 1. November dürfen bei uns gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Und das im Jahr 2017! Selbst die Amerikaner haben das vor uns geschafft und die sind viel prüder. In den USA ist es übrigens auch schon seit Jahrzehnten völlig normal, dass Frauen Flugzeuge fliegen und beim Militär sind. Und auch im Sport: Die Spielerinnen der amerikanischen Frauen-Fußball-Nationalmannschaft sind Ikonen, die kennt jeder im Land. Die kleinen Mädchen haben da ganz starke Vorbilder. Beim Thema Gleichberechtigung sind Länder wie England oder Frankreich Deutschland weit voraus.

Was glauben Sie: Warum hinkt Deutschland hinterher?
Das hat viele Gründe. In den Zwanzigerjahren lebten Frauen ja auch bei uns sehr fortschrittlich, sie kämpften um ihr Wahlrecht. In den Dreißigern und Vierzigern gab es da einen Rückschritt, was Frauenrechte anging. Frauen sollten an den Herd und möglichst viele Kinder kriegen. Auch in den Fünfzigerjahren war es das Ideal, dass ein so genannter richtiger Mann genug Geld verdient, damit seine Frau zuhause bleiben konnte. Diese Prägungen haben bis heute Spuren hinterlassen. In der DDR wiederum gab es andere Ideale, andere Lebensweisen, auch das merkt man bis heute.

Sind Sie in Ihrem Berufsleben Vorurteilen begegnet?
Ja, es gibt da zwei Arten von Vorurteilen. Die einen äußern sich sehr bewusst. Das sind vor allem ältere Männer oder Frauen, die mich kennenlernen und fragen: „Was, du bist Pilotin? So eine kleine Frau in so einem großen Flugzeug?!“ Und dann gibt es auch einige wenige Männer, die Pilot werden wollen, weil sie sich dabei so männlich fühlen können. Wenn dann eine kleine, zierliche Frau daherkommt und den Job besser macht, ist das doof fürs Selbstbild. Dann kommen schon mal blöde Sprüche. Mit dieser Art von Vorurteilen kann ich aber ganz gut umgehen.

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Ok, und was ist mit den unbewussten Vorurteilen?
Mit denen ist es viel schwieriger als Betroffene vernünftig umzugehen. Vor einiger Zeit bin ich an einen neuen Dienstort gekommen und hatte einen neuen Chef. Jemand, der mich sehr gut kannte, hat mich angerufen und mir von einer Führungsposition erzählt, für die ich gut geeignet wäre und bat mich, mich darauf zu bewerben. Der Vorgesetzte hörte davon und sagte: „Nee, die ist dafür doch viel zu jung und viel zu unerfahren, das geht gar nicht.“ Alle anderen, die zu dem Zeitpunkt auf vergleichbaren Positionen waren, waren zwar älter als ich, hatten aber tatsächlich weniger Erfahrung – in allen Aspekten: weniger Flugstunden, weniger Führungserfahrung.

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Wie erklären Sie sich das Verhalten?
Mein Chef hatte einfach eine kleine, zierliche Frau gesehen, noch ziemlich jung, irgendwie neu – ich passte einfach nicht in das Bild, das er vor Augen hatte. Er hatte Zweifel, ob ich mich gegen die ganzen Männer durchsetzen kann.

Wie sind Sie damit umgegangen?
„Die fressen Sie doch beim lebendigen Leib“, hat er zu mir gesagt. Aber er kannte mich eben noch nicht: Mich frisst überhaupt niemand.

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