Ob mit oder ohne Quote, das Ziel der Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen haben sich alle namhaften Unternehmen in Deutschland auf die Fahnen geschrieben. Kein Konzern wagt sich ohne eine entsprechende Strategie an die Öffentlichkeit. Und wenn es mit der Frau im Vorstand nicht auf Anhieb klappt, wie jüngst bei der Deutschen Bank, dann muss sich ein Konzernchef wie Jürgen Fitschen schon mal von der Presse die eine oder andere Watschen abholen.
Meist laufen die entsprechenden Förderaktivitäten für Frauen unter dem Schlagwort „Diversity“, zu deutsch: Vielfalt. Und meist präsentieren die Unternehmenslenker ihre Frauenfördermaßnahmen so, als täten sie damit allen etwas Gutes.
Dass aber die besondere Förderung einer bestimmten Gruppe, egal wie moralisch gerechtfertigt sie sein mag, notwendigerweise auch die Chancen der anderen beeinträchtigt, bleibt in offiziösen Verlautbarungen gerne unerwähnt. Im Daimler-Konzern ist dieser Konflikt in einer ziemlich einzigartigen Weise zutage getreten, die zeigt, dass in Konzernen und anderen Organisationen, in denen Karrieren stattfinden, unter dem Deckel eines offiziösen Konsenses ein Geschlechterkonflikt brodelt.
Im konzerninternen „Personal-Blog“ erschien kürzlich ein harmloser Erlebnisbericht einer Angestellten unter dem Titel "Chef oder Chefin? Eigentlich ist das doch egal!" Während die Kommentare darauf zunächst der harmlosen These – das Geschlecht des Vorgesetzten spiele keine Rolle – in genauso harmloser Weise zustimmten, schlug das Klima schnell um. Eine ungewöhnlich hitzige und intensive Diskussion entwickelte sich, die, wie ein Daimler-Mitarbeiter sagt, sehr unüblich für dieses Medium der konzerninternen Kommunikation war. Die rund 200 Kommentare, alle unter Klarnamen verfasst, schaukelten sich zu einer regelrechten Revolte gegen die Personalpolitik des „Global Diversity Office“ (GDO) des Konzerns hoch. Das Global Diversity Office ist eine der Säulen des konzerninternen Ziels, 20 Prozent Frauen in Führungspositionen bis 2020 zu erreichen. Derzeit liegt der Frauenanteil der Führungspositionen bei etwa 11 Prozent.
„Ich würde dringend dafür plädieren, dass Auswüchse wie das GDO abgeschafft werden, da das einzige Ziel zu sein scheint, Männer zu diskriminieren“, fordert einer der Kommentatoren. Ein anderer spricht direkt die Leiterin des Global Diversity Office, Ursula Schwarzenbart, an: „Der sich hier im Netz gerade ereignende Shitstorm zur Frauenförderung – also zur Diskriminierung der Belegschaft anhand des Nicht-Leistungsmerkmals Geschlecht – beweist m.E. eindrucksvoll, was die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen von politischen Eingriffen in das Leistungsprinzip halten – nämlich nichts.“
So groß war die Aufregung einiger Daimler-Männer, dass sich eine Mitarbeiterin des Global Diversity Office „von der Flut der Kommentare geschockt“ und genötigt sah einzugreifen: „Diese Kommentatoren haben durch ihre Beiträge sehr anschaulich bewiesen, dass Diversity im Konzern nicht verinnerlicht ist und wie notwendig ist, dass eine zentrale Stelle in diesem Konzern den Fortschritt steuert.“
Männer brauchen sich gar nicht erst zu bewerben
Der konzerninterne Aufschrei im Daimler-Blog, der der WiWo vorliegt, wurde durch eine Indiskretion bekannt. Die Emotionen, die er offenbarte, dürften aber auch in anderen Unternehmen leicht hochkochen. Bei der Deutschen Telekom, die unter ihrem öffentlichkeitshungrigen Ex-Personalvorstand Thomas Sattelberger im Frühjahr eine Ziel-Frauenquote von 30 Prozent für Führungspositionen eingeführt hat, gab es „eine breite Diskussion“, wie Sprecher Peter Kespohl es nennt – inklusive interner Dialogforen mit „ausgewogenen“ Reaktionen. „Dies war notwendig, um eine nachhaltige Kulturveränderung anzustoßen.“ Mittlerweile sei das alles kein großes Thema mehr im Konzern, behauptet Kespohl.
Was in der Sprache der internen und externen Unternehmenskommunikation als „Fortschritt“ und „Kulturveränderung“ bezeichnet wird, kann für Männer in den betroffenen Unternehmen ganz konkrete Folgen haben. Offensichtlich sehen sich viele Männer – sicherlich nicht nur bei Daimler – durch Gender-Diversity-Maßnahmen um ihre Aufstiegschancen gebracht. Einer schreibt: „Nachdem ich mich für eine ausgeschriebene Stelle bewerben wollte und eine unverbindliche Anfrage gestartet habe, wurde mir unter der Hand mitgeteilt, ich brauche mich gar nicht offiziell bewerben, da für diese Stelle zwingend eine Frau vorgesehen sei”
Dass solche Situationen vorkommen, liegt möglicherweise auch daran, dass in vielen Unternehmen die Erhöhung des Frauenanteils in den Zielvereinbarungen von Personalverantwortlichen steht. Bei Daimler etwa müssen Manager mit Personalverantwortung auf fünf Prozent ihres Bonus verzichten, wenn sie die Frauenquotenziele nicht erfüllen. In manchen Bereichen des Unternehmens ist das gar nicht so einfach.
„Nur ganz wenige Frauen bewerben sich als Ingenieurin bei uns“, sagt ein Ingenieur bei Daimler, der seinen Namen nicht nennen will. „Und diejenigen, die sich bewerben, können fast sicher sein, genommen zu werden.“ Noch deutlicher seien die Auswirkungen der Frauenförderung in den Beriechen Vertrieb, Marketing, Personal. „Ich kenne in meinem Umfeld nur einen Unter-30-Jährigen, der in eine Führungsposition berufen wurde, aber vier Frauen“, berichtet der Daimler-Mitarbeiter. „Kritik an der Frauenförderung zu üben ist tabu. Aber ich weiß, dass viele im Unternehmen meine Sicht teilen“, sagt er.
Beim Konkurrenten Volkswagen, so erklärt dessen Sprecher Markus Schlesag, will man die Zielquote von 30 Prozent dadurch erreichen, dass zunächst Frauen entsprechend ihres Anteils unter den Hochschulabsolventen eingestellt werden. Da es weniger Ingenieurinnen als Ingenieure gibt, werden auch weniger eingestellt, wo der Frauenanteil höher ist, etwa bei BWL-Absolventen, werden entsprechend auch mehr Frauen eingestellt. Diese Praxis soll bei internen Beförderungen auf höhere Etagen durchschlagen und dadurch zu einem Frauenanteil von rund 30 Prozent in der Führungsebene führen. Empörung unter den männlichen Mitarbeitern gebe es daher nicht, behauptet zumindest Sprecher Schlesag.
Headhunter jagen Frauen
Zur Kommunikationsstrategie der Gender Diversity Manager gehört auch ein Argument, das potentielle Kritik an Frauenfördermaßnahmen im Keim ersticken soll. Es lautet sinngemäß: Unternehmen mit mehr Frauen machen auch bessere Geschäfte. In verdichteter Form kann man dies auf der Website der Initiative "Charta der Vielfalt" nachlesen. Die Deutsche Telekom wird hier als Vorbild besonders gelobt: "Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit, Verbreiterung des Talentpools, nachhaltiges Wirtschaften, offene Unternehmenskultur und gesellschaftliche Verantwortung – diese fünf guten Gründe werden von der Telekom ins Feld geführt, wenn es um das Thema „Mehr Frauen ins Management“ geht.“ Mechthilde Maier, Leiterin des Group Diversity Managements der Deutschen Telekom, konnte ihr Management davon überzeugen, dass „Diversity eine enorme wirtschaftliche Bedeutung hat“, heißt es dort. Und weiter: "Vielfalt war für Mechthilde Maier von Anfang an untrennbar mit Kreativität, Innovation und Zukunftsfähigkeit verbunden."
Dass man die Auswirkungen eines höheren Frauenanteils auf die Ergebnisse eines Unternehmens natürlich keineswegs so eindeutig belegen kann, wie oft behauptet, kommt im offiziellen Diversity-Diskurs dagegen meist nicht vor. Für eine "offene Unternehmenskultur", die sich Mechthilde Meier für die Telekom verspricht, scheinen Diversity-Maßnahmen jedenfalls nicht zwangsläufig zu sorgen, wie die empörten Reaktionen auf den Daimler-Blog zeigen. Und wenn die Telekom sich selbst auferlegt, dass bei Neuanstellungen von Nachwuchs aus technischen Studiengängen die Zahl der weiblichen Einstellungen doppelt so hoch sein soll wie der Frauenanteil an den jeweiligen Hochschulabschlüssen, darf man bezweifeln, dass dies unmittelbar positive Auswirkungen auf das Geschäftsergebnis haben wird.
Die allgemeine Frauenbeförderungseuphorie stellt auch die Personalberatungen vor neue Herausforderungen. Vor allem von Unternehmen in stark männlich dominierten Branchen, so weiß Andreas Huber von „Marketing Corporation“, werden Headhunter oft gezielt auf die Suche nach Frauen geschickt. Es gebe da Auftraggeber, die sagten: Ich will für die Position eine Frau haben. "Wir besetzen Topmanagement-Positionen künftig nur dann, wenn der Bewerberpool 30 Prozent Frauen umfasst. Darauf müssen sich unsere Headhunter einstellen, sonst passen sie nicht mehr zu uns", hat Maier schon angekündigt.
Hinter vorgehaltener Hand hört man zwar bisweilen die Klage, dass sie für die frauenhungrigen Konzerne gar nicht genug potenzielle Chefinnen anbieten könnten. Eine Klage, die die Frankfurter Headhunterin Angela Hornberg nicht nachvollziehen kann: "Es gibt in Deutschland mehr als genug qualifizierte und erfahrene Damen, um die gesuchten Vorstands- und Aufsichtsratspositionen brilliant zu besetzen." Die Erfolgreichsten der Zunft stellen sich zumindest auf die Nachfrage ein. So wie Heiner Thorborg, der gerade "Female Factor" als Tochter seiner Personalberatung gegründet hat. Er bietet einen Pool aus rund 200 Managerinnen, die aus seiner Sicht mittelfristig Vorstandsposten übernehmen können.
Die Diskussion im Daimler-Blog endet mit dem frommen Wunsch einer Mitarbeiterin: „Ich träume von einer Zukunft, wo wir alle nur Menschen sind“. Dann hätte sich das Diversity Management auch erledigt.