




Wer derzeit einen Job sucht, hat eigentlich die freie Auswahl - könnte man meinen. Laut Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren allein im September 686.797 Stellen unbesetzt. Das ist ein Plus von 14,5 Prozent gegenüber September 2015. "Die Kräftenachfrage hat damit auch über die Ferienmonate nicht an Schwung verloren. Die stark gestiegene Nachfrage zeigt sich auch in der Betrachtung nach Branchen: in nahezu allen Wirtschaftsabteilungen fällt die Zahl der gemeldeten Stellen derzeit höher aus als vor einem Jahr", kommentiert die Behörde.
Und diese gut 700.000 Vakanzen sind nur ein Bruchteil. Denn nicht jedes Unternehmen meldet seine freien Stellen auch der BA, wie eine Umfrage der Wirtschaftsverbände „Die Familienunternehmer“ und „Die Jungen Unternehmer“ exklusiv für die WirtschaftsWoche ergeben hat.
Demnach melden 30 Prozent der mittelständischen Unternehmer freie Stellen in ihrem Betrieb nur „selten“ an die staatliche Arbeitsverwaltung, weitere 16 Prozent sogar „nie“. Die befragten 580 befragten Firmenchefs suchen lieber selbst, als sich auf die staatlichen Arbeitsvermittler zu verlassen.
Jobsuche: Wer 2016 noch Mitarbeiter einstellt - und wen
Die Energiewende hat viele Energieversorger zu gravierenden Umbauprozessen gezwungen. Mittlerweile kommen die Betriebe wieder in ruhigeres Fahrwasser - und suchen neue Leute. Bei den Strom-, Gas- und Wasserversorgern stieg der saisonbereinigte Netto-Beschäftigungsausblick im Vergleich zum vorherigen Quartal um drei auf aktuell 14 Prozentpunkte. Heißt konkret: 17 Prozent der Unternehmen dieser Branche wollen im vierten Quartal neu einstellen, keine einzige Firma rechnet mit Personalabbau.
Der öffentliche Sektor hat den größten Sprung gemacht. Nachdem sich im dritten Quartal 2016 die Pläne für Personalab- und aufbau noch die Waage hielten, sollen im vierten Quartal jetzt mehr Menschen eingestellt werden. Grund dafür sind steigende Steuereinnahmen und die nötige Betreuung und Integration von Flüchtlingen, die mehr Personal erfordert. Insgesamt 15 Prozent der öffentlichen Arbeitgeber wollen noch in diesem Jahr weitere Mitarbeiter einstellen.
Auch der Finanzsektor bleibt optimistisch mit einem leichten Anstieg auf einen Netto-Beschäftigungsausblick von 13 Prozentpunkten. Besonders am Finanzplatz Frankfurt werden Leute gesucht. "Ein Faktor für den Boom in der deutschen Finanzmetropole ist die Brexit-Entscheidung in Großbritannien. Banken und öffentliche Einrichtungen fassen Alternativen zu London ins Auge, davon wird der Standort am Main profitieren", sagt Herwarth Brune, Vorsitzender der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland.
Der Beschäftigungsausblick im produzierenden Gewerbe hat sich inzwischen im vierten aufeinanderfolgenden Quartal verbessert. Er steigert sich im Vergleich zum vorherigen Quartal um drei auf starke acht Prozentpunkte.
Der Trend aus dem dritten Quartal, dass vor allem große Arbeitgeber Neueinstellungen planen, setzt sich im vierten Quartal fort. Aber auch bei kleineren Arbeitgebern steigt die Zuversicht: 17 Prozent von ihnen planen Neueinstellungen ab Oktober, im vorherigen Quartal waren es nur acht Prozent.
18 Prozent der Münchner Arbeitgeber wollen noch in diesem Jahr weitere Mitarbeiter einstellen. Damit kann München die Führungsposition im vierten Quartal in Folge halten. Als Münchner Wachstumsmotoren gelten besonders die Informations- und Kommunikationstechnologie, Dienstleistungen, sowie wissensintensive Branchen wie Life Sciences, Medizin- und Umwelttechnologien. Die bayrische Landeshauptstadt ist Versicherungsstandort Nummer eins.
Auf Platz zwei liegt die Bankenmetropole Frankfurt am Main. Im dritten Quartal meldete die hessische Metropole einen saisonbereinigten Netto-Beschäftigungsausblick von -1 Prozentpunkt. Der steigt nun um beeindruckende 12 Prozentpunkte an. Heißt: Hier wollen 14 Prozent der Unternehmen noch in diesem Jahr weitere Arbeitnehmer einstellen. Personalabbau plant dort kaum einer der befragten Arbeitgeber.
Für Jobsuchende ist Berlin in den nächsten Monaten weniger sexy: Zwar wollen 13 Prozent der befragten Arbeitgeber noch in diesem Quartal Leute einstellen. Elf Prozent planen dafür Kündigungsrunden.
Unabhängig von Branche und Region suchen Unternehmen, die Digitalexperten einstellen wollen, eher nach Allroundtalenten als nach Nerds, wie eine Studie der Personalvermittler Hays zeigt. So sucht die Automobilbranche bevorzugt nach bei der Digitalisierung erfahrenen Experten (55 Prozent) statt Hochschulabsolventen (36 Prozent) und deutlich mehr nach Generalisten (62 Prozent) als nach Themenspezialisten (35 Prozent). Die Pharmaindustrie bevorzugt ebenfalls erfahrene Spezialisten (68 Prozent), weit vor Absolventen (25 Prozent). Anders stellt sich das Bild bei Banken dar: Sie setzen stärker auf Absolventen (62 Prozent) als auf erfahrene Experten (31 Prozent). Aber auch diese Branche zieht Generalisten (85 Prozent) Themenspezialisten (14 Prozent) vor.
Zumindest in der Automobil- und der Pharmabranche setzt man derzeit weniger auf Kreativität, wie die Befragung von Führungskräften durch Hays ergab. Demnach wollen 63 Prozent der Führungskräfte aus der Automobilbranche zunächst umsetzungsorientierte Mitarbeiter. Auch die Pharmakonzerne setzen klar auf Umsetzer (74 Prozent) und lassen kreative Köpfe (23 Prozent) eher außen vor.
Das bestätigt auch die Studie "Fachkräftemangel 2016" des Personaldienstleisters ManpowerGroup. Demnach erwacht die deutsche Wirtschaft aus ihrer Lethargie und sucht auf allen Kanälen neue Mitarbeiter. Innerhalb von zwölf Monaten ist die Zahl der untätigen Unternehmen von 32 Prozent auf drei Prozent gefallen, heißt es in der Studie. Kein Wunder: 49 Prozent der befragten 42.000 Personalverantwortlichen gaben an, massive Probleme zu haben, offene Stellen zu besetzen. 2007 waren es nur 27 Prozent.
Gesucht werden vor allem Vertriebsprofis, Ingenieure und IT-Experten. Bei der BA spricht man außerdem von einem hohen Kräftebedarf im Handel sowie im Gesundheits- und Sozialwesen. Aber auch in der Zeitarbeit, im Verarbeitenden Gewerbe sowie im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen sei der Bedarf an neuen Mitarbeitern weiterhin hoch. Es werden also nicht nur studierte Kräfte gesucht. "Grundsätzlich tragen die stabile wirtschaftliche Lage sowie das hohe Beschäftigungsniveau zur anhaltend hohen Kräftenachfrage bei", heißt es bei der BA.
Grund genug also für Wechselwillige und Arbeitslose, sich die Hände zu reiben und den besten Job rauszusuchen.
So beurteilen die Deutschen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Durchschnittlich 63 Prozent der Deutschen glauben, dass sich die Arbeitsmarktsituation im Laufe des Jahres 2016 zu ihren Gunsten verbessern wird. Damit sind die Deutschen deutlich optimistischer als der Rest Europas. Im Schnitt schauen nur 49 Prozent der Europäer positiv in die Zukunft.
Quelle: Job Confidence Index der Personalvermittlung Michael Page
Die Jungen sind besonders optimistisch: 91 Prozent denken, dass sie ihre Kompetenzen 2016 noch erweitern können. 74 Prozent erwarten im Laufe des Jahres eine Gehaltserhöhung, 72 Prozent eine Beförderung.
66 Prozent rechnen damit, dass sich ihr Aufgabenbereich positiv verändern wird. 57 Prozent sind überzeugt, dass sie maximal drei Monate brauchen würden, um einen neuen Job zu finden. Außerdem rechnen 48 Prozent damit, dass sich ihre Work-Life-Balance verbessert.
Die nächste Altersgruppe ist besonders in punkto Kompetenzerweiterung optimistisch: 76 Prozent der 30- bis 49-Jährigen geht davon aus, dass sich ihre Möglichkeiten zur Kompetenzentwicklung verbessern werden. 57 Prozent rechnen mit einer Beförderung, 55 erwarten, dass sich ihr Aufgabenbereich verbessern wird und 54 Prozent gehen davon aus, im Laufe des Jahres eine Gehaltserhöhung zu bekommen. Mit einer besseren Work-Life-Balance rechnen nur 39 Prozent. Was die eigenen Arbeitsmarktchancen anbelangt, gehen 42 Prozent davon aus, binnen drei Monaten einen neuen Job zu finden.
In der Gruppe der Arbeitnehmer ab 49 Jahren aufwärts glauben nur noch 39 Prozent, dass sie weniger als drei Monate benötigen, um einen neuen Job zu finden. Auch eine Beförderung erwarten "nur" noch 47 Prozent, mit mehr Gehalt rechnen in diesem Jahr 41 Prozent. Spannendere Aufgaben erwarten 45 Prozent und 67 Prozent gehen davon aus, dass sie ihre Kompetenzen erweitern können.
Aber die sind gar nicht so euphorisch. Zumindest war die Stimmung bei den deutschen Arbeitnehmern im zweiten Quartal 2016 noch deutlich optimistischer, wie aktuelle JobConfidence-Index der Personalvermittlung PageGroup zeigt. Demnach sind zwar 63 Prozent aller Wechselwilligen zuversichtlich, dass sich die Lage am Arbeitsmarkt verbessern wird. Im Sommer war die Stimmung jedoch noch optimistischer:
So denken derzeit 52 Prozent der unter 30-Jährigen, dass sie weniger als drei Monate brauchen, um einen neuen Job zu finden. Im Juli waren es noch 57 Prozent. Auch beim Thema Beförderung und Gehaltserhöhung sind die Jungen etwas weniger optimistisch. Bei der Arbeitnehmergeneration jenseits der 49 Jahre ist der Herbstknick jedoch am stärksten spürbar: Im Juli hielten noch 81 Prozent die Arbeitsmarktsituation für gut. Jetzt im November sind es nur noch 69 Prozent. Die allgemeine wirtschaftliche Situation in Deutschland halten 79 Prozent für gut, im Juli waren es 86 Prozent. Auch der Blick in die Zukunft fällt bei dieser Gruppe auf einmal düsterer aus, als noch im Sommer. Da schätzten 77 Prozent die künftige Wirtschaftslage positiv ein, jetzt sehen das nur noch 74 Prozent so. Die Arbeitsmarktsituation der Zukunft hielten im Juli noch 77 Prozent für rosig, jetzt sind es nur noch 66 Prozent.





Auch bei den Punkten Gehaltserhöhung und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten hat die Euphorie des Sommers einen Dämpfer bekommen. Dabei bietet der Fachkräftemangel ihnen alle Chancen. Vielen Unternehmen steht das Wasser nämlich bis zum Hals.
Beispiel Baubranche: Unternehmen, Privatpersonen und die öffentliche Hand müssen aktuell länger auf die Ausführung ihrer Aufträge warten, weil die Handwerksbetriebe nicht genügend Personal einstellen können. Handwerker und Facharbeiter sind in Deutschland seit 2007 die am schwersten zu besetzende Berufsgruppe.
Diese Not verändert nicht nur die Art, wie Unternehmen Mitarbeiter suchen, sondern auch, wen. So geben zwar 30 Prozent der von der ManpowerGroup befragten Unternehmen an, dass sie aufgrund fehlender Fachkenntnisse der Bewerber Schwierigkeiten haben, Stellen zu besetzen. Aber anstatt die Schultern zu zucken, investieren 80 Prozent in zusätzliche Weiterbildungsmaßnahmen und qualifizieren die Bewerber nach ihrem Bedarf. Und 57 Prozent weiten die Suche nach Bewerbern aus, indem sie ihre Stellenprofile an einen breiteren Adressatenkreis richten. Über 50 zu sein ist kein Ausschlusskriterium mehr. "Die Unternehmen begreifen nun, dass der perfekte Kandidat immer seltener wird und schauen im Recruiting viel stärker über den Tellerrand starrer Anforderungsprofile hinaus", bestätigt Herwarth Brune, Deutschland-Chef des Zeitarbeitsunternehmens. Man darf also selbst jenseits der 49 optimistisch in die berufliche Zukunft schauen. Auch ganz ohne Informatik-Studium.