Arbeitssucht So erkennen Führungskräfte, dass ihr Mitarbeiter zum Workaholic mutiert

Arbeiten bis tief in die Nacht kann ein Hinweis darauf sein, dass ein Mitarbeiter unter Arbeitssucht leidet. Denn eines der zentrale Merkmale dieser Sucht ist, dass die Betroffenen jegliche Kontrolle über Anfang und Ende ihrer Arbeitszeit verlieren. Quelle: imago/Westend61

Für die Betroffenen selbst ist es nahezu unmöglich, ihre Arbeitssucht zu erkennen. Deshalb ist es um so wichtiger, dass Vorgesetzte genau hinschauen. Worauf es ankommt.

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Wenn der Kollege regelmäßig nachts E-Mails schreibt, die Mitarbeiterin keine vernünftige Pause mehr macht und der Assistent zu jeder Tageszeit innerhalb weniger Minuten antwortet – dann mag das für Führungskräfte zunächst recht bequem sein. Tatsächlich könnten dies jedoch erste Hinweise auf ein ernstzunehmendes Problem sein. Denn in Deutschland sind Schätzungen zufolge mehrere hunderttausend Menschen von Arbeitssucht betroffen. Und die Zahlen dürften während der Pandemie gestiegen sein, beobachten Experten. Durch mobiles Arbeiten steige das Risiko für Workaholics, sagt etwa Psychologe Stefan Poppelreuter, der sich seit mehr als 20 Jahren mit  Arbeitssucht beschäftigt. „Die Niederschwelligkeit von überall arbeiten zu können, macht es dem Arbeitssüchtigen noch mal schwerer aufzuhören“, so Poppelreuter.

Um so wichtiger ist es, dass auch die Vorgesetzten ein Blick auf das Arbeitspensum ihrer Mitarbeiter haben. Doch Überstunden und Mails zu später Stunde dürften dabei nicht das einzige Kriterium sein, mahnt Poppelreuter. „Workaholics sind oft unfähig Aufgaben abzugeben, wollen alles selbst machen und das wirkt sich negativ auf die Teamarbeit aus“, stellt der Experte fest. Sie würden nahezu jedes Meeting besuchen, um ja nichts zu verpassen, auch wenn ihre Anwesenheit nicht zwingend erforderlich ist und eigentlich jemand anders aus dem Team damit betraut war.

Christian Graz, Leiter der Psychosomatik in der Max Grundig Klinik, beobachtet zudem einen Leistungsabfall bei Betroffenen. Denn mittel- und langfristig würden Arbeitssüchtige keineswegs mehr leisten als andere. Im Gegenteil. „Sie verzetteln sich zunehmend, weil sie nicht mehr priorisieren und delegieren, sondern einfach alles abarbeiten.“

Das Phänomen der Arbeitssucht hat sich während der Coronapandemie weiter verbreitet. Führungskräfte sind besonders gefährdet. Die Erkrankung zu erkennen ist ebenso so schwierig, wie sie zu überwinden.
von Kristin Rau

Beobachten Vorgesetzte bei ihren Mitarbeitern solche Auffälligkeiten, sei es am besten diese direkt anzusprechen, empfiehlt Poppelreuter. „Es kann auch sehr aufschlussreich sein, nach dem Leben neben der Arbeit zu fragen“, sagt der Experte. „Davon ist nämlich häufig nicht viel übrig.“

Leistungsfähigkeit als Köder

Ändert sich auch nach solchen Gesprächen nichts, sollten Vorgesetzte Hilfe anbieten. Viele Unternehmen haben bereits Achtsamkeits- und Resilienztrainings für die Belegschaft im Angebot, auf die Führungskräfte die Betroffenen hinweisen können.

Psychiater Graz beobachtet, dass Unternehmen in den vergangenen Jahren „die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter besser im Blick haben“. Viele würden mittlerweile für ihre Topführungskräfte in seiner Klinik nicht mehr nur einen körperlichen Check-up buchen, sondern ihnen auch ein psychomentales Coaching anbieten. Von solchen Angeboten überzeugen ließen sich Workaholics meistens mit dem Argument, dass sie so ihre Leistungsfähigkeit wieder herstellen könnten.



Eine Entwicklung, die zwar wirkungsvoll ist. Allerdings gibt Stefan Poppelreuter zu bedenken, dass die beste Prävention nicht helfe, wenn der Chef selbst „eine Heizdüse ist und seinen Mitarbeitern Rastlosigkeit vorlebt“. Diese würden dann denken, dass auch von ihnen ständige Erreichbarkeit und endloses Arbeiten verlangt würden. Bis zum Workaholic ist es dann nicht mehr weit.

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