Pendeln kann richtig schön sein, zumindest, wenn man anderen dabei zuschaut. „Das ist doch ein lebendiger Ort, einer europäischen Metropole würdig“, sagt Jochen Partsch und spricht über Darmstadt, wie es, aus seinem Dienstzimmer gesehen, vor ihm liegt. Um den Luisenplatz in der Stadtmitte wuseln Passanten, Busse kreuzen, alle paar Augenblicke rumpelt eine Straßenbahn vorbei. Die Autos haben derweil einen sechsspurigen Tunnel für sich.
Partsch ist Oberbürgermeister von Darmstadt, Metropole der sogenannten Einpendler: Fast 70.000 der knapp 100.000 Arbeitsplätze sind von Menschen besetzt, die nicht hier leben. Zugleich gibt es mit 27.000 relativ wenige Auspendler, also Menschen, die in Frankfurt oder Mannheim arbeiten, aber in Darmstadt leben.
„Natürlich hat es für uns viele Nachteile, dass die Leute nur zum Arbeiten kommen“, sagt Partsch, der dabei an all die Straßenbahnen, Busse oder Ampelanlagen denkt, die er bezahlen darf, während die meisten Nutzer ihre Steuern woanders entrichten. In diesem Jahr werde die Stadt die Grenze von 100.000 Pendlern am Tag überschreiten, sagt Partsch und klingt dabei fast stolz auf seine 160.000-Einwohner-Stadt.
Pendler bringen Stau mit sich
Ziemlich erstaunlich eingedenk all der Probleme, die das mit sich bringen wird. Heißt diese wachsende Zahl nicht auch, dass die Angestellten zwar zum Arbeiten nach Darmstadt kommen, aber dort nicht so gerne wohnen möchten? Die Darmstädter müssen nur morgens die Stauansagen im Radio abhören, um zu merken, dass der Anstieg der Pendlerzahlen mehr ist als ein statistischer Effekt. Denn die Berufsreisenden werden mehr – und ihre Wege werden länger: Die Anzahl der Arbeitnehmer mit einem täglichen Fahrtweg von mehr als 50 Kilometern ist in den vergangenen 20 Jahren von 13 auf 21 Prozent gestiegen.
Eigentlich müsste es die Aufgabe von Menschen wie Oberbürgermeister Partsch sein, diesen Trend umzukehren. Weniger Pendler gleich geringere Ausgaben für die Infrastruktur. Doch für die meisten Stadtoberhäupter sind sie Statussymbole:
Viele Einpendler heißt viele Arbeitsplätze heißt viele Unternehmen, die sich für den Standort entscheiden, und das klingt wie: Der Oberbürgermeister hat einen guten Job gemacht. Dabei fördert er in Wahrheit vor allem den Selbstbetrug der Pendlernation.
Auch Uwe Malich kann sich den Mechanismen der modernen Berufswelt nicht entziehen. Er ist Bürgermeister von Wildau. 4000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hat der Ort, aber nur 700 davon arbeiten auch hier. Der Rest pendelt, meist ins rund 20 Kilometer entfernte Berlin.
Einige von ihnen werden bald im Neubaugebiet Am Rosenbogen wohnen. 185 Wohnungen entstehen hier, Blick ins Grüne, Gärten für Mieter im Erdgeschoss. Zehn Euro der Quadratmeter, so hat es der Investor kalkuliert. „Das ist vor allem etwas für Leute, die einen guten Job in Berlin haben“, sagt Mahlich. Leute, die ihr grünes Idyll suchen und solche Preise günstig finden.
Am 3. Oktober 1990 hatte Wildau 7046 Einwohner, heute sind es 10.064, bis 2025 sollen es mindestens 12.500 sein. Die Entwicklung zeigt, dass die Menschen auch heute noch der gleichen Illusion aufsitzen wie vor Jahrzehnten: Wer das Pendeln in Kauf nimmt, der könne das Beste aus zwei Welten kombinieren – den gut bezahlten Job in der Großstadt und die Idylle auf dem Land.