Arbeitszeit Auch Schweden scheiterte am Sechs-Stunden-Tag

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85 Millionen Euro

Maria Rydén verzieht ihr Gesicht, wenn sie die Geschichte vom Kurzarbeitsland Schweden hört. Die Politikerin der konservativen Moderaterna-Partei sitzt seit sieben Jahren im Göteborger Rathaus. Als die zweitgrößte Stadt Schwedens vor drei Jahren über das Altenheim-Experiment debattierte, rebellierte Rydén von Anfang an.

In ihrem Büro blicken Stoffmäuse von dem PC herab, doch die Gemütlichkeit täuscht. Rydén hat Papierstapel angehäuft für ihre Attacke auf die Ergebnisse von Lorentzons Präsentation. Rydén hat ausgerechnet, was es Göteborg kosten würde, alle Altenpfleger der Stadt nach dem Sechs-Stunden-Modell zu beschäftigen: 825 Millionen Kronen, umgerechnet knapp 85 Millionen Euro. „Unbezahlbar“, ruft die Politikerin.

Arbeitsmarktexperten wie Alexander Spermann bezeichnen die 28-Stunden-Woche bei gleich bleibenden Löhnen tatsächlich als „extremen Kostenschock“ – finanzierbar nur, wenn zugleich die Produktivität massiv steige, etwa durch intelligentere Arbeitsorganisation oder den Mehreinsatz von Maschinen und Robotern.

Bei Toyota in Göteborg etwa rechnet sich der Sechs-Stunden-Tag nur, weil es nun zwei Sechs-Stunden-Schichten gibt. Pro Tag kann der Autobauer so in seiner Werkstatt mehr Autos reparieren. Nach dem gleichen Modell funktioniert die Orthopädie-Station.

Doch bis heute bleiben solche Modelle auch in Schweden die absolute Ausnahme.

Warum das so ist, musste Erik Gatenholm vor einigen Monaten erfahren. Der junge Gründer wollte den Sechs-Stunden-Tag in seiner Firma ausprobieren. Am Stadtrand Göteborgs entwickelt der 28-Jährige mit seinem Start-up Cellink 3-D-Bio-Drucker. Irgendwann sollen sie menschliche Organe erzeugen. Bislang produzieren sie Gewebestücke, an denen Medikamente und Kosmetika getestet werden. In einem Raum mit Ausblick auf die Stadt schrauben Ingenieure die Drucker zusammen.

Mit diesen Mitarbeitern probierte Gatenholm die verkürzte Arbeitswoche aus. Doch statt weniger Stress zu verspüren, wurden die Mitarbeiter mit ihren Projekten plötzlich nicht mehr fertig. Nach sechs Stunden freiwillig nach Hause gehen wollte keiner. „Ich musste die regelrecht rausschmeißen“, erinnert sich Chef Gatenholm.

Gleichzeitig geriet sein Start-up in Verzug. Aufträge konnten nicht mehr schnell genug erledigt werden, der ganze Betrieb geriet ins Stocken.

Nach nur zwei Wochen zog Gatenholm die Konsequenz: Auch seine Leute arbeiten heute wieder acht Stunden pro Tag – oder bei Bedarf sogar länger.

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