Arbeitszeiterfassung klingt für viele Beschäftigte nach Stechuhr und Überwachung, also nach Konzepten vergangener Tage. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kritisierte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Thema im Mai als Rückschritt: „Es ist der falsche Weg, die Stechuhr wieder überall einzuführen.“ Die Luxemburger Richter hatten entschieden, dass Arbeitgeber die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten (also nicht nur die Überstunden) durch ein verlässliches und objektives System messen müssen.
Das Urteil sorgt bei Unternehmen für Verunsicherung. Altmaier warnte vor einer „überbordenden Bürokratie“. Die sei überflüssig. „In Deutschland hat sich das Modell der Vertrauensarbeitszeit herausgebildet, mit dem sehr viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber gute Erfahrungen machen“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“. Damit stellt er allerdings einen Gegensatz her, der nach Ansicht von Experten nicht zwingend ist.
„Vertrauensarbeitszeit und Arbeitszeitdokumentation schließen sich nicht aus“, unterstreicht Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Dem pflichtet Susanne Wanger vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit bei: „Die sogenannte Vertrauensarbeitszeit bedeutet nicht, dass die Arbeitszeit in Betrieben nicht erfasst wird. Sie wird lediglich vom Arbeitgeber nicht kontrolliert.“ Erfassung und Kontrolle sind demnach bei der Personalzeiterfassung also nicht automatisch dasselbe.
Vier Methoden der Arbeitszeiterfassung
Funktionsweise: Manuelle beziehungsweise handschriftliche Arbeitszeiterfassung, zum Beispiel auf Stundenzetteln oder per Stechkarten
Vorteile: kostengünstig, unkompliziert, unabhängig von technischen Geräten
Nachteile: fehleranfällig (zum Beispiel bei Übertragung in das IT-System), Auswertungen nur mit zeitlicher Verzögerung möglich, leicht manipulierbar
Variante 1: Chipkarte
Funktionsweise: Zeiterfassung mittels Magnet- oder Chipkarte an einem stationären Terminal; die Arbeitszeitdaten werden automatisch in einer Datenbank abgelegt
Vorteile: geringer Verwaltungsaufwand durch die automatische Zeiterfassung und Übertragung, zeitnahe Auswertungen möglich, Falschbuchungen können problemlos korrigiert werden
Nachteile: höhere Kosten für Hard- und Software und höherer Aufwand bei Einführung; das System ist wegen der Terminals ortsgebunden
Variante 2: Biometrische Daten
Funktionsweise: der Arbeitnehmer wird per Scanner (Finger- oder Handabdruck, Iris) registriert
Vorteile: keine Chipkarte nötig, hohe Sicherheit
Nachteile: hohe Kosten für Anschaffung und Pflege der Hardware, hinzu kommen strenge Auflagen beim Datenschutz
Funktionsweise:
Methode 1: die Arbeitszeit wird durch Einloggen und Ausloggen am Computer per individueller Kennung registriert
Methode 2: Mitarbeiter dokumentieren ihre Arbeitszeiten mithilfe eines Programmes, zum Beispiel Excel
Vorteile: flexibler und mobiler Einsatz, auch bei Außendienst oder Homeoffice; keine weiteren Kosten für Hardware; es können zusätzliche Informationen registriert werden (etwa, wie viel Arbeitszeit für welches Projekt aufgewendet wurde)
Nachteile: nur für Rechnerarbeitsplätze geeignet, Datensicherung muss gewährleistet sein
Funktionsweise: Arbeitszeiten werden per App auf mobilen Geräten erfasst, übermittelt und gespeichert
Vorteile: besonders geeignet für Arbeitnehmer, die wenig im Betrieb arbeiten; keine schriftliche Dokumentation nötig für Außendienstler
Nachteile: Beschäftigte müssen meist private Smartphones oder Tablets nutzen; zudem gibt es Datenschutzbedenken
Arbeitszeiterfassung ist ein Thema, das in der Öffentlichkeit ob seiner trockenen Natur bislang wenig Aufmerksamkeit erhielt. Dabei bildet die Personalzeiterfassung in den meisten Betrieben eine Basis für die Wirtschaftlichkeit. Mit ihr lassen sich Löhne berechnen, benötigte Arbeitskräfte kalkulieren und gesetzliche Vorgaben zu Arbeitszeiten einhalten.
Arbeitszeiterfassung ist in Deutschland schon jetzt die Regel. Laut der BAuA übernimmt dies bei rund jedem zweiten Beschäftigten der Arbeitgeber. Etwa ein Drittel der Beschäftigten dokumentiert die Arbeitszeit demnach selbst. Rund jeder Fünfte gab bei der letzten Arbeitszeitbefragung 2015 an, dass die Arbeitszeit offenbar nicht erfasst wird.
Nicht nur Unternehmen ohne Personalzeiterfassung sind nach dem EuGH-Urteil auf der Suche nach einem geeigneten System. Die Digitalisierung und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit verändert die Ansprüche an Methoden zur Personalzeiterfassung. Sie muss auch im Außendienst, auf Geschäftsreisen und im Homeoffice funktionieren, um Verlässlichkeit zu garantieren.
Welche Methoden stehen überhaupt zur Auswahl, welche Vor- und Nachteile haben sie? Wir haben nachgefragt beim BAuA-Arbeitszeitexperten Brenscheidt und der Sozialwissenschaftlerin Wanger von der IAB.
Moderne Arbeitszeiterfassung weckt schnell Ängste. Eine Befürchtung: Arbeit wird nicht länger über die Anwesenheit am Arbeitsplatz, sondern als reine Netto-Produktivität am Computer definiert. „Eine Leistungs- oder Aktivitätsüberwachung über eine Software ist aus arbeitswissenschaftlicher Sicht, sicher aber auch aus datenschutzrechtlicher Sicht abzulehnen“, warnt Brenscheidt.
Häufig ist eine negative Sicht auf Arbeitszeiterfassung aber Folge eines Missverständnisses. Denn wenn geleistete Arbeitsstunden exakt registriert werden, nützt das nicht nur dem Betrieb. Vielmehr haben manche Unternehmen vielleicht ein Interesse daran, dass die Beschäftigten gar nicht so genau wissen, wie viel sie (mehr) arbeiten. Arbeitnehmerschutz war denn auch der Anlass des Urteilsspruchs des EuGH. Geklagt hatte eine spanische Gewerkschaft. Sie wollte bei der Deutschen Bank ein System zur grundsätzlichen Arbeitszeiterfassung durchsetzen.
Arbeitszeiterfassung nützt den Beschäftigten
Im Gegensatz zu Altmaier erwartet IAB-Expertin Wanger durch die Umsetzung des Richterspruchs hierzulande keine massiven Auswirkungen. „An der bisher schon im deutschen Arbeitszeitgesetz geregelten Praxis wird sich dadurch wenig ändern“, meint sie. Schon jetzt müssten Überstunden erfasst werden. „Dafür muss die reguläre Arbeitszeit bekannt sein. Das bedeutet, dass der Arbeitgeber schon jetzt die reguläre Arbeitszeit 'feststellen' muss“, erklärt Wanger. „Und wenn die Überstunden bereits festgehalten werden, ist die Erfassung der regulären Arbeitszeit ein denkbar kleiner Sprung.“
Auch nach Ansicht von Brenscheidt fügt sich das Urteil in die bereits vorhandene Entwicklung ein. „Arbeitszeitkonten haben in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen, auch weil sie für eine strategische Planung unerlässlich ist. Wir gehen davon aus, dass dieser Trend anhält, gegebenenfalls durch das Urteil verstärkt wird“, sagt der BAuA-Experte.
Am Ende, da sind sich die beiden Fachleute einig, nützt eine genaue Arbeitszeiterfassung Beschäftigten und Betrieben gleichermaßen – vor allem mit Blick auf Gesundheit und Zufriedenheit der Angestellten. „Mehr Transparenz durch eine genauere Dokumentation kann dazu führen, dass Unternehmen mehr Augenmerk auf die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter legen, denn mit überlangen Arbeitszeiten riskieren sie Ausfallzeiten ihrer Mitarbeiter“, sagt Wanger.
Exakt geführte Arbeitszeitkonten werden nach Ansicht von Brenscheidt für Beschäftigte zur wertvollen Ressource. Am Ende ist für ihn bei der Arbeitszeiterfassung aber vor allem der zwischenmenschliche Aspekt ausschlaggebend: „Es geht im Kern um ein vertrauensvolles Miteinander.“