Arbeitszeitmodelle Wie wir unsere Zeit wiederfinden

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Umgewichtung von Be- und Entlastung

Arbeitsministerin Andrea Nahles will nun für eine Anti-Stress-Verordnung sorgen. „Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen“, sagte sie. Deshalb wolle man die Dauererreichbarkeit abschaffen. Es sei allerdings eine Herausforderung, das gesetzlich umzusetzen. Und wie soll die Politik die Entgrenzung der Arbeit stoppen, wenn die Arbeitnehmer viel von ihrer Mehrarbeit freiwillig erledigen? Etwa weil sie glauben, nur so Karriere machen zu können, oder weil es der Konvention im Unternehmen entspricht.

"Es muss neben politischen Angeboten auch zu einem Umdenken in Deutschland kommen", meint Politikwissenschaftler Schroeder. "Sinnvoll ist eine grundlegendere Debatte über das Verhältnis von Be- und Entlastung. Wir sollten darüber nachdenken, dass Regeln nicht nur Einschränkungen sind, sondern auch Hilfen, um die Komplexität des Alltags zu bewältigen. Auch Zeitsouveränität muss gelernt werden. Zur Arbeitskultur gehört es eben, die Zeit als einen zentralen Wert zu schätzen."

Angebote der Politik

An diesem Umdenken versucht man sich praktisch bei Xing. "Bei Xing glauben wir nicht daran, dass die Mitarbeiter mit dem ausdauerndsten Sitzfleisch uns weiter bringen", sagt Kopka. "Was zählt ist das Ergebnis. Um gute Ergebnisse erzielen zu können, ist eine gesunde Work-Life-Balance wichtig. Unsere Führungskräfte achten darauf, dass das ‚Life‘ hier nicht zu kurz kommt".

Doch gibt es für die Gruppe derer, die schon mehr Zeitsouveränität haben, absolut keine politischen Angebote? "Doch die gibt es", glaubt Schroeder. "Zum Beispiel die Entwicklung einer besseren sozialen Infrastruktur, die die Menschen in einer flexibilisierten Arbeitsgesellschaft unterstützt, um Erwerbsarbeit und Familie zu verbinden. Zentral ist dabei die quantitativ auskömmliche und qualitativ anspruchsvolle Organisation der Kinderbetreuung."

Doch das kostet: Eine Studie der Bertelsmann Stiftung empfiehlt, dass bei unter Dreijährigen eine Erzieherin für höchstens drei Kinder verantwortlich sein sollte. Um diesen Personalschlüssel zu erreichen, seien 120.000 zusätzliche Erzieherinnen erforderlich. Das würde nach eigenen Berechnungen der Stiftung jährlich zusätzliche Personalkosten von rund fünf Milliarden Euro bedeuten. Dafür ist kein Geld da. Doch eine Kita, die um 13 Uhr schließt, fördert die Flexibilität der Arbeitnehmer definitiv nicht.

Dass Eltern mit kleinen Kindern mehr Angebote brauchen, weiß auch Christina Schildmann. Sie ist bei der Friedrich-Ebert-Stiftung zuständig für Familienpolitik und war Koordinatorin der Arbeitsgruppe, die das Modell der Familienarbeitszeit entwickelt hat: Eine staatliche geförderte 32-Stunden-Woche für Eltern, wie sie Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) zu ihrem langfristigen Ziel erklärt hat. "Die Familienarbeitszeit hat - als zusätzliche Wahlmöglichkeit - das Ziel, die Flexibilität junger Eltern in der Rush-Hour des Lebens zu steigern", hebt Schildmann hervor.

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