Deutschland leidet an Bewegungsmangel: 8,5 Stunden am Tag verbringt der durchschnittliche Deutsche im Sitzen – und 33 Prozent davon bei der Arbeit am Schreibtisch, wie es im „DKV-Report 2021“ steht. Dabei schadet das viele Sitzen nicht nur der Laune und der Produktivität, sondern auch der Gesundheit: Rücken- und Nackenschmerzen, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck sowie Herz- und Gefäßkrankheiten können durch Bewegungsmangel begünstigt. Andere Studien bezeichnen übermäßiges Sitzen sogar als das „neue Rauchen“, da es die Lebenserwartung reduzieren kann.
Im Beruf kann Bewegung die eigene Leistung steigern, sagt Rocco Eichholz. Der Sportwissenschaftler arbeitet deutschlandweit mit Firmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement zusammen und berät Mitarbeiter, wie sie Bewegung in ihren Alltag integrieren können. Durch die gesteigerte Durchblutung wird mehr Sauerstoff an das Gehirn geliefert, erklärt der Experte. „Und mit mehr Sauerstoff kommen auch mehr Denkleistung und Effektivität.“
Doch zwischen einem langen Arbeitstag am Schreibtisch und der wenigen Freizeit bleibt vielen Arbeitnehmern kaum Zeit für ausreichend Bewegung. In den sozialen Netzwerken sind daher immer öfter Fitnessgadgets fürs Homeoffice zu sehen, besonders beliebt dabei das Laufband für den Stehschreibtisch. Das Versprechen: Bewegung, Produktivität und Gesundheit – und das alles ohne Zeitverlust, da während der Übungen E-Mails beantwortet und Meetings gehalten werden können. Doch was taugen die Gadgets?
Laufband für den Stehschreibtisch
Das Laufband für den Stehschreibtisch unterscheidet sich in einem entscheidenden Punkt von denen im Fitnessstudio: Mit 6 km/h ist es deutlich langsamer, und dadurch leichter, flexibler und besser geeignet für das gemütliche Gehen anstatt dem üblichen zügigen Joggen. Das Laufband gibt es in zwei Varianten, entweder als reines Laufband zum Legen unter den eigenen Schreibtisch oder als größeres Modell, bei dem vorne eine Tischplatte eingebaut ist. Leider sind die Geräte nicht lautlos und können durch das Summen des Motors im Hintergrund von Telefonaten oder Meetings stören.
Für den Sportwissenschaftler ist das Laufband ein guter Einstieg für die Bewegung im Arbeitsalltag. Am Stehschreibtisch sei es einfacher, mit der Bewegung anzufangen. Doch bei der Nutzung sollte auf die Haltung des Oberkörpers geachtet werden und der Arbeitsplatz auf die richtige Höhe eingestellt werden, empfiehlt der Experte. Sonst könnte es durch eine schlechte Körperhaltung zu Rücken- und Nackenschmerzen kommen. Eichholz: „Wenn der Arbeitsplatz zu tief oder zu hoch ist, ergibt das keinen Sinn.“
Wer noch keine Erfahrung auf dem Laufband hat, sollte sich zunächst an das Gerät gewöhnen. „Man muss immer in Bewegung bleiben“, so Eichholz, „Man sollte sich erst mit dem Laufband vertraut machen und dann die Arbeit dazu nehmen.“ Sonst wird der ungewohnte, sich bewegende Untergrund schnell zur Stolperfalle.
Schreibtischfahrrad
Etwas sportlicher als beim Laufband wird es im Arbeitszimmer mit einem Schreibtischfahrrad, auch „Desk Bike“ genannt. Je nach Hersteller und Preisklasse gibt es nur die Pedale, die unter den Schreibtisch gestellt werden können, einen Stuhlersatz aus Pedalen und Fahrradsitz oder, wie auch bereits beim Laufband, als komplettes Set-up mit einer integrierten Schreibtischplatte. Eichholz rät von der ersten Variante eher ab: Durch das Anziehen der Beine in der Position würde der sogenannte Hüftbeuger, ein vorderer Hüftmuskel, der das Bein nach oben zieht, trainiert werden. Der Muskel kann bei falsch ausgeführten Übungen für Rückenschmerzen sorgen. Hier sollte eher ein Modell gewählt werden, bei dem die Beine gerade nach unten zeigen können, während die Knie und die Hüfte gestreckt werden. Zudem sollte auch beim Schreibtischfahrrad darauf geachtet werden, dass der Arbeitsplatz sich an das Sportgerät anpassen lässt.
Einen weiteren Kritikpunkt sieht der Sportwissenschaftler bei den Schreibtischlaufbändern und -fahrrädern auch darin, welche Körperpartien während der Übung nicht aktiviert werden: „Die Schultern werden nicht bewegt“, so Eichholz.
Balanceboard
Balanceboards sind so ausgelegt, dass sie einfach an Stelle eines Bürostuhls oder an einem Stehtisch genutzt werden. Dabei ist ein Vorteil, dass das Board kleiner und handlicher als die meisten Laufbänder und Schreibtischfahrräder ist und daher auch in kleineren Räumen gut genutzt – und verstaut – werden kann. Zudem sind die Boards beinahe geräuschlos, so wird der Nutzer nicht beim Arbeiten gestört.
„Balanceboards sind gut, da man ständig für Ausgleich sorgen muss“, erklärt Eichholz. Gerade dieser Ausgleich stärke die Rückenmuskulatur und lindere Schmerzen vom langen Sitzen. 20 bis 30 Minuten täglich auf dem Board reichen dafür bereits aus, doch bei dauerhafter Nutzung über den ganzen Tag „kann das für die Muskeln zu viel werden“, warnt Eichholz. Die Folge: Muskelverspannungen und Muskelkater.
Um Kratzer im Boden und Unfälle zu vermeiden, sollte eine rutschsichere Matte unter den Schreibtisch gelegt werden.
Gymba-Board
Ein Gymba-Board vereint die täglichen Schritte eines Laufbandes und die balancefördernden Übungen des Balance-Boards. Mit dem handlichen Fitnessgadget sei es möglich, Gehen zu simulieren, ohne dass man sich von der Stelle bewegt, verspricht der Hersteller. Daher ist das Board deutlich leiser und handlicher als ein Laufband. Mit einer Drehung verwandelt man das Gymba-Board in ein Balanceboard, das auch für Gleichgewichtsübungen genutzt werden kann. Dadurch bietet das Gymba-Board für Eichholz die meisten Möglichkeiten, am Schreibtisch den ganzen Körper zu bewegen: Neben der Tiefenmuskulatur, die die Wirbelsäule stabilisiert, wird zusätzlich noch die Bein- und Fußmuskulatur trainiert. Zudem sei es schnell aufzubauen und flexibel, daher lässt es sich gut in einen bewegten Arbeitsalltag einbauen.
Die wichtigsten Fitnesstipps von Wladimir Klitschko
Wichtiger als die Dauer des Trainings ist seine Intensität und Regelmäßigkeit. „Wir haben alle wenig Zeit, 30 Minuten Training am Tag reichen, wenn Sie dranbleiben“, sagt Klitschko.
Es kann der Wunsch nach mehr Muskeln sein oder der Wunsch nach Gewichtsverlust. Wichtig ist nur: „Setzen Sie sich ein Ziel. Ohne Ziel werden Sie es nicht schaffen“, sagt Klitschko. Vor dem Boxen habe er anfangs Angst gehabt. Aber der Wunsch, mit dem Boxen andere Ziele zu erreichen, sei entscheidend gewesen.
Arnold Schwarzenegger war das erste Vorbild, das Wladimir Klitschko in seiner Jugend hatte. Später war es dann Karate-Legende Bruce Lee. Für jeden anderen kann es auch eine andere Person sein, es muss kein Kampfsportler sein. Wichtig ist nur: Eine Person, die einem als Vorbild erscheint.
Wenn es mal nicht läuft: Dennoch trainieren. Betrachten Sie die Widerstände im Training als die gleichen, die Ihnen im Alltag begegnen. „Wenn Sie im Beruf Probleme haben, müssen Sie die auch lösen, sonst verlieren Sie Ihren Job“, sagt Klitschko.
Die Basis erfolgreichen Trainings sei diese einfache Sache: Täglich das gleiche tun. Für drei Minuten. Nach dem Aufstehen Zähneputzen. Und sobald die Zahnbürste aus der Hand gelegt ist: 20 Liegestütze. Und sofort 20 Kniebeuge. Jeden Tag. Immer.
Bei aller Disziplin und Anstrengung: „Ohne Spaß an der Sache werden Sie nicht dabei bleiben“, sagt Klitschko. Aber – der Spaß kommt mit der Anstrengung. Wenn das Ziel klar ist, dann stellen sich rasch die ersten Glücksgefühle auf dem Weg dorthin ein. Das bringt den nötigen Spaß.
Wladimir Klitschko nennt es den „Cheat Day“ – cheat wie Mogeln. Ein Tag, der der Ruhe gilt. Denn der Körper braucht unbedingt Pausen. „Sie können untertrainieren, dann haben Sie keine Erfolge. Sie können aber auch übertrainieren, dann schaden Sie Ihrem Körper.“ Das gilt auch für die Ernährung. Neben sieben bis neun Stunden Schlaf rät Klitschko zu drei bis vier Litern Wasser am Tag. Außerdem sollte nie das Frühstück ausgelassen und nach dem Sport Obst und Milch gegessen werden. Dann ist am Cheat Day auch Schlemmen nach Herzenslust drin. Keine Zeit für Frühstück – kein Problem: nach dem Aufstehen direkt zwei Handvoll Nüsse essen.
Wer Übungen vor allem für einen stärkeren Rücken plant, muss unbedingt auch die Bauchmuskeln trainieren, den Gegenspieler der Rückenmuskulatur. Einseitige Belastungen verursachen nur Probleme.
„Es ist nicht so wichtig, ob Sie eine Übung langsam oder schnell ausführen. Ich mache sie immer zu schnell“, sagt Klitschko. Wichtig sei, dass es sich gut anfühlt und die Übungen wie Liegestütze vollständig ausgeführt werden.
„Nichts motiviert besser als die ersten Resultate“, sagt Klitschko. Auf einem Zettel notieren, wie sich Gewicht, Brust- und Bauchumfang entwickeln. Und die Zahl der Liegestütze. „Wenn Sie die Liegestütze regelmäßig machen, wird es Ihnen rasch leicht fallen, mehr zu machen als noch einen Monat zuvor.“
Belohnen Sie sich mit Erfolgen. „Wenn Sie sich an regelmäßiges Training halten, sind die Ergebnisse sichtbar. Das motiviert“, sagt Klitschko.
Gesetzliche Unfallversicherung deckt Gadgets nicht ab
Ein Sturz vom Balanceboard oder Stolpern auf dem Laufband: Wie bei allen Sportgeräten besteht auch bei den vier Fitnessgadgets Unfallgefahr. Diese sollten Arbeitnehmer nicht vernachlässigen, da gerade das Homeoffice eine graue Zone für die gesetzliche Unfallversicherung ist. Für Rechtsanwältin Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV), wäre ein Unfall durch ein Sportgerät im Homeoffice kein Arbeitsunfall. Ein Arbeitsunfall setze voraus, dass die versicherte Arbeitsleistung der Grund für den Unfall ist, erläutert die Juristin. „Dies dürfte nicht der Fall sein, wenn ein Arbeitnehmer neben der versicherten Arbeitsleistung Sport betreibt und dabei verunfallt.“
Anders könnte es sein, wenn der Arbeitnehmer sich zum Beispiel durch das Klingeln eines Teams-Anrufes erschreckt und dabei vom Laufband fällt. Allerdings müsste auch in dem Fall die Ursache für den Unfall ausführlich überprüft werden, konstatiert Oberthür.
Ob sitzen, stehen oder bewegen – es kommt auf die Abwechslung an
Unabhängig vom Fitnessgadget ist laut Sportwissenschaftler Rocco Eichholz besonders eins wichtig: „Man muss sich Abwechslung schaffen – sitzen, stehen, fläzen auf der Couch und dann bewegen.“ Dabei spielt auch die richtige Einstellung eine große Rolle, um Bewegung in den Arbeitsalltag zu integrieren. Pausen vom Sitzen sollten eingeplant und To-Dos wie Telefonieren mit Bewegung verknüpft werden, empfiehlt Eichholz. Sein Richtwert dabei: Für zehn Minuten in der Stunde den Stuhl verlassen und währenddessen denken: „Ich verschenke keine Zeit mit Bewegung, sondern kann effektiver arbeiten“.
Ein weiterer Orientierungswert für eine angemessene Menge an Bewegung pro Tag bietet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Sie empfiehlt 150 bis 300 Minuten moderate Bewegung und 60 bis 180 Minuten Training des Herz- und Kreislaufsystems in der Woche. „Das Herz- und Kreislaufsystem ist besonders wichtig. Wenn’s da nicht stimmt, sind die gesundheitlichen Gefahren deutlich größer“, erklärt der Sportwissenschaftler. Eichholz rät täglich zu mindestens 15 Minuten Bewegung des gesamten Körpers im kompletten Bewegungsumfang, sodass alle Gelenke, der Schulterbereich und die Bandscheiben, die sich sonst in einer starren Position befinden, aktiviert werden.
Gut für das Herz-Kreislaufsystem sind auch größere Übungen wie zehn Kniebeugen in der Stunde – an einem Arbeitstag kommen dann schnell 80 Kniebeugen zusammen. Die Schultern werden mit Übungen wie dem Frosch, bei dem in die Hocke gegangen und sich dann komplett gestreckt wird, oder durch Schulterrollen aktiviert. Und auch der Kopf und sowie die Nackenmuskulatur sollten nicht vernachlässigt werden – ob mit oder ohne Gadget.
Ein letzter Tipp des Experten: Sollte eine Körperpartie vom langen Sitzen oder Stehen schmerzen, sollte man „nicht lang warten, sondern sich direkt kurz bewegen.“
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