Bewerbung mit Gewissensfrage Wie umstrittene Unternehmen Talente finden

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Auch Nichtraucher dürfen bei Zigarettenkonzernen arbeiten

Schattenseiten offen ansprechen – diese Strategie hält Erik Bethkenhagen für unvermeidlich. „Im Netz findet sich ohnehin jede Greenpeace-Aktion, jeder Protest vor der Firmenzentrale noch nach Jahren“, sagt der Kommunikationschef des Beratungshauses Kienbaum. Seiner Meinung nach hätten heutige Absolventen nicht unbedingt höhere moralische Ansprüche, das belegten auch Studien aus seinem Haus. „Sie verlangen aber größere Transparenz.“

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Entsprechen offensiv gehen manche Unternehmen mit ihren Imageproblemen um. Der Zigarettenkonzern Philip Morris etwa spricht die Vorbehalte mancher Interessenten offen an – auf der Karrierewebsite ebenso wie auf Recruitment-Verantstaltungen. Auch um falschen Gerüchten entgegenzutreten. Etwa dem, dass nur Raucher eine Stelle ergattern. Interessenten werden deutlich darauf hingewiesen, dass das Unternehmen Produkte herstellt, die schwerwiegende Erkrankungen hervorrufen können. Danach herrsche oft Staunen über so viel Transparenz, sagt Andrea Trautmann, zuständig für die Talentakquise von Philip Morris Deutschland. Nach diesen Gesprächen gingen besonders viele Bewerbungen ein. Der offene Umgang wirke wohl „durchaus als Motivation“.

Bewerber sollten sich schon vorab mit Ihrem Gewissen auseinandersetzen

Die Frage, ob es überhaupt vertretbar sei, bei einem Tabakunternehmen zu arbeiten, hält Trautmann für „absolut berechtigt“. Fast alle Mitarbeiter hätte sie anfangs beschäftigt. Deshalb fragt der Konzern mittlerweile in jedem Bewerbungsgespräch, wie umfassend sich der Kandidat informiert und eine Meinung gebildet hat. „Wir möchten herausfinden, inwieweit die Kandidaten mögliche Konsequenzen durchdacht haben“, erklärt Trautmann. Wie reagiert mein privates Umfeld? Kann ich selbst glaubwürdig für die Produkte eintreten – und will ich das überhaupt? Danach besteht das Unternehmen auf einer Bedenkzeit für die Bewerber. Sie sollen sorgfältig überlegen, ob sie für den Tabakkonzern arbeiten möchten, und zwar unabhängig von fachlichen Aspekten.

Zweifel sollen nicht erst auftauchen, wenn die Angestellten längst im Job ist. Headhunter Gemmeke kennt die negativen Beispiele aus eigener Erfahrung. Etwa den Mitarbeiter eines Rüstungsunternehmens, der sich auf der kaufmännischen Seite des Unternehmens in moralischer Sicherheit wägte. Doch nach wenigen Monaten setzten ihm schon die Kantinengespräche zu: War am Nachbartisch von geglückten Testläufen und zerstörten Attrappen die Rede, bekam er Bauchschmerzen. Erst jetzt wurde ihm – dem Wehrdienstverweigerer – klar, in welchem Dilemma er steckte.

Gemmeke bittet seine Kandidaten, auch den Partner in die Entscheidung mit einzubeziehen. Denn der müsse sich im Zweifelsfall genauso den kritischen Nachfragen von Freunden und Verwandten stellen. Ein Kandidat habe deshalb zum Beispiel ein Angebot von Big Dutchman ablehnen müssen: Er selbst hatte zwar kein Problem mit den Produkten des Käfigbauers. Seine Frau aber sei Veganerin – und der tägliche Ehekrach damit programmiert. Das Unternehmen selbst demonstriert dagegen Gelassenheit, sagt Big-Dutchman-Personalleiter Olaf Strick: „Wir beschäftigen auch Vegetarier.“

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