Beziehung und Beruf Wie wieder Zeit für die Liebe bleibt

Kopf hoch! Paare mit Problemen suchen meist erst nach fünf bis sieben Jahren Rat beim Therapeuten. Quelle: Attila Hartwig

Ist Menschen ihr Beruf wichtiger als die Beziehung, kann das irgendwann zur totalen Flaute im Bett führen. Um dem entgegenzuwirken, hilft nicht nur ein guter Vorsatz. Disziplin und Aufmerksamkeit sind gefragt.

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Wenn sich ein Patient mal wieder besonders uneinsichtig zeigt, greift Beatrice Wagner zum Maßband. Bei 82 Zentimetern schneidet die Münchner Sexualtherapeutin es ab: 82 Jahre, so alt wird der Deutsche im Durschnitt. Anschließend erkundigt sich Wagner nach dem Alter des Patienten. 45? Sie nimmt die Schere und schneidet noch einmal: Es bleiben 37 Zentimeter übrig. „Und“, fragt Wagner dann, „was wollen Sie mit dem Rest Ihres Lebens anfangen?“ Viele ihrer Patienten werden dann ganz unruhig. Gut so, sagt Wagner, denn ihre kleine Performance soll die Menschen wachrütteln. Noch nie habe jemand geantwortet, mehr Zeit im Büro verbringen zu wollen. Fast alle wünschten sich stattdessen mehr Zeit für die Familie und vor allem für den Partner. Und damit auch für das Liebesleben.

„Sexualität braucht gute Bedingungen“, sagt der Hannoveraner Sexualwissenschaftler Uwe Hartmann. Er empfiehlt daher, feste Zeiten für die Beziehung im Terminkalender zu reservieren. Zwar höre er oft, Sexualität solle etwas Spontanes sein. Doch fragt er seine Patienten dann, wie häufig sie in den vergangenen Monaten spontanen Sex hatten, lautet die Antwort doch allzu oft: Nie. Dann ist es doch besser, sich jeden Mittwochabend einen Babysitter zu suchen, um endlich mal Zeit zu zweit zu verbringen.

Diese gewonnenen Momente müssen auch nicht sofort mit wilden Liebesspielen gefüllt werden: „Es reicht schon, wenn die Paare zusammen auf dem Sofa liegen und Zeitung lesen“, sagt Therapeutin Carla Pohlink aus Altenburg in Thüringen. Denn Lust speise sich aus Nähe und Ruhe: „Für Sex braucht es einen Moment der gesunden Langeweile.“

Für Pohlink ist das heute fast das größte Problem. Hat doch jeder Mensch immer eine To-Do-Liste vor sich, die abgearbeitet werden muss. Und wenn mal nichts im Kalender steht, werden diese Lücken schnell mit dem nächsten Meeting oder Telefonat gefüllt. Das Wochenende hingegen steht ganz im Zeichen der persönlichen Weiterbildung: Das Theaterstück, dass so radikal anders sein soll. Das Restaurant, in dem die georgische Küche so neu interpretiert wird. Das Buch, das man gelesen haben muss. Mit dem Ergebnis, dass für Intimität und Sexualität nur noch wenig bis gar kein Platz mehr bleibt.

Pohlink rät ihren Patienten daher, in der Freizeit regelmäßig Smartphone, Laptop und Fernseher auszuschalten. Denn: Wird das Gehirn permanent mit Reisefotos auf Instagram oder Statusmeldungen auf Facebook zugeschüttet, könne es gar nicht auf die Idee kommen, Lust auf etwas anderes zu entwickeln – etwa auf Sex.

Der Schweizer Paartherapeut Guy Bodenmann unterscheidet zusätzlich noch zwischen paarexternem und paarinternem Stress. Mit Ersterem bezeichnet er den Stress, der im Beruf und Alltag entsteht. Darunter leidet heute fast jeder mal. Das allein ist noch nicht so schlimm. Gefährlich für die Beziehung wird es vor allem, wenn der paarexterne Stress zum paarinternen wird. Leider geht das relativ schnell. Vor allem bei Männern, wie Bodenmann herausfand. Die kommen dann nach einem anstrengenden Tag von der Arbeit nach Hause und berichten lang und breit von ihrem Elend. Negative Gefühle aus dem Job werden so in die Beziehung hineingetragen. Bei Frauen ist das anders. Sie sind rücksichtsvoller und versuchen ihren Partner oder Kinder eher zu verschonen.

Bodenmann hat daher ein Stresspräventionsprogramm für doppelt berufstätige Paare entwickelt. Das Programm besteht aus vier Schwerpunkten: Kommunikation, Problemlösung, gemeinsame Stressbewältigung und Fairness. Bei der Kommunikation geht es etwa darum, dass Paare über ihre Gefühle sprechen und aufmerksamer werden. Aber auch darum, Konflikte konstruktiv auszutragen. Bei der Problemlösung sollen Alltagsprobleme nachhaltig und effizient gelöst werden. Und unter Stressbewältigung versteht Bodenmann vor allem, dass die Partner sich gegenseitig ihre Sorgen mitteilen und sich unterstützen. Beim Thema Fairness geht es um eine ausgewogene Rollenverteilung in der Beziehung.

Literaturtipps

Doch was, wenn es nicht an der Quantität des Sex mangelt, sondern an dessen Qualität? Dann ist vor allem Fingerspitzengefühl gefragt. „Gerade im sexuellen Bereich sind die Menschen unheimlich empfindlich“, sagt Psychologe Hartmann. Lebe ein Paar seit zehn Jahren zusammen, falle es den Partnern schwer zu sagen, man finde das, was der andere im Bett veranstaltet, eigentlich gar nicht so prickelnd. Deshalb sei es wichtig, bei Gesprächen über das Sexualleben die gleichen Regeln wie bei einem Feedback-Gespräch im Job anzuwenden: Das Positive kommt zuerst, die anschließende Kritik wird in Ich-Botschaften verpackt.

Carla Pohlink rät zudem, den anderen für seine Offenheit zu belohnen. „Äußert Ihr Partner einen Wunsch, sagen Sie auf keinen Fall sofort Nein.“ Stattdessen sollte immer ein Gegenangebot folgen.

Hartmann wendet zudem noch einen Trick an, den er „Externalisieren des Problems“ nennt. Wichtigste Regel: Persönliche Anschuldigungen unbedingt vermeiden! Ein Satz wie „Du bist schlecht im Bett“ führt geradewegs in die Eskalation. Besser ist eine diplomatische Formulierung wie: „Da hat sich in unserer Beziehung etwas entwickelt, was niemand wollte, aber jetzt ist es trotzdem passiert.“ Ohne Schuldzuweisungen lassen sich Probleme leichter anerkennen – und damit auch schneller lösen.

Denn ein Grund, warum langjährige sexuelle Beziehungen irgendwann langweilig werden, ist, weil sie aus den so genannten „Überresten“ bestehen. Davon ist jedenfalls US-Paartherapeut David Schnarch überzeugt. Damit meint er sexuelle Praktiken, auf die sich beide Partner einigen können. Zu Beginn einer Beziehung probieren sich die Paare aus. Sie lernen dadurch, was der andere mag und was nicht. Empfindet der eine etwas als unangenehm, verschwindet diese Praktik schleichend aus der Beziehung. So weit, so legitim. Das Problem ist nur: Die aus dem Beischlaf verbannten „Reste“ bergen die Gefahr, ein Gefühl des Mangels zu verursachen. Um dem entgegen zu wirken, bleibt nur eines: immer wieder Neues ausprobieren. „Sie können diesen Zustand nur überwinden, indem Sie ihr Repertoire an vertrauten sexuellen Aktivitäten durch Ausprobieren neuer Möglichkeiten vergrößern“, so Schnarch.

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