Bilanz nach einem Jahr Tina Müller – mutig, mächtig, medienwirksam

Der Wechsel von Kosmetikmanagerin Tina Müller in die Autoindustrie vor einem Jahr sorgte für Wirbel. Was sie seitdem bewegt hat und wo es noch hakt. Ein Resümee.

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An der Basis. Opel-Marketingchefin Tina Müller besucht das Autohaus Kadea in Berlin-Tempelhof Quelle: Andreas Chudowski für WirtschaftsWoche

"„Ich bin die Auszubildende von Frau Holz“, stellt sich Opels Marketingchefin Tina Müller der Kundin vor und nimmt Platz am Schreibtisch im Ausstellungsraum des Händlers Kadea in Berlin-Tempelhof. Durch das gläserne Dach strömt Licht auf die parkenden Neuwagen in der Halle, die Opel während des Ersten Weltkrieges als Produktionsstätte für Lastfahrzeuge errichten ließ.

In diesem Ambiente berät normalerweise Simone Holz die Interessenten zu neuen Modellen und attraktiven Leasingangeboten. Heute ist dies die Aufgabe von Marketinggeschäftsführerin Müller. „Ich will mich mit Kunden austauschen und den Arbeitsalltag unserer Verkaufsberater kennenlernen“, erklärt Müller ihr Kurz-Praktikum.

Zahlen geben Anlass zur Hoffnung

Und schon ein paar Minuten später erfährt die 45-Jährige die Nöte der Verkäufer am eigenen Leib: Gemeinsam mit der Kundin will sie einen neuen Opel Adam am Computer zusammenstellen. Doch bei der Auswahl der Dachfarbe streikt das Programm. „Daten können nicht verarbeitet werden“, steht unter dem rotierenden Kreis, der den Bildschirm blockiert. Viel Geduld und ein Neustart des Konfigurators helfen zwar, doch das reicht Müller nicht. Noch heute werde sie die IT-Abteilung benachrichtigen und auf eine Lösung drängen. „So etwas bekomme ich nicht mit, wenn ich in Rüsselsheim am Schreibtisch sitze“, sagt sie.

Stationen in der Karriere von Tina Müller

Beim Besuch an der Basis will die Marketingverantwortliche gut ein Jahr nach ihrem Start bei Opel auch erfahren, ob ihre Arbeit Früchte trägt – bei Händlern und Kunden.

Die reinen Zahlen geben aktuell Anlass zur Hoffnung: Im Juni erreichte Opel nach zweieinhalbjähriger Durststrecke erstmals wieder einen Marktanteil von acht Prozent. „Außerdem kann Opel seine Autos wieder höherwertig verkaufen“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er errechnet einen Durchschnittspreis von 12 570 Euro pro Fahrzeug der Opel-Gruppe im ersten Halbjahr 2014. Fast 800 Euro mehr als im Gesamtjahr 2013.

„Das sind alles kleine Lichter am Horizont“, sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. Allerdings: „Es ist noch ein weiter Weg, den Tina Müller und das restliche Opel-Management gehen müssen.“

Denn vom Turn-around ist Opel noch ein gutes Stückt entfernt. Im zweiten Quartal stand ein Verlust von 226 Millionen Euro in den Büchern – zwei Drittel davon waren allerdings der bevorstehenden Werksschließung in Bochum geschuldet. Sollte die schwarze Null wie geplant 2016 Wirklichkeit werden, wäre das sicher auch mit ein Verdienst von Müller. Schließlich war die Managerin am 1. August 2013 angetreten, eine der schwierigsten Marketingaufgaben in der deutschen Autoindustrie zu lösen: der Traditionsmarke Opel nach dem Totalschaden eines Beinahe-Verkaufs neuen Glanz zu geben. Ihre Strategie: Das Negativimage offen ansprechen und mit Witz und prominenten Gesichtern ins Positive zu drehen.

Beliebt bei Kunden und dem Mutterkonzern

Die Strategie zahlt sich offenbar aus. Bei Opel-Chef Karl-Thomas Neumann genießt Müller jedenfalls hohes Ansehen, er lässt seiner Markenexpertin auch bei ungewöhnlichen Aktionen freie Hand. Zum Beispiel als sie im Januar eine Vernissage veranstaltete, für die Sänger und Fotograf Bryan Adams den Opel Adam abgelichtet hatte. Selbst beim Mutterkonzern hält man große Stücke auf Müller: GM-Chefin Mary Barra schickt sie demnächst zu einem Führungskräfteprogramm an der renommierten Stanford-Universität.

Und auch bei den Kunden kommt Müllers offene Art gut an. In Berlin quatscht sie während einer Probefahrt locker mit einem Interessenten über ihre Erfahrungen mit dem Opel Mokka.

Zu Besuch beim Händler

Nahbarkeit ist für Müller keine Floskel. Sie antwortet Kunden persönlich via Twitter und besucht Händler, wie an diesem Sommertag in Berlin oder einige Wochen zuvor im hessischen Witzenhausen. Das dort ansässige Autohaus gibt es seit 1959. „Noch nie hatten wir so hochrangigen Besuch“, sagt Geschäftsführer Jörg Heidenreich. Müller war im Internet auf kreative Werbevideos des Händlers gestoßen und gratulierte ihm dazu per E-Mail. Es folgte ein lockerer Austausch, er lud sie ein – sie sagte zu. „Das war kein Lippenbekenntnis, drei Stunden später stand der Termin“, sagt Heidenreich.

Durch solche Aktionen und ihre bisherige Arbeit konnte Müller anfängliche Skepsis zurückdrängen. „Im ersten Moment war die Besetzung für viele Händler ein Schreck“, sagt Stefan Quary, Vorstandsmitglied beim Verband Deutscher Opel-Händler. Hatte Müller ihre Erfolge bis dahin doch in der Kosmetikbranche gefeiert und ihre Autos meist nach Farbe ausgewählt. „Ein Jahr später bewerten dieselben Händler ihre Arbeit sehr positiv“, sagt der Verbandsvorstand.

"Umparken im Kopf" - Wenn Firmen neugierig machen wollen
„Umparken im Kopf“Die Welt ist voller Missverständnisse – das greift die Werbekampagne „Umparken im Kopf“ auf ihren zahlreichen Plakaten in deutschen Innenstädten auf: „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ heißt es auf dem einen Plakat, auf dem anderen  „68 Prozent der Männer halten rothaarige Frauen für  feuriger – 90 Prozent davon haben noch nie eine kennen gelernt.“ Die dazugehörige Internetseite zeigt Videos von Prominenten, die sich über Vorurteile aufregen. Das werbende Unternehmen dahinter kommt nicht zum Vorschein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Teaser“—Kampagne, die Neugier wecken will. In solchen Fällen folgt meist eine Auflösungs-Kampagne, die klar stellt wer oder was dahinter steckt. Hierbei soll es der angeschlagene Autobauer Opel sein, der dies jedoch nicht bestätigt. Werbeexperte Ronald Focken sieht darin einen Versuch, Opel von seinem staubigen Image zu befreien: „Opel hat seit seiner Neuaufstellung gute Kampagnen gemacht, aber konnte mit den herkömmlichen Werbemechanismen nicht von den alten Vorurteilen loskommen“, sagt der Geschäftsführer der Münchner Werbeagentur Serviceplan, die nicht in der Opel-Kampagne involviert ist. Solche Neugier weckenden Kampagnen lohnen sich immer dann, wenn es darum geht, eine alte Marke neu zu entdecken, oder neue Marken vorzustellen. Dies zeigen folgende Beispiele. Quelle: Screenshot
Ich bin ON Quelle: imago/Enters
Don't be a Maybe Quelle: imago / steinach
Daewoo und DuSchon 1995 bediente sich der südkoreanische Autohersteller Daewoo einer Teaser-Kampagne, um sich den deutschen Kunden vorzustellen. Die damals unbekannte Automarke bewarb sich, indem rote Lippen vor weißem Hintergrund eingängig „Daewoo! Daewoo und Du! Daewoo und Du, eine Freundschaft beginnt!“ sangen. Die Stimme dahinter kam von Popstar Jennifer Rush. Daraufhin wurde der Text eingeblendet: „Wenn Sie wissen wollen, wer oder was sich hinter Daewoo verbirgt, rufen Sie bis zum 27.02.1995 an und gewinnen Sie eine Reise nach Fernost.“ Auch hier sollte die Neugier wieder für eine ganze Marke geweckt werden, erklärt Ronald Focken von der Werbeagentur Serviceplan. „Wegen ihrer hohen Kosten gibt es Teaser-Kampagnen meist nie für einzelne Produkte, sondern immer für ganze Markenauftritte.“ Grundsätzlich gehen solche Kampagnen zurück – vor allem sind sie nicht mehr in dem großen Ausmaß zu finden, wie bei E.On 2002. Opel ist aktuell etwa mit weniger Plakaten vertreten und setzt stattdessen stärker aufs Internet.  „Marketingchefs haben heutzutage gar nicht mehr das Budget, in eine Kampagne mit so vielen Plakaten und Printanzeigen zu investieren, die letztlich nur Neugier schaffen soll.“ Quelle: Screenshot

Der Wendepunkt sei die „Umparken im Kopf“-Kampagne gewesen. Auf Tausenden Plakaten, in den sozialen Medien und im TV sollte sie mit den Vorurteilen gegenüber Opel aufräumen. Im Februar startete die Imageoffensive, für die nicht nur Jürgen Klopp, sondern auch neue Gesichter wie Schauspielerin Karoline Herfurth vor die Kamera traten. Denn für Müller sind Promis der Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Glamour. Auch wenn ausgerechnet der beliebteste Markenbotschafter Jürgen Klopp eher im Flut- als im Scheinwerferlicht zu Hause ist und schon vor Müller für Opel tätig war, das Konzept scheint aufzugehen.

Offensiv gegen Vorurteile

Seit März 2014 ist Opel laut Marktforschungsinstitut Innofact die meist wahrgenommene Marke Deutschlands. „In einer Welt, in der so viele Eindrücke auf die Konsumenten einprasseln, ist es wichtig, sichtbar zu werden“, sagt Bratzel. „Das hat Tina Müller geschafft.“

Der Grund: „Sie ist radikaler als andere“, sagt Quary. „Kein anderer Manager hätte die Vorurteile gegenüber Opel so offensiv aufgegriffen.“ Und sich womöglich für den ersten Vorschlag zur Imagekampagne entschieden, der auf die historischen Verkaufsschlager der Marke abzielte. „Das hätte nicht funktioniert“, sagt Müller. „Die goldenen Zeiten sind zu lange vorbei. Außerdem wäre das nicht mutig genug gewesen.“

Unkonventionelle Initiativen, wie günstige Mietwagen für gestresste Berliner, solange die S-Bahnen zwischen den Stationen Zoologischer Garten und Ostbahnhof wegen Bauarbeiten entfallen, tragen Müllers Handschrift. Dieser Mut, gepaart mit offensiver PR-Arbeit, sorgen für den nötigen Rummel. Die Managerin selbst tritt im Web-Video zu obiger Aktion auf, gibt Interviews am laufenden Band – egal, ob „Brigitte“ oder „Auto Motor und Sport“. Was die einen als clevere Marketingstrategie bezeichnen, belächeln andere als Kampagne in eigener Sache – und mutmaßen, Müller versuche sich so schon für die nächste Aufgabe in Position zu bringen.

Der nächste Schritt zählt

Wesentlich freundlicher geht es bei der morgendlichen Besprechung im Berliner Autohaus zu. Müller sitzt mit dem Geschäftsführer und seinen Angestellten am Tisch im schmucklosen Konferenzraum, lauscht aufmerksam, stellt Fragen zu Werbeanzeigen und zum Verkauf. Am Ende der Besprechung fasst sich ein Verkäufer ein Herz: „Was passiert nach ,Umparken im Kopf‘?“

Eine Frage, die sich auch die Kritiker der Kampagne stellen. Denn so richtig es gewesen sei, zunächst das Image zu thematisieren, so wichtig wäre jetzt der nächste Schritt. „Die Verbraucher wollen wissen, wofür Opel steht“, sagt etwa Marktforscher Dirk Ziems, von Concept m, der kürzlich eine Befragung zu „Umparken im Kopf“ durchführte.

Langfriststrategie auf dem Prüfstand

„Die Imagekampagne war nötig“, antwortet Müller dem Verkäufer. „Jetzt konzentrieren wir uns auf die neuen Modelle.“ Das wollten er und seine Kollegen hören, hatte ein anderer doch zuvor beklagt, dass Opel mit dem Cascada zwar ein super Cabrio anbiete, aber niemand es kenne. Auch für das Elektroauto Ampera fand keine Werbung statt – das Modell wurde zum Ladenhüter.

Doch bis wieder Produktwerbung im großen Stil anläuft, dürften noch Monate vergehen. „Der neue Corsa wird der Stresstest für ,Umparken im Kopf‘“, sagt Müller zu dem im Winter erscheinenden Auto. „Dann wird sich zeigen, ob unsere Imageoffensive gefruchtet hat.“ Oder, ob die dick aufgetragene Markenpolitur bis dahin matt geworden ist: Nach einer Auswertung der Kommunikationsberatung Faktenkontor sind die Nennungen von Opel im Internet – nach einem kurzzeitigen Hoch im März – schon wieder auf Vor-Kampagnen-Niveau gefallen.

Diese Modelle entscheiden über Opels Zukunft
Opel Adam Quelle: dpa
Opel Mokka Quelle: dpa
Opel Monza Quelle: GM Company
Opel Cascada Quelle: dpa
Opel Insignia Quelle: dpa-tmn
Opel Zafira Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms

Kurzfristig Aufmerksamkeit erregen kann Müller also. Nun muss sie beweisen, dass auch ihre Langfriststrategie aufgeht.

Immerhin scheint sie ein ganzheitliches Konzept zu verfolgen. „In meinem zweiten Jahr wird es unter anderem darum gehen, die Autohäuser an das hochwertigere Bild von der Marke anzupassen“, sagt sie.

Denn der Flagship-Store in Tempelhof ist eine löbliche Ausnahme. Die meisten Autohäuser mit ihren gräulichen Fassaden und kargen Innenräumen haben wenig mit einer Marke zu tun, für die Claudia Schiffer in europäischen Spots auftritt.

Ohne sie läuft nichts

Die Autohäuser sollen in Zukunft eine Fassade in modernem Anthrazit tragen, die ehemaligen Chevroletflächen sollen zu sogenannten Adam Stores umgebaut werden – also Verkaufsflächen eigens für den kleinen Stadtflitzer. Die Entwürfe dafür landen auf Müllers Schreibtisch. Vertriebsvorstand Peter-Christian Küspert ist involviert, sie gibt die Gestaltung der Außenauftritte aber frei. Doch die Managerin nickt nicht einfach ab. „Vor allem bei den Adam Stores habe ich einige Ideen eingebracht.“ Besonders wichtig waren ihr große Bildschirme für den Konfigurator.

Sie nimmt Dinge gerne selbst in die Hand, für manche in übertriebenem Maße. Insider erzählen, sie habe die Manager um sich herum entmachtet. Die meisten Entscheidungen, die ihre Vorgänger delegiert hätten, wanderten nun über ihren Tisch. Ohne die Zustimmung der Chefin läuft nichts.

Auf ihr Geheiß hingegen vieles. Nur ein paar Tage hat es gedauert, bis der Adam-Konfigurator wieder besser funktionierte.

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