Bilanz nach einem Jahr Tina Müller – mutig, mächtig, medienwirksam

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Zu Besuch beim Händler

Nahbarkeit ist für Müller keine Floskel. Sie antwortet Kunden persönlich via Twitter und besucht Händler, wie an diesem Sommertag in Berlin oder einige Wochen zuvor im hessischen Witzenhausen. Das dort ansässige Autohaus gibt es seit 1959. „Noch nie hatten wir so hochrangigen Besuch“, sagt Geschäftsführer Jörg Heidenreich. Müller war im Internet auf kreative Werbevideos des Händlers gestoßen und gratulierte ihm dazu per E-Mail. Es folgte ein lockerer Austausch, er lud sie ein – sie sagte zu. „Das war kein Lippenbekenntnis, drei Stunden später stand der Termin“, sagt Heidenreich.

Durch solche Aktionen und ihre bisherige Arbeit konnte Müller anfängliche Skepsis zurückdrängen. „Im ersten Moment war die Besetzung für viele Händler ein Schreck“, sagt Stefan Quary, Vorstandsmitglied beim Verband Deutscher Opel-Händler. Hatte Müller ihre Erfolge bis dahin doch in der Kosmetikbranche gefeiert und ihre Autos meist nach Farbe ausgewählt. „Ein Jahr später bewerten dieselben Händler ihre Arbeit sehr positiv“, sagt der Verbandsvorstand.

"Umparken im Kopf" - Wenn Firmen neugierig machen wollen
„Umparken im Kopf“Die Welt ist voller Missverständnisse – das greift die Werbekampagne „Umparken im Kopf“ auf ihren zahlreichen Plakaten in deutschen Innenstädten auf: „Aus Sicht der Physiker kann die Hummel unmöglich fliegen – Der Hummel ist das egal“ heißt es auf dem einen Plakat, auf dem anderen  „68 Prozent der Männer halten rothaarige Frauen für  feuriger – 90 Prozent davon haben noch nie eine kennen gelernt.“ Die dazugehörige Internetseite zeigt Videos von Prominenten, die sich über Vorurteile aufregen. Das werbende Unternehmen dahinter kommt nicht zum Vorschein. Dabei handelt es sich um eine sogenannte „Teaser“—Kampagne, die Neugier wecken will. In solchen Fällen folgt meist eine Auflösungs-Kampagne, die klar stellt wer oder was dahinter steckt. Hierbei soll es der angeschlagene Autobauer Opel sein, der dies jedoch nicht bestätigt. Werbeexperte Ronald Focken sieht darin einen Versuch, Opel von seinem staubigen Image zu befreien: „Opel hat seit seiner Neuaufstellung gute Kampagnen gemacht, aber konnte mit den herkömmlichen Werbemechanismen nicht von den alten Vorurteilen loskommen“, sagt der Geschäftsführer der Münchner Werbeagentur Serviceplan, die nicht in der Opel-Kampagne involviert ist. Solche Neugier weckenden Kampagnen lohnen sich immer dann, wenn es darum geht, eine alte Marke neu zu entdecken, oder neue Marken vorzustellen. Dies zeigen folgende Beispiele. Quelle: Screenshot
Ich bin ON Quelle: imago/Enters
Don't be a Maybe Quelle: imago / steinach
Daewoo und DuSchon 1995 bediente sich der südkoreanische Autohersteller Daewoo einer Teaser-Kampagne, um sich den deutschen Kunden vorzustellen. Die damals unbekannte Automarke bewarb sich, indem rote Lippen vor weißem Hintergrund eingängig „Daewoo! Daewoo und Du! Daewoo und Du, eine Freundschaft beginnt!“ sangen. Die Stimme dahinter kam von Popstar Jennifer Rush. Daraufhin wurde der Text eingeblendet: „Wenn Sie wissen wollen, wer oder was sich hinter Daewoo verbirgt, rufen Sie bis zum 27.02.1995 an und gewinnen Sie eine Reise nach Fernost.“ Auch hier sollte die Neugier wieder für eine ganze Marke geweckt werden, erklärt Ronald Focken von der Werbeagentur Serviceplan. „Wegen ihrer hohen Kosten gibt es Teaser-Kampagnen meist nie für einzelne Produkte, sondern immer für ganze Markenauftritte.“ Grundsätzlich gehen solche Kampagnen zurück – vor allem sind sie nicht mehr in dem großen Ausmaß zu finden, wie bei E.On 2002. Opel ist aktuell etwa mit weniger Plakaten vertreten und setzt stattdessen stärker aufs Internet.  „Marketingchefs haben heutzutage gar nicht mehr das Budget, in eine Kampagne mit so vielen Plakaten und Printanzeigen zu investieren, die letztlich nur Neugier schaffen soll.“ Quelle: Screenshot

Der Wendepunkt sei die „Umparken im Kopf“-Kampagne gewesen. Auf Tausenden Plakaten, in den sozialen Medien und im TV sollte sie mit den Vorurteilen gegenüber Opel aufräumen. Im Februar startete die Imageoffensive, für die nicht nur Jürgen Klopp, sondern auch neue Gesichter wie Schauspielerin Karoline Herfurth vor die Kamera traten. Denn für Müller sind Promis der Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Glamour. Auch wenn ausgerechnet der beliebteste Markenbotschafter Jürgen Klopp eher im Flut- als im Scheinwerferlicht zu Hause ist und schon vor Müller für Opel tätig war, das Konzept scheint aufzugehen.

Offensiv gegen Vorurteile

Seit März 2014 ist Opel laut Marktforschungsinstitut Innofact die meist wahrgenommene Marke Deutschlands. „In einer Welt, in der so viele Eindrücke auf die Konsumenten einprasseln, ist es wichtig, sichtbar zu werden“, sagt Bratzel. „Das hat Tina Müller geschafft.“

Der Grund: „Sie ist radikaler als andere“, sagt Quary. „Kein anderer Manager hätte die Vorurteile gegenüber Opel so offensiv aufgegriffen.“ Und sich womöglich für den ersten Vorschlag zur Imagekampagne entschieden, der auf die historischen Verkaufsschlager der Marke abzielte. „Das hätte nicht funktioniert“, sagt Müller. „Die goldenen Zeiten sind zu lange vorbei. Außerdem wäre das nicht mutig genug gewesen.“

Unkonventionelle Initiativen, wie günstige Mietwagen für gestresste Berliner, solange die S-Bahnen zwischen den Stationen Zoologischer Garten und Ostbahnhof wegen Bauarbeiten entfallen, tragen Müllers Handschrift. Dieser Mut, gepaart mit offensiver PR-Arbeit, sorgen für den nötigen Rummel. Die Managerin selbst tritt im Web-Video zu obiger Aktion auf, gibt Interviews am laufenden Band – egal, ob „Brigitte“ oder „Auto Motor und Sport“. Was die einen als clevere Marketingstrategie bezeichnen, belächeln andere als Kampagne in eigener Sache – und mutmaßen, Müller versuche sich so schon für die nächste Aufgabe in Position zu bringen.

Der nächste Schritt zählt

Wesentlich freundlicher geht es bei der morgendlichen Besprechung im Berliner Autohaus zu. Müller sitzt mit dem Geschäftsführer und seinen Angestellten am Tisch im schmucklosen Konferenzraum, lauscht aufmerksam, stellt Fragen zu Werbeanzeigen und zum Verkauf. Am Ende der Besprechung fasst sich ein Verkäufer ein Herz: „Was passiert nach ,Umparken im Kopf‘?“

Eine Frage, die sich auch die Kritiker der Kampagne stellen. Denn so richtig es gewesen sei, zunächst das Image zu thematisieren, so wichtig wäre jetzt der nächste Schritt. „Die Verbraucher wollen wissen, wofür Opel steht“, sagt etwa Marktforscher Dirk Ziems, von Concept m, der kürzlich eine Befragung zu „Umparken im Kopf“ durchführte.

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