Blick hinter die Zahlen #40 – Studierende Mehr Studierende, mehr WGs – und viermal so viele Studienkredite

Keine Nebenjobs, keine Fachschaftspartys, Vorlesungen nur online. Die Coronakrise verändert das Leben von Studierenden extrem. Doch wer sind Deutschlands Studierende überhaupt im Jahr 2020?

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In der Coronapandemie wird viel über Familien gesprochen, über Schülerinnen und Schüler, über Ältere. Doch eine Gruppe in der Gesellschaft steht dabei oft hintenan: die Studierenden. Dabei gibt es davon eine ganze Menge, nämlich fast drei Millionen. Und von Jahr zu Jahr werden es mehr. Rhythmik, Altorientalistik, Markscheidewesen, Finno-Ugristik oder Westslawisch sind nur eine Auswahl der exotischen Studiengänge, die Studierende in Deutschland belegen können. Zu den beliebten Klassikern wie Jura, Medizin oder Lehramt gesellen sich immer mehr Fächer. Das ist ein Grund, warum mehr und mehr Leute in Deutschland studieren – aber nicht der einzige.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studierenden um 36 Prozent gestiegen; in den vergangenen zwanzig Jahren sogar um mehr als 60 Prozent. Der Blick auf die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt, dass vor allem immer mehr Frauen studieren. Zwar gibt es noch immer mehr männliche Studenten als weibliche Studentinnen, doch die Zahlen gleichen sich an. Verglichen mit der Zahl der Studierenden im Wintersemester 1999/2000 ist der Anteil der Frauen im vergangenen Wintersemester um fast 80 Prozent gestiegen. Der Anteil der Männer stieg um 51 Prozent. „Wir haben einen extremen Run auf das Hochschulstudium“, berichtet auch Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. Die Gründe dafür sind vielfältig: Am meisten dürften die positiven Aussichten auf dem Arbeitsmarkt für ein Studium sprechen. „Ein Hochschulstudium bedeutet ein höheres Einkommen, die Menschen sind glücklicher und viel seltener arbeitslos“, sagt Grob.

Gleichzeitig steigt auch die Zahl derer, die ihre Hochschulreife ablegen. Hinzu kommt die Akademisierung von Berufsbildern. Studierte Erzieherinnen, Forstwirtschaftler oder Facility Manager sind keine Seltenheit. Der Hebammenberuf beispielsweise wurde jüngst vom Ausbildungs- zum Studienberuf. „Die Berufsbildung ist in der Krise“, sagt auch Grob. Dafür strömen immer mehr Menschen an die Hochschulen im Lande.

Anzahl der minderjährigen Studierenden an Hochschulen in Deutschland

Zeitgleich gibt es immer mehr minderjährige Studierende, auch wenn ihr Anteil an der Gesamtzahl der Studierenden immer noch deutlich unter einem Prozent liegt. 2009/2010 waren deutschlandweit nur 760 Studierende unter 18, die machten 0,04 Prozent aller Studierenden aus. Im vergangenen Wintersemester stieg die Zahl auf 4580, beziehungsweise einen Anteil von 0,16 Prozent. Durch verkürzte Schulzeiten – das sogenannte G8, bei dem Abiturienten die Schule nur 12 statt 13 Jahre lang besuchen – erreichen Schülerinnen in jüngerem Alter die Studienberechtigung. Der Wegfall der Wehrpflicht war ein weiterer Treiber dieser Entwicklung, dass immer mehr Studierende ihr Studium vor der Volljährigkeit beginnen, so das Statistische Bundesamt.

Anzahl der Studierenden des Faches BWL

Das mit Abstand am stärksten besetzte Studienfach ist Betriebswirtschaftslehre: fast 237.000 Studierende waren im vergangenen Wintersemester hierzulande in BWL eingeschrieben. Zehn Jahre zuvor waren es noch gut 60.000 weniger. Im Wintersemester 2017/2018 lag die Zahl der BWL-Studenten sogar über 240.000. An zweiter Stelle der populärsten Studienfächer steht Informatik, mit 128.000 Studierenden. Es folgt Rechtswissenschaft mit 117.000 Studierenden, Maschinenbau mit 104.000 Studierenden und Medizin mit 99.000 Studierenden.

Anteil der Studierenden in den jeweiligen Fächergruppen

Generell ist die Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bei den Studierenden extrem stark besetzt: Knapp 40 Prozent aller Studierenden waren im vergangenen Wintersemester in Jura, Politikwissenschaften und Co. eingeschrieben. Ein Viertel aller Studierenden siedelt sich im Bereich Ingenieurwissenschaften an. Dazu zählen zum Beispiel Studienfächer wie Maschinenbau, Bauingenieurwesen oder Elektrotechnik. Geisteswissenschaftliche Studiengänge und jene aus dem Bereich Mathematik und Naturwissenschaften versammeln je gut 11 Prozent der Studierenden auf sich.

Am anderen Ende dieser Skala kann man die Studierenden an zwei Händen abzählen: Weniger als zehn Studierende waren laut Zahlen des Statistischen Bundesamts im vergangenen Wintersemester in Niederdeutsch, Kernverfahrenstechnik, Kaukasistik und Baltistik eingeschrieben.

Wo Studenten wohnen

Doch neben der Wahl der Studiengänge steht für Studierende noch mindestens eine weitere wichtige Entscheidung an, die an Dringlichkeit zunimmt: wie wohnen? Immer mehr Studierende wohnen in Wohngemeinschaften oder bei ihren Eltern. Gleichzeitig sinkt der Anteil derer, die in einer eigenen Mietwohnung alleine wohnen. Das zeigen Daten des Gemeinnützigen Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das dazu im Jahr 2003 knapp 30.000 und 2018 knapp 37.000 Studierende befragte. Lebten 2003 noch gut ein Drittel aller Studenten in einer eigenen Wohnung, waren es 2018 nur noch ein knappes Viertel. Der Anteil der Studierenden, die in einer Wohngemeinschaft leben, stieg in derselben Zeit von einem Fünftel auf ein Drittel an.

Der Grund dafür dürfte die angespannte Wohnungsmarktlage sein, die gerade auch in den meisten Hochschulstädten zu beobachten ist, sagt Grob vom Deutschen Studentenwerk. „Für Studierende wird es immer schwieriger, eine eigene Wohnung zu finden.“ Es gibt immer mehr Studierende, es wird nicht genug gebaut – das zwingt viele Studierende geradezu dazu, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen. In Städten wie München oder Stuttgart liegen die Preise für Einzimmerwohnungen meist über 1000 Euro – für das durchschnittliche Studenten-Portmonee kaum bezahlbar. Die Studienautoren des CHE sehen die Gründe für den Trend hin zu Wohngemeinschaft oder Wohnen bei den Eltern außerdem im gesunkenen Durchschnittsalter der Studierenden durch G8 und den Wegfall der Wehrpflicht.

Anzahl und Höhe der aufgenommenen KfW-Studienkredite in der Coronakrise

Die Coronakrise hat neben Selbständigen, Gastronomen und Kulturschaffenden auch die Studierenden hart getroffen. Denn die finanzieren ihr Studium oft über Nebenjobs, von denen viele durch die Coronakrise wegfielen. Gut drei Viertel aller Studierenden arbeiten neben dem Studium. In der bislang letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks gaben 40 Prozent der befragten Studierenden an, in einer Fabrik, einem Büro oder einer Kneipe zu arbeiten oder zu babysitten – alles Jobs, die von den Einschränkungen während der Pandemie besonders betroffen wurden. Die prekäre finanzielle Lage der Studierenden zeigt deshalb auch die Anzahl der Studentenkredite der KfW. Die hat sich in diesem Jahr zwischen Mai und September verglichen mit dem Vorjahreszeitraum beinahe vervierfacht. Die Fördersumme hat sich von 315 Millionen auf 919 Millionen fast verdreifacht.

Die Rubrik „Blick hinter die Zahlen“ entsteht mit Unterstützung des Statistischen Bundesamtes (Destatis). Für die Inhalte der Beiträge ist ausschließlich die WirtschaftsWoche verantwortlich.

Logo des Statistischen Bundesamtes (Destatis)

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