Wenn Kassenärzte für die Verordnung bestimmter Medikamente Geschenke von Pharma-Unternehmen bekommen, ist das Geschrei groß. Entsprechend stellte der Bundesgerichtshof dieses Eine-Hand-wäscht-die-andere-Prinzip unter Strafe. Schließlich geht es um Bestechung, und nicht um eine kleine Aufmerksamkeit. Auch wenn ein Industrieunternehmen Aufträge nur noch an diejenigen vergibt, die entsprechende Geschenke machen, ist die Sache klar. Die Liste prominenter Beispiele ist lang - auch in Deutschland.
Doch mittlerweile hat sich viel getan: Zu Weihnachten gibt es vom Geschäftspartner meist nur noch eine Karte statt der Flasche Wein und auch VIP-Einladungen, wie sie 2005 der Ex-Chef des Energiekonzerns EnBW verschickte (der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und fünf seiner Kabinettskollegen bekamen Gutscheine für Tickets der bevorstehenden Fußball-WM in Deutschland), haben ausgedient.
Das liegt nicht unbedingt daran, dass die Deutschen ehrlicher geworden sind, viel mehr zwingen Gesetzgeber, Finanzaufsicht und Steuerbehörden Unternehmen dazu, genauer hinzuschauen, welche Geschenke es wann wofür gibt - und wie teuer diese sind. Große Unternehmen haben durch die Bank weg sogenannte Compliance-Richtlinien, in denen jeder Cent geregelt ist.
Allein das Policy & Control Masterbook von Siemens definiert mehr als 740 konzernweit gültige Vorschriften. Ob in der Zentrale in München oder in Peking: Siemens-Mitarbeiter müssen jede Zuwendung in der eigens dafür erstellten Gifts- and Hospitality-Scorecard eintragen. Aus Schaden - Siemens musste wegen Bestechung fast drei Milliarden Euro Strafe zahlen - wird man klug.
Unternehmens-Knigge
Große Unternehmen, die Sportveranstaltungen und Vereine sponsern, haben sich zur Vereinigung S 20 zusammengeschlossen. Zu ihnen gehören unter anderem Adidas, Allianz, Coca-Cola, Daimler, Deutsche Post und Telekom, RWE oder Siemens. 2011 veröffentlichte der Verein den Leitfaden „Hospitality und Strafrecht“, nach dem die Firmen Politiker oder Beamte politisch korrekt zu Sport- und Kulturveranstaltungen einladen können.
„Das Ganze ist juristisch nicht einfach“, sagt S-20-Vorstandschef Stephan Althoff, der für die Telekom arbeitet. Aber nötig, denn Sponsoren bekommen Einladungen oder VIP-Kontingente beim verunsicherten Publikum nicht mehr ohne Weiteres los.
Beamte oder Angestellte des Bundes dürfen grundsätzlich keine Belohnung, Geschenke oder Vorteile annehmen.
Ausnahmen gelten nur, wenn Vorgesetzte ausdrücklich oder stillschweigend zustimmen. Minister und Staatssekretäre des Bundes müssen Geschenke melden, die Bundesregierung entscheidet. Ähnliches gilt für Landesregierungen.
Für Beschäftigte im öffentlichen Sektor, also bei Firmen mit Staatsbeteiligung (Landesbanken oder auch die Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), gelten vergleichbar strenge Regeln.
Problematisch wird es, wenn eine Einladung im Zusammenhang mit einer Entscheidung oder der unmittelbaren Arbeit eines Amtsträgers steht. Das wäre eine Unrechtsvereinbarung.
Alles soll transparent sein: Einladungen sollen an die Dienststelle gehen und den Hinweis auf die nötige Genehmigung von oben enthalten. Partner und Familie dürfen üblicherweise nicht mit.
Grob gilt: Kontaktpflege ist erlaubt, Klimapflege, also das Erkaufen eines allgemeinen Wohlwollens von Politikern und Beamten, jedoch nicht.
Allerdings wird das sogenannte Compliance Management bei vielen Unternehmen nicht konsequent umgesetzt, wie eine Befragung der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt zusammen mit Recommind, einem Anbieter von E-Discovery-Lösungen und Suchmaschinentechnologie, zeigt.
Demnach bleibt das Compliance Management in jedem dritten Unternehmen auf halber Strecke stehen: Nur 69 Prozent derer, die Regeln aufgestellt haben, kontrollieren auch, ob sich die Belegschaft daran hält. Und nur 51 Prozent haben sich Gedanken darüber gemacht, was passiert, wenn doch einmal jemand ein zu teures Geschenk annimmt oder macht.
Jeder Vierte nimmt Geschenke an
In 18 Prozent der Unternehmen gibt es gar kein derartiges Regelwerk. Bei der Frage nach den Gründen, weshalb Compliance bisher keine Rolle spielte, wurden vor allem mangelnder Bedarf und mangelnde Ressourcen angeführt. Eine ergänzende Umfrage unter 1000 Arbeitnehmern hat gezeigt, dass lediglich 36 Prozent der Befragten von bestehenden Compliance-Regeln im Unternehmen wissen und sich auch daran halten.
Jeder vierte Arbeitnehmer gab zu, dass es zwar ein Regelwerk gäbe, sich aber aufgrund mangelnder Kontrollen ein eher lockerer Umgang mit bestehenden Vorschriften eingeschlichen habe. 17 Prozent gaben an, dass es in ihrem Unternehmen keine Compliance-Richtlinien gäbe; 23 Prozent konnten sich unter dem Begriff Compliance noch nicht einmal etwas vorstellen.
Auf die Frage, ob die Annahme von Geschenken von Kunden, Lieferanten oder anderen Geschäftspartnern am Arbeitsplatz zulässig sei, zeigte sich jeder vierte Befragte völlig bedenkenlos. Immerhin 20 Prozent sahen eine Schmerzgrenze bei einem Geschenkwert von 30 Euro.
Zwar ist die Wertgrenze, die die Annahme von Geschenken von Bestechlichkeit unterscheidet, gesetzlich nicht eindeutig geregelt, doch fallen Präsente im Wert von 20 bis 30 Euro gemeinhin unter akzeptable Aufmerksamkeiten. Jeder Fünfte gab zu, in dieser Frage verunsichert zu sein und würde im Einzelfall seinen Vorgesetzen fragen.