WirtschaftsWoche Online: Der 9. Dezember ist Welt-Anti-Korruptions-Tag und gerade in der Vorweihnachtszeit verunsichert das Thema Kundengeschenke viele. Dabei gibt es doch ganz einfach Regeln. Nicht teurer als 35 Euro und gut…
Herr Jörg Viebranz: Ganz so einfach ist es nicht: ab einem Wert von 35 Euro muss ein Geschenk bei der Steuer angegeben werden, aber das heißt nicht, dass Geschenke, die mehr wert sind, gegen die Compliance-Regeln verstoßen.
Also gibt es keine verlässlichen Regeln?
Unternehmen müssen selbst entscheiden, was okay ist. Da herrscht oft eine große Unsicherheit, weil es an Orientierung fehlt. Die meisten sagen, Geschenke und Einladungen im Wert von bis zu 50 Euro sind in Ordnung und korrumpieren die Mitarbeiter nicht.
Zur Person
Dr. Jörg Viebranz ist seit 2012 Compliance-Partner bei der digital spirit GmbH in Berlin und verantwortlich für Compliance-Lösungen für mittelständische Unternehmen. Zuvor beriet er bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Unternehmen zu den Themen Compliance und Prävention von Wirtschaftskriminalität.
Dann ist doch alles klar: Eine Flasche Wein ist ein Geschenk, eine goldene Uhr Bestechung.
Das heißt ja nicht, dass alles, was über 50 Euro hinausgeht, Mitarbeiter beeinflusst. Ist das Geschenk teurer als 50 Euro, sollte es noch eine weitere Person aus dem Unternehmen anschauen, in der Regel der Vorgesetzte, und das absegnen. Allein schon, um das eigene Gewissen zu entlasten.
Wenn der Vertriebler seinen Kunden nun regelmäßig Aufmerksamkeiten schickt und die sich auf einen Betrag jenseits der 50 Euro summieren? Ist das okay?
Von einer netten Karte mit einer Kleinigkeit wie einem Stück Schokolade lässt sich kein Mensch ernsthaft bestechen - auch nicht, wenn sich jemand regelmäßig mit kleinen Grüßen in Erinnerung ruft. Wenn aber ein Kunde fünf oder sechs Mal im Jahr ein Geschenk für 49 Euro schickt, dann wird es schon kritisch, weil da eine ganz klare Absicht erkennbar ist.
Wie sieht es denn bei einer Einladung zum Essen aus? Je nach Restaurant sind die 50 Euro mit Getränken, Vor- und Nachspeise ja schnell überschritten…
Wenn ein Unternehmen für sich festgelegt hat, dass Einladungen oder Geschenke ab 50 Euro genehmigungspflichtig sind, und das Essen hat 52 Euro gekostet und wurde nicht eingereicht, ist das nicht gleich zwingend ein Kündigungsgrund.
Das Unternehmen könnte die Kündigung aber auch wegen zwei Euro zu viel aussprechen?
Es kommt nicht auf die Höhe an, sondern auf die Tatsache, dass gegen eine Richtlinie verstoßen wurde. Reaktionen auf Verstöße müssen aber immer proportional sein und es darf auch kein Unterschied zwischen den Hierarchieebenen gemacht werden.
Was ist, wenn der Geschäftspartner nicht nur zum Essen einlädt, sondern noch die Anfahrt zum Restaurant und vielleicht sogar das Hotel bezahlen will?
Sich zum Essen einladen zu lassen, ist in Ordnung, Reisekosten und die Kosten einer eventuellen Übernachtung übernimmt man in der Regel selbst. So signalisiert man: Wir sind an einer Geschäftsbeziehung interessiert, aber wir lassen uns nicht kaufen.
Sollten solche Regeln nicht mittlerweile überall ganz normal sein?
In den Unternehmen hat ein Kulturwandel stattgefunden. Vor fünf oder sechs Jahren wurde man noch belächelt, wenn ein Vertriebsmitarbeiter ein großes Geschenk abgelehnt hat.