Coronavirus So retten sich Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige

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Zweites Standbein aufbauen

Arne Weychardt, 54, lichtet seit Jahrzehnten die Stars bei der Goldenen Kamera ab. George Clooney, Kate Winslet, Michael Douglas – sie alle hatte er schon vor der Linse. Doch dieses Jahr kommt ihm der Coronavirus in die Quere. Die Gala wurde von März in den November verlegt. Der Vorstand eines Unternehmens sagte sein Foto-Shooting ebenfalls ab. „Das waren 4500 Euro auf einen Schlag, die mir durch die Lappen gingen“, sagt Weychardt.

Ärgerlich, aber nicht existenzbedrohend. Denn Weychardt hat sich schon vor Jahren ein zweites Standbein aufgebaut. 2014 machte er gemeinsam mit seiner Familie Urlaub in Malaysia. Die Auftragslage für Fotografen wurde schon damals deutlich schlechter, die Printmedien mussten sparen. Im Urlaub hatte Weychardt viel Zeit, um über seine Zukunft nachzudenken und legte noch am Strand den Grundstein für sein Start-up. Er bastelte eine Website, kaufte drei ältere Mercedes auf Ebay und gründete Rent an Oldie, ein Car-Sharing-Unternehmen. Heute ist er darüber glücklicher denn je, denn während seine Fotoaufträge einbrechen, gehört sein Start-up zu den Gewinnern dieser Krise. Im Moment würden die Leute auf Bus und Bahn verzichten, sich lieber für mehrere Tage ein Auto mieten. „Dieses zweite Standbein rettet mir heute den Arsch“, sagt Weychardt. 

Er hat es besser als seine Kollegen, die heute andere Jobs annehmen müssten, um sich und ihre Familien zu finanzieren. Einer etwa arbeite derzeit als Leiharbeiter in einem Logistikzentrum, erzählt Weychardt.

Auch viele aus der freien Theaterszene tun sich derzeit eher schwer mit ihrem zweiten Standbein, erzählt die Berliner Dramaturgin Benduski. Die meisten verdienten sich beispielsweise etwas dazu, indem sie an Hochschulen unterrichten oder Kurse in Jugendzentren geben. „Aber das ist derzeit eben auch nicht drin.“ Und selbst experimentierfreudige Kulturschaffende, die ihre Inszenierungen mit Virtual-Reality-Brillen oder Augmented-Reality-Anwendungen erweitern, haben dies bislang doch meist mit einem Stadtspaziergang kombiniert – oder mit einem Ausgangspunkt in einem Theaters angeboten. Zwar beobachtet Benduski, dass manche Theater ihre Stücke nun im Netz streamen oder Choreographen bei Youtube Tutorials für Kollegen anbieten, um sich zu Hause fit zu halten. „Aber dass dafür jemand Geld nimmt, das habe ich noch nicht gesehen.“ Es gehe vor allem darum, das Publikum zu halten. Ob davon jemand lebe könne, bezweifelt Benduski.

Gelder beantragen

Um einen Überblick zu bekommen, sollten Selbstständige auflisten, mit welchen Ein- und Ausgaben sie während der Coronakrise rechnen müssen, empfiehlt Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen. Nur so könnten sie abschätzen, wie lange sie durchhalten und ob sie auf Förderprogramme zurückgreifen sollten. Fotograf Weychardt hat sich bereits auf der Website der KfW informiert, denn die dort angebotenen Kredite sind nicht nur für Großunternehmen und Mittelständler, sondern auch für Kleinstunternehmer und Selbstständige relevant. Außerdem bieten neben der Bundesregierung auch einige Länder Hilfen für diese Zielgruppe an. Weychardt will etwa den gestern angekündigten Corona-Schutzschirm der Hansestadt Hamburg in Anspruch nehmen. Solo-Selbstständige erhalten dort 2500 Euro, Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern 5000 Euro. 

Honorare eintreiben

Aber auch anderweitig kann Geld in die Kasse kommen. So sollten etwa Künstler prüfen, ob sie Anspruch auf ein Ausfallhonorar haben, wenn eine Veranstaltung wegen des Virus abgesagt wurde. Schwierig wird das voraussichtlich bei kleineren, freien Produktionen. 

Gerade freie Theaterproduktionen oder Festivals leben auch von öffentlichen Fördermitteln und Gelder aus Stiftungen. „Die sind aber meist an die Bedingung geknüpft, dass es eine bestimmte Anzahl an Aufführungen gibt oder man eine bestimmte Zahl an Zuschauern erreicht“, erzählt die Berliner Dramaturgin Benduski. Teilweise arbeiten die Schauspieler, Bühnenbildner oder Technikverleiher bereits seit Monaten an Aufführungen, die nun nicht stattfinden – und damit die Bedingungen der Förderer nicht mehr erfüllen können. Im schlimmsten Fall bleiben sie auf ihren Kosten sitzen, im allerschlimmsten Fall müssen sie sogar mit Rückforderungen rechnen. „Von den Förderern kommt derzeit zwar das Signal, wir sollten uns keine Sorgen machen, aber die Unsicherheit bleibt“, sagt Benduski. Dass derzeit alle im Homeoffice sind, mache die Sache nicht leichter. „Du kannst dich gerade nicht mit den Leuten zusammensetzen, um mal in Ruhe über deinen Fall zu reden.“

Sicher entschädigt werden Selbstständige, die selbst am Coronavirus erkranken oder als Kontaktperson eines Infizierten in Quarantäne geschickt werden. Sie hätten „Glück im Unglück“, meint Lutz vom Verband der Gründer und Selbstständigen. Denn dann greife das Infektionsschutzgesetz. Dadurch können sie sich Verdienstausfälle und einen Teil der laufenden Kosten erstatten lassen.

Fragen, die sich die Betroffenen ebenfalls stellen sollten, lauten: Gibt es Rechnungen, die bisher nicht gestellt wurden? Haben alle Kunden für die geleistete Arbeit gezahlt? Kann bei manchen Aufträgen bereits eine Zwischenrechnung geschrieben werden? Alles Möglichkeiten, mit denen Selbstständige flüssig bleiben können. Zudem rät der Verbandsvorsitzende dazu, mit Kunden zu besprechen, welche Aufträge sie aus dem Homeoffice erledigen können. Vielleicht lohnt es sich auch, das eigene Geschäftsmodell kurzfristig umzustellen. 

Geschäftsmodell anpassen

Wie im Hamburger Bistro Spajz – dort gibt es an diesem Donnerstag wahlweise Käsespätzle, einen Pulled Pork Burger oder für die Kinder Milchreis mit hausgemachtem Apfelkompott. Bistro-Inhaberin Nora Horvath hat ihren Laden in ein Abholrestaurant verwandelt. Täglich können Gäste zwischen 12 und 15 Uhr zwischen drei Gerichten wählen und diese abholen. Dazu hat Horvath ein Schleusensystem in ihrem Lokal installiert. Den Gast und die Servicekraft trennen dabei eine Barrikade aus drei Barhockern und einem Podest. „So schaffen wir mindestens zwei Meter Sicherheitsabstand“, erläutert Horvath.

Bezahlt der Gast mit Bargeld, wirft er dieses einfach in eine Schale auf dem Podest oder er überweist via Paypal. Die Kunden nähmen das Angebot gerne an, wie die Inhaberin berichtet: „Unsere Verkaufszahlen beim Mittagstisch sind um 100 Prozent gestiegen.“ Ein Lichtblick im Vergleich zu den ersten durch das Coronavirus gebeutelten Tagen. Zu der Zeit brach das Geschäft rapide ein. Es gab Abende, an denen sämtliche Reservierungen storniert wurden. 

Neben dem Abholservice hat die Hamburgerin zudem eine Gutscheinaktion gestartet. Diese werden jetzt verkauft und können dann nach der Krise eingelöst werden. „So können wir einen Teil unserer laufenden Kosten decken“, erzählt Horvath. Unter ihren Kunden gäbe es ein großes „Fürsorgeempfinden“, sie wollten nicht, dass das Spajz schließen muss. 

Wenn das nicht reicht, hat Horvath noch weitere Ideen parat. Kommt eine Ausgangssperre, sei ein Lieferservice eine Option, genauso wie Lunch- und Dinnerkisten mit Lebensmitteln und Rezeptanweisungen zum Nachkochen.

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