Regelmäßig steht Adidas-Chef Herbert Hainer in Herzogenaurach auf dem Fußballplatz. Ein Azubi im Tor, links außen ein Marketingmanager, im Sturm ein Mitarbeiter aus dem Controlling. Und anschließend geht es gemeinsam unter die Dusche. Hainer teilt mit seinen 42.000 Mitarbeitern weltweit nicht nur ein- und dieselbe Leidenschaft: die Liebe zum Sport.
Dem 57-jährigen Dax-Konzernlenker geht es beim Bolzen auch um das Gemeinschaftsgefühl. Seine 2.900 Adidas-Kollegen am Stammsitz in Franken sollen spüren, dass bei Adidas Inspiration und Partizipation gefragt sind statt Hierarchie und Ansage. Dass auch die Vorgesetzen Menschen aus Fleisch und Blut sind. Und dass ihr Arbeitgeber zwar die Rendite im Sinn hat, aber eben nicht nur. Adidas ist weltweiter Trendsetter bei Sportartikeln wie Sportmode. Und wer Trendsetter bleiben will, braucht vor allem eins: Menschen, die für die gemeinsame Sache brennen.
Doch die Flamme der Leidenschaft bei Mitarbeitern zu entfachen und nachhaltig am Brennen zu halten, gelingt scheinbar immer weniger in Deutschland. Nur 13 Prozent der von dem Beratungsunternehmen Gallup 2010 befragten Arbeitnehmer hierzulande gaben an, eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Unternehmen zu empfinden. Bei 66 Prozent reichte die geringe emotionale Bindung nur noch dafür aus, Dienst nach Vorschrift zu leisten. Und 21 Prozent gaben frank und frei zu, bereits innerlich gekündigt zu haben.
Vielen Mitarbeitern ist das Band der Loyalität abhanden gekommen
Was aber können Unternehmen tun, deren Mitarbeiterschaft das Band der Loyalität abhanden gekommen ist? Wer verstanden hat, dass mit dem Übergang vom Industrie- zum Wissenszeitalter nicht mehr Maschinen, sondern die Mitarbeiter, ihre Ideen und ihr Innovationspotenzial, zum zentralen Erfolgsfaktor aufgerückt sind, wird die Menschen auch viel stärker in den Mittelpunkt der Unternehmensstrategie stellen. Dazu gehört, ihre individuellen Talente und Präferenzen kennenzulernen und sie entsprechend einzusetzen. Nur so lässt sich eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen erreichen und echte Begeisterung entfachen. Um andere zu begeistern, muss ich als Führungskraft aber auch selbst von meiner Aufgabe begeistert sein. Hand aufs Herz: Wie viele Vorgesetzte strahlen wirklich echte Begeisterung aus? „Ich liebte, was ich tat – und das ist das einzig Wichtige“, gab Apple-Gründer Steve Jobs 2005 den Absolventen der Stanford Universität mit auf den Weg. „Ihr müsst die eine Sache finden, die Ihr liebt – sowohl im Job als auch im Privatleben“. Führungskräfte, die wie Steve Jobs und Herbert Hainer, in der Lage sind, als Leitfigur Mitarbeiter für eine gemeinsame Sache zu gewinnen, zu überzeugen und mitzunehmen, sind selbst mit Leidenschaft unterwegs. In Zeiten, in denen keiner mehr vorhersagen kann, wie lange ein Geschäftsmodell erfolgreich funktioniert, gewinnt die Fähigkeit einzelner Manager an Bedeutung, als Person zu überzeugen und für ein echtes Gemeinschaftsgefühl im Unternehmen zu sorgen. „Wir sind soziale Wesen, die sich ohne ein übergeordnetes Sozialgefüge nicht effektiv entfalten können. Das ist mit dem Begriff Gemeinschaft gemeint: der soziale Kitt, der uns zum Wohle des Ganzen zusammenhält“, sagt der Managementforscher Henry Mintzberg.
Empathie und soziales Verhalten haben in Unternehmen vermeintlich keinen Platz mehr
In vielen Unternehmen haben jedoch soziales Verhalten und Empathie – also die Fähigkeit, die Emotionen und Absichten anderer zu erkennen und auf sie einzugehen – vermeintlich keinen Platz. Manager punkten in hierarchischen Organisationen vor allem durch ihren Status und ihre übergeordnete Funktion und fürchten sich davor, als Person greifbar zu werden, weil sie glauben, dadurch angreifbar zu sein. Dabei ist es gerade der ‚Mensch hinter der Funktion‘, der als Vorbild gesucht wird, nicht der unnahbare Alleskönner. Das erfordert Mut. Mut, die eigene menschliche Seite nicht am Unternehmenseingang abzulegen, sondern sie als Stärke im Rahmen einer balancierten Führung einzubringen. Erst wenn es gelingt, eine Diskussion auf Augenhöhe zu führen, kann Vertrauen wachsen. Und wo Vertrauen wächst, existieren auch Ideenvielfalt, Offenheit und Gemeinsamkeit. Wo es eine gemeinsame Agenda gibt, gibt es auch Begeisterung für den (gemeinsamen) Erfolg.
Dieser neue Führungsstil braucht die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis und eine gefestigte Persönlichkeit, um mit den eigenen Unzulänglichkeiten offen und vielleicht sogar humorvoll umzugehen. Ein Feedback über das eigene Führungsverhalten bringt nahezu immer neue Erkenntnisse, muss aber auch ausgehalten werden können. Erfolgreich umgesetzt, hilft es nicht nur dem Einzelnen, sondern setzt den Ton für Glaubwürdigkeit im Unternehmen und generiert das, was man im Englischen als ‚Followership‘ bezeichnet – die Fähigkeit, Menschen für sich einzunehmen. Führungskräfte, die diese Fähigkeit nicht haben, verlieren häufiger als andere ihre Mitarbeiter. Die ‚Bindungsfähigkeit‘ von Führungskräften hat in deutschen Unternehmen bislang aber kaum Einfluss auf Gehalt oder Beförderung, obwohl sie in Zeiten knapper Talente für den wirtschaftlichen Erfolg unabdingbar ist. Leider haben bislang erst sehr wenige Unternehmen dieses erkannt und unterschätzen deshalb die Hebelwirkung einer Personalarbeit, die in der Lage ist, Führungskräfte entsprechend zu fördern und zu fordern.
Mitarbeiter, die für die Sache brennen, dürfen nicht ausbrennen
Wer will, dass seine Mitarbeiter für die gemeinsame Sache brennen, muss zugleich aber auch dafür Sorge tragen, dass diese vor lauter Engagement nicht ausbrennen. Das ist ein schwieriger Balanceakt, für den viel Fingerspitzengefühl und gegenseitiges Vertrauen notwendig sind. In meiner nächsten Kolumne möchte ich Wege aufzeigen, was Unternehmen tun können, um dieses zu verhindern.
Das Berufsleben der Mitarbeiter funktioniert nur dann, wenn sie gesund bleiben und auch ihr Privatleben läuft. Um überfleißigen Mitarbeitern von Adidas in Hongkong zu zeigen, dass auch Engagement seine Grenzen haben muss, schreckte Adidas-Personalvorstand Matthias Malessa kürzlich nicht davor zurück, nach Dienstschluss den Strom im Büro abstellen zu lassen. Die Kollegen in Asien – so berichtete der Spiegel – hätten regelmäßig bis tief in die Nacht hinein im Büro gesessen und selbst auf mehrere Ermahnungen, ihre Gesundheit nicht zu gefährden, nicht reagiert. Ein mutiges und zugleich klares Bekenntnis für die Mitarbeiter, aber auch für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Denn um für den Marathon des langfristigen Erfolges fit zu sein, braucht es Ausdauer. Ohne aber den menschlichen Bedürfnissen hinreichend Rechnung zu tragen, gelingt allenfalls ein Sprint. Damit aber lassen sich weder Mitarbeiter noch Marktführerschaft langfristig halten.