Die große Job-Lüge Wie Trump und Co. weiterhin die Wähler täuschen

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Personal als Mangelware

Fest steht, dass die Zeit gegen sie arbeitet. Delvaux hat ihren Bericht vor ein paar Wochen an die EU-Kommission geschickt. Sie hofft auf eine Gesetzesinitiative noch in diesem Jahr. Ihren Vorschlag, Roboter künftig zu besteuern, um so die Sozialsysteme zu finanzieren, hat das EU-Parlament schon gestrichen – politisch zu heikel. Auch wenn zuletzt gar Bill Gates dafür votierte.

Indes: Es würde wohl auch den technologischen Wandel bremsen, am Ende womöglich gar einen Wettlauf auslösen nach unten – um die niedrigsten Robotersteuern weltweit. Wäre es da nicht besser, sich die Effizienzgewinne vorzunehmen, die den Firmen durch Automaten entstehen? Im Bundeswirtschaftsministerium jedenfalls hält man diesen Weg für vielversprechender. Das würde womöglich gar wirken wie ein Förderprogramm für den Mittelstand, wo an Automatisierung oft noch kaum zu denken ist, weil man schon heute zu wenig gut ausgebildetes Personal findet für die hoch komplexen Aufgaben.

Trump würde Scheugenpflug lieben

So kommt es, dass diese Geschichte einen Schlenker unternimmt nach Niederbayern, in den kleinen Ort Neustadt an der Donau. Hier residiert der Maschinenbauer Scheugenpflug, ein Familienunternehmen, das sich um Dosier- und Vergussanlagen kümmert. An einem nebelverhangenen Nachmittag tritt Johann Gerneth aus den mausgrauen Hallen vor Alpenkulisse. Begeistert erzählt er von der rasanten Entwicklung, die das Unternehmen in den letzten Jahren gemacht habe. Vor allem in den USA liefen die Verkäufe so gut, dass man nun das kleine Vertriebsbüro zu einer eigenen Produktion ausbauen wolle. 100 Leute will er in Georgia bald beschäftigen. Gerneths Problem ist nur: Seine Produktion erfolgt meist im Kundenauftrag. Das lässt sich nur schwer automatisieren. Wüsste Trump, wer Scheugenpflug ist – er würde die Firma lieben.

Dennoch hat Gerneth ein Problem: Er braucht dringend Facharbeiter – findet diese aber in den USA mangels dualen Ausbildungssystems kaum. „Uns bliebe nur, Ingenieure einzustellen. Aber das ist viel teurer“, sagt er. Bisher hat er deshalb die Expansion gescheut. In seiner Not startet er nun ein teures Experiment: Künftig sollen die Mechaniker in den USA angelernt werden und dann für zwei Monate zur Ausbildung nach Niederbayern kommen. Die Werkshalle hat der Chef schon mal dreisprachig beschildern lassen: Deutsch, Chinesisch und Englisch.

Auch US-Präsident Trump ahnt wohl mittlerweile, dass seine Gleichung „Rückkehr der Produktion = Rückkehr der Jobs“ womöglich etwas zu schlicht war. Als er sich neulich in Washington mit Kanzlerin Angela Merkel traf, schwärmte er jedenfalls ausführlich vom dualen Ausbildungssystem der Deutschen. Vorsorglich wird er seine Tochter Ivanka, die inzwischen offizielle Beraterin im Weißen Haus ist, Ende April im Vorfeld des G20-Gipfels in die Bundesrepublik schicken. Sie soll sich mit Merkel im „German Mittelstand“ umtun und das Berufsschulwesen kennenlernen.


Technisches Verständnis ist Mangelware

In Upstate New York, eineinhalb Autostunden von der Millionenmetropole entfernt, arbeitet man derweil an einer anderen Lösung. Dort läutet an der Newburgh Free Academy an einem Freitagmorgen im März zum ersten Mal in dieser Woche die Schulglocke. Ein Blizzard hatte in den vergangenen Tagen gewütet und das öffentliche Leben lahmgelegt. Jetzt aber kommen die über 4000 Schüler wieder zum Unterricht, verteilen sich auf Mathematik-, Englisch- und Biologiekurse. Für 150 von ihnen stehen andere Fächer auf dem Plan: analytisches Denken, Gruppenarbeit, Programmieren, auch höhere Mathematik. Sie sind Teil der „P-Tech-School“, eines Programms des Computerriesen IBM.

Der Konzern steht in der Pflicht. IBM-Chefin Ginni Rometty hatte Trump versprochen, in den kommenden Jahren 25.000 neue Jobs in Amerika zu schaffen. Nur: Auch ihr fehlen die richtigen Leute. Gerade bei jungen Menschen, die nicht studiert haben, hat IBM eine „skills crisis“ ausgemacht – also nicht vorhandene Fähigkeiten.

„Wir haben ein riesiges Problem, dass die jungen Leute nicht mehr fit sind für die Jobs des 21. Jahrhunderts“, sagt Stan Litow, IBM-Vizedirektor für gesellschaftliches Engagement. Er leitet das Schulprogramm. Vor allem mangele es den Jugendlichen an technischem Verständnis, selbstständigem Arbeiten, der Fähigkeit, komplexe Probleme zu analysieren – aber auch an Programmierkenntnissen und IT-Verständnis. „Jeder frühere ,blue collar job‘ wird irgendwann zum ,new collar job‘“, sagt Litow. „Wir brauchen solche Fähigkeiten bald in jeder Branche. Das ist ein globaler Wandel des Jobmarktes. Deshalb brauchen wir einen grundlegenden Wandel der Schule.“

Partnerschaften mit Grundschulen

Fünf Millionen Dollar hat IBM bislang in 60 Partnerschulen in ganz Amerika investiert. Der Konzern entwickelt die Lehrpläne mit, stellt den Jugendlichen Mentoren zur Seite und garantiert ihnen ein siebenwöchiges, bezahltes Praktikum. Wer sich gut anstellt, dem winkt danach ein Job. Einstiegsgehalt: über 50.000 US-Dollar. Für Litow keine Wohltätigkeitsveranstaltung, sondern „ ein strategisches Investment in die Zukunft“.

Bei GM in Orion kooperiert man sogar schon mit der örtlichen Grundschule, um die Kinder für Mathematik, Technik und Wissenschaft zu begeistern. Irgendwer muss all die Roboter ja programmieren. Schließlich steht schon der nächste große Wandel an: Ab Herbst wollen sie in Orion nicht mehr nur Benziner und Elektroautos bauen, sondern auch selbstfahrende Wagen. In Serie. „Das ist viel komplizierter zu montieren: All die Kameras müssen eingesetzt, die Sensoren eingestellt werden. All diese kleinen Teile“, sagt GM-Chefautomatisierer Marty Linn. „Aber wir haben uns dafür einige neue Roboter gekauft. I like that.“

Klingt nicht so, als werde der Mann so bald wieder einen Blaumann anheuern.

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