Cipolla zeigt lieber Wandel. „Irgendwann wird 3-D-Druck die Massenproduktion ersetzen“, sagt sie. Schon heute funktioniere das in Kleinserie, etwa beim Tankstutzen für Flugzeuge. Früher habe ein Arbeiter diesen umständlich aus 20 Einzelteilen zusammensetzen müssen. Heute fertigten ihre Maschinen so ein Ding in drei Tagen – aus einem Stück: „Eines Tages werden ganze Motorblöcke aus dem Drucker kommen.“
Eine gute Autostunde weiter nördlich sieht man dieser Vision mit Schrecken entgegen, auch wenn sie aus dem eigenen Haus kommt. In Grove City sind sie noch stolz auf ihre Handarbeit. 400 Mitarbeiter kümmern sich hier um die Wiederaufarbeitung der jährlich 1200 GE-Dieselmotoren für amerikanische Eisenbahnen. Früher wurde dazu einfach alle zehn Jahre der gesamte 16-Zylinder-Motorblock – 4400 PS und 17 Liter Hubraum – gewaschen und auseinandergenommen. Verschleißteile wurden großzügig ersetzt, dann wurde das Aggregat wieder auf die Schiene geschickt. Seit einiger Zeit aber nun ist Grove City „brilliant factory“ – und damit Prototyp für über 500 GE-Standorte weltweit. Seither verläuft ein blauer Kabelstrang durch die Hallen.
Die Leitungen befördern das, was heute im Konzern zählt: Daten. Alles in dieser Fabrik ist vernetzt; „advanced manufacturing“ nennen sie das bei GE.
Programmierer oder Hilfsarbeiter
Es ist eine Welt, in der Drehmomentschlüssel für die handtellergroßen Bolzen keine 40 Pfund mehr wiegen, sondern an Roboterarmen von der Decke hängen, einen Touchscreen haben, zwölf Schrauben auf einmal zum richtigen Druckpunkt bringen können. Eine Welt, in der der Arbeiter nur noch das Gaspedal drücken muss. Eine Welt auch, die zwar nie ganz ohne Fett, Schmiere und dreckige Kittel auskommen wird, die aber ihrem Ende entgegenproduziert. Schon in der nächsten Ausbaustufe sollen in Grove City Cipollas 3-D-Drucker eingesetzt werden. Bald schon könnten sich dann die Roboter ihre eigenen Ersatzteile herstellen oder verschlissene Achsen selbst wieder aufbauen.
Irgendwann braucht es den Menschen dann nur noch, um die Maschinen zu programmieren – oder für letzte Hilfsarbeiten. „Wir suchen heute nach höher gebildeten Mitarbeitern“, sagt Chefingenieur Bryce Poland. „Es genügt nicht mehr, technisch versiert zu sein. Man braucht IT-Kenntnisse, um die Motoren zu reparieren. Man muss coden können.“
Warum sollten wir Programmieren als Schulfach einführen?
75 Prozent der weltweit verkauften Roboter gehen heute in fünf Länder: China, Japan, Korea, Deutschland und die USA. Und dort verbreiten sie, was schon der Ökonom John Maynard Keynes beschrieben hat, als er von „technischer Arbeitslosigkeit“ sprach. Selbst im westlichen Industrieland, das wohl am besten durch den bisherigen Wandel gekommen ist – Deutschland –, sinkt die Zahl der in der Industrie beschäftigten Menschen seit Jahren kontinuierlich.
47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA, so haben es vor einiger Zeit die Oxford-Ökonomen Carl Frey und Michael Osborne errechnet, sind inzwischen potenziell automatisierbar. In Europa sieht es nicht viel besser aus. Betroffen sind nahezu alle Branchen, Männerberufe eher als typische Frauenjobs, Industriearbeitsplätze eher als spezialisiertes Handwerk. Vor allem aber trifft es erstmals nicht nur Niedriglöhner, sondern die Mittelschicht. Eben jene Klientel also, auf die Dörfer, Städte, ja ganze Länder ihr Geschäftsmodell ausgerichtet haben, weil sie konsumieren und Steuern zahlen. Was wäre Stuttgart ohne den Daimler? Erlangen ohne Siemensianer? Salzgitter ohne Stahl? Wie Bochum ohne Kohlekumpel – und das war eine Katastrophe.
"Trump will Jobs retten, in dem er den Handel einschränkt"
„Die ,blue collar jobs‘ kommen nie mehr zurück. Selbst wenn Trump die Industrie wieder ins Land holt und die hier Fabriken bauen, werden sie das mit Robotern und Automaten tun“, sagt Michael Hicks, Ökonomieprofessor an der Ball State University in Muncie, Indiana. Er hat noch vor der US-Wahl die Pläne des Präsidenten untersucht. Zwar habe Trump recht: An jedem Werktag gingen in den USA um die 10.000 Industriearbeitsplätze verloren, sagt Hicks, nur etwas über 9900 würden neu geschaffen – netto ein Verlust von fast zehn Millionen Produktionsjobs seit 1980. Die Schlussfolgerung daraus aber sei völlig falsch. „Der Präsident will die Jobs zurückholen, indem er den Handel einschränkt, Nafta und TPP abschafft und Zölle erhebt“, sagt Hicks. „Drei Viertel der Arbeitsplätze gehen aber durch Roboter, Automatisierung und effizientere Produktion verloren. Nur ein Viertel durch die Globalisierung.“
Wissenswertes zum internationalen Handel
Die Frage, ob Handel gut oder schlecht ist, gilt in der Volkswirtschaftslehre längst als geklärt. Eine weit überwiegende Mehrheit von Ökonomen vertritt die Meinung, dass internationale Arbeitsteilung nützlich ist und den Wohlstand steigert. Indes unter einer wichtigen Voraussetzung: Die Regeln müssen fair sein, damit das Kräfteverhältnis zwischen den Handelspartnern nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Das kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden - nachfolgend eine Übersicht.
Einfache Handelsverträge etwa zwischen zwei Ländern sind die unkomplizierteste Form von Handelsabkommen. Im Gegensatz etwa zu multilateralen Vereinbarungen sind nur zwei Parteien an den Verhandlungen beteiligt, was eine Einigung deutlich vereinfacht. Zudem geht es bei solchen Verträgen meistens nur um Handelsströme, insbesondere die Höhe von Zöllen. Andere Fragen wie Umweltstandards werden meist ausgeklammert. Das führt jedoch zum größten Nachteil solcher Abkommen: Von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie zwei Wirtschaftsräume umfassend miteinander verbinden, weil viele Fragen ungeklärt bleiben.
Wollen zwei oder mehr Länder über den Tausch von Waren und Dienstleistungen hinausgehen und ihre wirtschaftlichen Beziehungen umfassend regeln, werden die benötigten Abkommen umfangreicher und komplexer. Beispiele sind das zwischen der EU und den USA angedachte TTIP, das asiatisch-pazifische Abkommen TPP oder das asiatische Freihandelsprojekt RCEP. Derartige Abkommen regeln nicht nur Handelsfragen oder Zölle. Vielmehr geht es auch um Fragen des Verbraucherschutzes, der Umweltverträglichkeit von Waren und Diensten, den Schutz von Unternehmensinvestitionen oder die Angleichung von Produktstandards. Die Länder versprechen sich davon einen noch reibungsloseren Handel und mehr Wohlstand.
Eine Steigerung zu TTIP & Co. sind feste Verbünde aus mehreren souveränen Staaten. Als Paradebeispiel gilt die Europäische Union (EU), die nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine - wenn auch unvollendete - politische Union ist. Die Beziehungen der Länder sind über den EU-Vertrag geregelt. Der gemeinsame Binnenmarkt der EU verfügt über weitgehende Bewegungsfreiheit von Gütern, Dienstleistungen, Arbeitnehmern und Kapital. Auch sind viele rechtliche Fragen stark angeglichen, was Kritikern mitunter zu weit geht. Großbritannien bemängelte die Vereinheitlichung schon lange, beschloss den Austritt aber vor allem wegen des Zustroms ausländischer Arbeitskräfte. Wie kompliziert ein Abschied aus einem Wirtschaftsverbund ist, wird der Brexit zeigen.
Die WTO ist quasi eine Dachorganisation für den Welthandel. Ihr gehören 164 Mitgliedsländer an, darunter die Staaten der Europäischen Union, die USA und China. Die WTO als Handelsverbund zu bezeichnen, ginge viel zu weit. Vielmehr soll die Organisation die allgemeinen Regeln für den Handel überwachen und weiterentwickeln. Der Einfluss der WTO auf ihre Mitglieder ist indes begrenzt und basiert vor allem auf Kooperation. Eigene Sanktionsmittel im Falle des Regelbruchs hat die WTO im Grunde nicht.
Mit der Globalisierung galt der Protektionismus eigentlich als überwunden. Er ist das Gegenteil von Freihandel, weil dabei versucht wird, sich nach außen abzuschotten. Dazu dienen hohe Einfuhrzölle und -verbote, verbunden mit der Subventionierung eigener Exporte. Protektionismus kennt nach ökonomischer Lehre keine Gewinner, weil meist Vergeltungsmaßnahmen ergriffen werden. Ergebnis ist ein kleineres und teureres Güterangebot, das den Wohlstand verringert. Dennoch will US-Präsident Donald Trump der amerikanischen Industrie zu neuem Glanz verhelfen, indem er sie vor ausländischer Konkurrenz schützt. Kritiker wenden ein, dass nicht nur die Globalisierung, sondern auch die fortschreitende Technisierung für den Verlust von Arbeitsplätzen verantwortlich sei.
Inzwischen kommen mehrere Studien zu ähnlichen Ergebnissen: Bei Hicks sind es sieben, bei der Welthandelsorganisation WTO acht, in manchen Studien gar neun von zehn Jobs, die durch technologischen Wandel in den Industriestaaten verschwunden sind. Gerade erst hat das EU-Parlament untersuchen lassen, welche Folgen der Einsatz von Robotern auf westliche Ökonomien hat. Das Ergebnis ist ernüchternd. Mady Delvaux, die zuständige Berichterstatterin, ist nach zwei Jahren Arbeit hin- und hergerissen. Es werde eine Menge Gewinner geben, sagt sie, klar: „Die große Frage ist nur: Was machen wir mit den vielen Verlierern?“