Die große Job-Lüge Wie Trump und Co. weiterhin die Wähler täuschen

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Vernetzte Fabriken

Cipolla zeigt lieber Wandel. „Irgendwann wird 3-D-Druck die Massenproduktion ersetzen“, sagt sie. Schon heute funktioniere das in Kleinserie, etwa beim Tankstutzen für Flugzeuge. Früher habe ein Arbeiter diesen umständlich aus 20 Einzelteilen zusammensetzen müssen. Heute fertigten ihre Maschinen so ein Ding in drei Tagen – aus einem Stück: „Eines Tages werden ganze Motorblöcke aus dem Drucker kommen.“

Jennifer-Cipolla Quelle: Scott R. Galvin für WirtschaftsWoche

Eine gute Autostunde weiter nördlich sieht man dieser Vision mit Schrecken entgegen, auch wenn sie aus dem eigenen Haus kommt. In Grove City sind sie noch stolz auf ihre Handarbeit. 400 Mitarbeiter kümmern sich hier um die Wiederaufarbeitung der jährlich 1200 GE-Dieselmotoren für amerikanische Eisenbahnen. Früher wurde dazu einfach alle zehn Jahre der gesamte 16-Zylinder-Motorblock – 4400 PS und 17 Liter Hubraum – gewaschen und auseinandergenommen. Verschleißteile wurden großzügig ersetzt, dann wurde das Aggregat wieder auf die Schiene geschickt. Seit einiger Zeit aber nun ist Grove City „brilliant factory“ – und damit Prototyp für über 500 GE-Standorte weltweit. Seither verläuft ein blauer Kabelstrang durch die Hallen.

Die Leitungen befördern das, was heute im Konzern zählt: Daten. Alles in dieser Fabrik ist vernetzt; „advanced manufacturing“ nennen sie das bei GE.

Programmierer oder Hilfsarbeiter

Es ist eine Welt, in der Drehmomentschlüssel für die handtellergroßen Bolzen keine 40 Pfund mehr wiegen, sondern an Roboterarmen von der Decke hängen, einen Touchscreen haben, zwölf Schrauben auf einmal zum richtigen Druckpunkt bringen können. Eine Welt, in der der Arbeiter nur noch das Gaspedal drücken muss. Eine Welt auch, die zwar nie ganz ohne Fett, Schmiere und dreckige Kittel auskommen wird, die aber ihrem Ende entgegenproduziert. Schon in der nächsten Ausbaustufe sollen in Grove City Cipollas 3-D-Drucker eingesetzt werden. Bald schon könnten sich dann die Roboter ihre eigenen Ersatzteile herstellen oder verschlissene Achsen selbst wieder aufbauen.

Irgendwann braucht es den Menschen dann nur noch, um die Maschinen zu programmieren – oder für letzte Hilfsarbeiten. „Wir suchen heute nach höher gebildeten Mitarbeitern“, sagt Chefingenieur Bryce Poland. „Es genügt nicht mehr, technisch versiert zu sein. Man braucht IT-Kenntnisse, um die Motoren zu reparieren. Man muss coden können.“

Warum sollten wir Programmieren als Schulfach einführen?

75 Prozent der weltweit verkauften Roboter gehen heute in fünf Länder: China, Japan, Korea, Deutschland und die USA. Und dort verbreiten sie, was schon der Ökonom John Maynard Keynes beschrieben hat, als er von „technischer Arbeitslosigkeit“ sprach. Selbst im westlichen Industrieland, das wohl am besten durch den bisherigen Wandel gekommen ist – Deutschland –, sinkt die Zahl der in der Industrie beschäftigten Menschen seit Jahren kontinuierlich.

47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA, so haben es vor einiger Zeit die Oxford-Ökonomen Carl Frey und Michael Osborne errechnet, sind inzwischen potenziell automatisierbar. In Europa sieht es nicht viel besser aus. Betroffen sind nahezu alle Branchen, Männerberufe eher als typische Frauenjobs, Industriearbeitsplätze eher als spezialisiertes Handwerk. Vor allem aber trifft es erstmals nicht nur Niedriglöhner, sondern die Mittelschicht. Eben jene Klientel also, auf die Dörfer, Städte, ja ganze Länder ihr Geschäftsmodell ausgerichtet haben, weil sie konsumieren und Steuern zahlen. Was wäre Stuttgart ohne den Daimler? Erlangen ohne Siemensianer? Salzgitter ohne Stahl? Wie Bochum ohne Kohlekumpel – und das war eine Katastrophe.

"Trump will Jobs retten, in dem er den Handel einschränkt"

„Die ,blue collar jobs‘ kommen nie mehr zurück. Selbst wenn Trump die Industrie wieder ins Land holt und die hier Fabriken bauen, werden sie das mit Robotern und Automaten tun“, sagt Michael Hicks, Ökonomieprofessor an der Ball State University in Muncie, Indiana. Er hat noch vor der US-Wahl die Pläne des Präsidenten untersucht. Zwar habe Trump recht: An jedem Werktag gingen in den USA um die 10.000 Industriearbeitsplätze verloren, sagt Hicks, nur etwas über 9900 würden neu geschaffen – netto ein Verlust von fast zehn Millionen Produktionsjobs seit 1980. Die Schlussfolgerung daraus aber sei völlig falsch. „Der Präsident will die Jobs zurückholen, indem er den Handel einschränkt, Nafta und TPP abschafft und Zölle erhebt“, sagt Hicks. „Drei Viertel der Arbeitsplätze gehen aber durch Roboter, Automatisierung und effizientere Produktion verloren. Nur ein Viertel durch die Globalisierung.“

Wissenswertes zum internationalen Handel

Inzwischen kommen mehrere Studien zu ähnlichen Ergebnissen: Bei Hicks sind es sieben, bei der Welthandelsorganisation WTO acht, in manchen Studien gar neun von zehn Jobs, die durch technologischen Wandel in den Industriestaaten verschwunden sind. Gerade erst hat das EU-Parlament untersuchen lassen, welche Folgen der Einsatz von Robotern auf westliche Ökonomien hat. Das Ergebnis ist ernüchternd. Mady Delvaux, die zuständige Berichterstatterin, ist nach zwei Jahren Arbeit hin- und hergerissen. Es werde eine Menge Gewinner geben, sagt sie, klar: „Die große Frage ist nur: Was machen wir mit den vielen Verlierern?“

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