Die vergessenen Mitarbeiter „Unternehmen übersehen, was in Midlifern steckt“

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„Wir erwarten von uns, angekommen zu sein“

Manchmal kommen die Veränderungen doch auch von selbst. Gerade im Zuge der Digitalisierung und Veränderung der Geschäftsmodelle verändern sich auch die Jobs, für Junge wie Ältere.
Das stimmt. Doch gerade die, die schon länger im Berufsleben stehen, müssen bei einer anstehenden Umstrukturierung auch eingebunden werden. Viele Midlifer verstehen die modernen Job Descriptions nicht und haben kein Gefühl dafür, ob sie das können oder nicht. Da ist Klärung gefragt: Was kannst du, wo können wir anknüpfen und was ist ein sinnvoller nächster Schritt? Da ist im Moment eine Kluft. Selbst in großen Unternehmen mit großen Kohorten findet dieser Abgleich nicht statt. Es wird nicht anerkannt, dass diese Leute Bedarf an Weiterentwicklung haben und dass das, worauf sie mit 20 oder 30 Jahren Lust hatten, nicht mehr zwingend gültig ist. Das wandelt sich einfach durch die Lebenserfahrung.

Was schlagen Sie vor? Braucht es spezielle Programme oder nur mehr Fingerspitzengefühl?
Meiner Meinung nach sollten Unternehmen Midlife-Performer-Programme aufsetzen, damit jeder weiß, wohin er sich wenden kann. Oder man screent die Mitarbeiter und schaut, wer wo steht und wo gegebenenfalls hinmöchte.

Aber da muss doch auch der Einzelne selbst aktiv werden. Sie schrieben in Ihrem Buch von einer inneren Unruhe, die Midlifer beschleicht, die sie aber nicht immer deuten können. Trotzdem müssen sie doch erst einmal aus ihrer eigenen Rat- und Sprachlosigkeit herauskommen.
Natürlich müssen die Arbeitnehmer über sich nachdenken. Ich glaube, dass die Leute von der eigenen Sprachlosigkeit selbst überrascht sind und sich schlecht fühlen nach dem Motto: Ich leide auf hohem Niveau, warum bin ich jetzt so unzufrieden? Es braucht einen Erkenntnisprozess, um diese Frustration zu verstehen. Dann kommen die Ängste: Wenn ich mich verändere, werde ich noch so gut verdienen, weiterhin die Anerkennung haben? Im Zweifel hängt ja ein ganzes Familienmodell daran. Mit anderen Worten, viele fühlen sich gefangen in den einmal getätigten Lebens- und Familienentscheidungen.

Nachvollziehbar.
Wir erwarten ja auch von uns, angekommen zu sein: ‚Du bist doch jetzt Abteilungsleiter oder Ressortleiterin, es ist doch alles gut‘ – da rauszukommen und anzuerkennen, dass die Lebensmitte nicht nur Erntezeit dessen ist, was man gesät hat. Das ist das überraschende, was uns nicht beigebracht wurde. Es wird uns nicht mit 20 gesagt, dass auch noch eine Zeit kommt, in der man den bisherigen Weg bilanzieren und weiterentwickeln will.

Nochmal: Wie kann da ein Arbeitgeber helfen?
Im nächsten Schritt muss der Betroffene sich natürlich erst einmal äußern. Zum Beispiel: „Ich will mich verändern, weiß aber nicht genau, wie.“ Das setzt Vertrauen in den Arbeitgeber voraus. Eine gute Führungskraft hat die Aufgabe, das Potential solcher Mitarbeiter bestmöglich weiterzuentwickeln, damit diese nicht innerlich „grau“ werden, sondern bis spät in die Sechziger mit Kraft und Freude zur Arbeit kommen.

Das Thema Vertrauen scheint mir hier aber ein Knackpunkt zu sein.
Deshalb ist es so wichtig, dass Midlifer wissen, da gibt es Bereitschaft im Unternehmen zu reden und zu unterstützen. Aber da es dieses Thema in vielen Unternehmen ja gar nicht gibt, kann es daran scheitern, einen geeigneten Ansprechpartner zu finden. Manche haben Glück und eine Führungskraft, die offen ist. Ich erlebe aber viele Coachees, die sagen, sie hätten es x-mal versucht und seien nur auf Widerstand gestoßen. Diese Leute sind natürlich verzweifelt, weil sie nicht wissen, wie sie weitermachen sollen. Kündigen oder sich selbständig zu machen sind mit Ende 40 oder Anfang 50 bedeutende Schritte.

von Jan Guldner, Christian Schlesiger, Peter Steinkirchner

Geht die Nachdenklichkeit mit anderen Ereignissen oder Schwierigkeiten im Privatleben einher, die sich in dieser Lebensphase ja auch häufen können? Themen wie Scheidung, Tod der Eltern, schwierige Kinder, eigene Krankheiten oder Burnout betreffen ja die 30-Jährigen auch seltener als die über 40.
Ja, manche „brauchen“ erst ein Burnout um zu verstehen, dass sie in einem Veränderungsprozess sind. Oder eine Krise stößt diesen Prozess erst an. Wir sind im Alter zwischen 40 und 60 noch nicht fertig oder angekommen, sondern weiter auf dem Weg. Manche rutschen aus Hoffnungs- und scheinbarer Alternativlosigkeit in ein Burnout. Wenn man die notwendigen Veränderungen als Entwicklungsphase begreifen würde, würde man Burnouts vielleicht verhindern. Natürlich sollten Führungskräfte auch schauen, was Mitarbeiter erleben – macht jemand gerade eine Scheidung durch, sind Eltern gestorben, gehen die Kinder aus dem Haus, gibt es irgendeine größere private Verschiebung. Das ist genauso wie bei Mitarbeitern um die 30, die Kinder bekommen, wo ich als Chef ja auch weiß, dass das Veränderungen nach sich ziehen wird.

Welche Formen von Hilfe könnten sinnvoll sein?
Der erste Schritt ist wirklich, für sich anzuerkennen, dass die innere Unruhe okay, sogar gut ist. Ich sage vielen Coachees: Nimm dich selbst ernst an der Stelle, das ist der Anfang dieser Entwicklungsphase. Man kann sich natürlich andere Gesprächspartner als einen Coach suchen. Es gibt Leute, die können im Gespräch besser über sich selbst nachdenken, andere denken lieber alleine nach.

Wie sieht es mit Auszeiten aus?
Manchmal ist es die richtige Idee, weil man Raum schafft, um über sich nachzudenken. Dann kommt man vielleicht auf Ideen, für die man mit etwas Ruhe recherchieren muss. Wenn ich zum Beispiel an eine Weiterbildung denke, muss ich schauen, was gibt es auf dem Markt, wie umfangreich und kostenintensiv ist das. Oder ich mache irgendwo einen Probetag. Dafür sind Auszeiten toll. Wenn man ein Sabbatical mit einer großen Reise plant, dann ist das sicherlich großartig und hilft vielleicht, zu entspannen und bei sich anzukommen. Nur: Reisen sind oft so voller Eindrücke und Begegnungen, dass sie letztendlich gar nichts mit einem selbst zu tun haben. Dabei eine Antwort auf eigene Fragen zu bekommen, ist sehr schwierig. Sabbaticals in dieser Form können auch nur eine große Ablenkung sein, die nicht zu Antworten führen.

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