
Man kann das Wort Digitalisierung eigentlich schon gar nicht mehr hören. Bei der CeBit eht alles nur um den Ausbau und Umbau digitaler Geschäftsmodelle und den dafür notwendigen Technologien und kaum eine Arbeitnehmerbefragung kommt noch ohne das Schlagwort aus. Demnach könnte man meinen, dass Unternehmen wie auch Mitarbeiter bis zu den Ohren im digitalen Transformationsprozess stecken. Überall wird gewerkelt, programmiert, nachgedacht und verändert.
Nur: Ganz so ist es eben nicht.
Die Unternehmensberatung Prophet, die unter anderem BMW, Deutsche Bank, Ebay oder E.On bei der Innovation ihrer Geschäftsmodelle, der Weiterentwicklung ihrer Markenstrategien sowie der Transformation ihres Marketings unterstützt, hat in fünf Ländern Arbeitnehmer befragt, wie digital ihr Unternehmen tatsächlich ist. Befragt wurden Digital Natives aus Großbritannien, der Schweiz, Schweden, Deutschland und Frankreich, insgesamt 3.500 junge Erwachsene zwischen 18 und 34 Jahren.
Frankreich ist Schlusslicht
Nach deren Einschätzung gelingt den britischen Unternehmen der Umbau ihrer Wirtschaft zu digitalen Geschäftsmodellen am Besten. In Großbritannien meinen 79 Prozent, dass sich ihr Arbeitgeber schon weit auf die digitalen Herausforderungen eingestellt habe (siehe Grafik). Auf dem zweiten Platz steht die Schweiz, dann folgt Schweden. In Deutschland glauben 71 Prozent, dass ihr Unternehmen fit für die digitale Zukunft ist, auf dem letzten Platz landet Frankreich mit 61 Prozent Zustimmung.
Das gute Abschneiden der Briten erklärt sich Tobias Bärschneider, Partner im Berliner Prophet-Büro, mit der allgemeinen Vorreiterrolle des angelsächsischen Raumes bei Internet-Themen. "Wir sehen bei unseren Projekten, dass solche Ideen und Geschäftsmodelle oft mit Zeitverzögerung nach ein, zwei Jahren in Deutschland ankommen." Die Umfrage deute auch drauf hin, dass die Skandinavier näher an neuen digitalen Geschäftsmodellen seien als die Deutschen. "Unternehmen wie zum Beispiel der schwedische Musikdienst Spotify haben sich einen gewissen Vorsprung am Markt erarbeitet."
Größtes Hindernis: verkrustete Strukturen
Eines ist jedoch in allen Ländern gleich: Der Grund, weshalb die digitale Transformation nicht so verläuft, wie es vielleicht geplant war. Es liegt an verkrusteten innerbetrieblichen Strukturen. So fühlen sich 66 Prozent der Briten, 70 Prozent der Deutschen und 74 Prozent der Franzosen privat auf dem Weg in die digitale Zukunft besser vorbereitet als ihr Arbeitgeber. Das ist allerdings nicht nur das Ergebnis der Prophet-Umfrage: Auch andere Erhebungen zeigen: Die Unternehmen könnten schon viel weiter sein, wenn sie etwas an ihrer Kultur und vor allem dem Silo-Denken ändern würden.
„Die Transformation ist eine der größten Veränderungen der Arbeitswelt überhaupt – hier kann und muss eine klare digitale Strategie helfen, die Furcht vor Undefinierbarem zu nehmen und Menschen in den Wandel einzubinden,“ sagt Bärschneider. Denn die Auswirkungen des digitalen Wandels sind sowohl vor allem eines: alternativlos. Geschäftsmodelle und entsprechend auch alle internen Abläufe müssen neu definiert werden , so Felix Stöckle, ebenfalls Partner von Prophet in Berlin. Wenn das gelingen soll, müssen die Arbeitnehmer ran. Chefs können nicht verlangen, dass ihre Mitarbeiter sie in die Zukunft tragen.
So entwickeln Sie die richtige Digitalstrategie
Bernd Holitzner ist seit 2010 Geschäftsführer des Beratungsunternehmens menovo GmbH, das sich auf Automation, Optimierung und Beratung von Geschäftsprozessen spezialisiert hat.
Er rät: "Ermitteln Sie den aktuellen Prozessablauf – über Abteilungsgrenzen hinweg. Stellen Sie Start- und Endpunkt des Gesamtprozesses fest und definieren Sie Haupt- und Subprozesse. Zum Schluss eruieren Sie die verwendeten Tools. Wahrscheinlich haben Sie erste Schwachstellen und Optimierungspotenziale aufgedeckt. Jetzt können Sie sich vergewissern, ob die gestellte Anforderung diese berücksichtigt."
"Prüfen Sie, ob die Anforderung die Unternehmensstrategie berücksichtigt. Ein Beispiel ist der Onboarding-Prozess. Die IT-Abteilung erwartet, dass Software installiert und Berechtigungen angelegt werden. Die Unternehmensstrategie fordert, dass der Prozess effizienter wird. Diese Bedürfnisse müssen Sie in Einklang bringen."
"Analysieren Sie die Optimierungspotenziale des aktuellen Prozesses. Das sind Prozessschritte, die die Unternehmensstrategie nicht unterstützen. Wenn Sie eine fundierte Auswertung benötigen, führen Sie eine Prozesskennzahlenanalyse durch. Dokumentieren Sie die Optimierung anschließend detailliert."
"Anhand des Optimierungskonzeptes erkennen Sie, wo technische Unterstützung sinnvoll ist. Formulieren Sie, welchen Bedarf die Technik erfüllen soll. Soll die Fehleranfälligkeit im Dokumentenmanagement reduziert werden? Sollen Informationen firmenweit zugänglich werden?"
"Häufig existieren in Unternehmen Tools, die die Anforderungen erfüllen. Durch Kommunikationsdefizite oder mangelnde Prozesskenntnis werden diese nicht berücksichtigt. Überprüfen Sie genauer den Nutzen und die Potenziale der eingesetzten Tools. Erfüllen bestimmte Tools den Bedarf nicht? Dann untersuchen Sie mit der gleichen Akribie die Auswahl neuer Tools."
"Heutzutage ändert sich der Bedarf eines Unternehmens kontinuierlich. Stellen Sie sicher, dass Tools schnell und mit geringem Aufwand angepasst werden können. Zum Beispiel indem Funktionen via Konfiguration geändert werden können."
"Nachdem die Digitalisierung erfolgreich umgesetzt wurde, ist die größte Herausforderung, sie kontinuierlich anzupassen. Der digitale Prozess muss kontrolliert, hinterfragt und weiterentwickelt werden."
Das Problem, so Stöckle: "Viele Unternehmen sind große Tanker. Für diese Unternehmen bedeutet die Digitale Transformation eine der größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte, wenn nicht sogar die größte Veränderung überhaupt." Und bei Veränderungen stellen Menschen sich nun mal gerne quer. Dabei seien auch in Deutschland durchaus moderne und digital sehr affine Unternehmensführer nachgewachsen, wie der Zürcher Prophet-Partner Jan Döring sagt.
Er sehe das mittlere Management als größten Bremser: "Oben ist der Vorstand, der das Problem beziehungsweise die Chance erkannt hat und versucht Initiativen zu starten, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicher zu stellen. Unten sind junge, ambitionierte Mitarbeiter, die häufig Digital Natives sind und es merkwürdig finden, wie konservativ ihr Arbeitgeber ist. Im mittleren Management denken Mitarbeiter allerding weiterhin oft in Silos und haben Angst, etwas zu verlieren."
Wenn der Vorstand die mittleren Manager nicht richtig informiert, motiviert und ihnen ihre Ängste nimmt, könnten sie jegliche Transformation im Keim ersticken, so Döring. "Die menschliche Dimension der Transformation wird tatsächlich oft unterschätzt", gibt Bärschneider zu. Bei vielen Menschen erzeuge der Wandel zunächst einmal Angst: Ist mein Job sicher, werde ich von einem Computer ersetzt? Die Verantwortlichen in den Unternehmen müssen also nicht nur den Wandel voran treiben, sondern ihren Mitarbeitern auch die Angst nehmen. Am besten, in dem man die geplanten Veränderungen transparent erklärt - und erlebbar macht. Bei einer spanischen Bank habe man beispielsweise den Prototyp einer neuen, digitalisierten Filiale im Foyer der Hauptgeschäftsstelle aufgebaut, damit sich die Mitarbeiter ein Bild davon machen können.
Stöckle sagt: "Es sollten eben nicht nur Parolen zur schönen neuen Welt verbreitet werden. Die Dinge müssen greifbar gemacht werden. Je mehr ohne Substanz schöngemalt wird, desto größer ist später die Ernüchterung. So verliert man die Menschen, wo man sie für Veränderung gewinnen muss."