Strumpfhose oder Krawatte tragen, während andere Menschen es gerade mal in Flatterkleid oder Shorts aushalten – das ist für Beschäftigte in Firmen mit strikter Kleiderordnung aktuell schweißtreibende Realität. Die hält womöglich noch einige Zeit an. Da stellt sich in diesem Jahr ganz besonders die Frage, ob der Dresscode im Sommer gelockert werden darf. Gibt es eine Art von Hitzefrei bei Büro-Outfits?
Enrico Brissa, Leiter des Protokolls beim Deutschen Bundestag, hat eine grundsätzlich gute Nachricht. „Streng und ausnahmslos beachtete Kleidungsvorschriften sind in Deutschland heute ohnehin selten. Das gilt übrigens für alle Jahreszeiten“, meint der promovierte Jurist und Autor („Auf dem Parkett. Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens“).
„Grundsätzlich sind Dresscodes lockerer geworden. In vielen Branchen sind zum Beispiel schlichte Sneaker zum Anzug, Rock oder dunkler Jeans akzeptiert“, findet auch Anna Raabe, Mitbegründerin von Gardoré. Die Online-Plattform hat sich auf Business-Outfits für Frauen spezialisiert.
Dresscodes sind deshalb aber noch lange nicht überflüssig geworden. Gerade in Zeiten größerer Wahlmöglichkeiten bieten sie nach Ansicht der Experten wichtige Anhaltspunkte, um bei der Arbeit nicht unangenehm aufzufallen. „Dresscodes, auch implizite, liefern in vielen Unternehmen und bei Veranstaltungen nach wie vor einen sehr hilfreichen Orientierungsrahmen“, sagt Raabe. „Kleidung ist nach wie vor ein starkes Symbol“, unterstreicht Brissa die Bedeutung der Garderobe für die nonverbale Kommunikation.
Business casual: So geht der sommerliche Büro-Dresscode
Die heiße Jahreszeit erlaubt laut den Experten grundsätzlich einen anderen Schwerpunkt bei der Garderobe. Kleidung sei jetzt „natürlich noch etwas lockerer, leichter und farbenfroher. Wer grillt schon gerne bei 30 Grad im Schatten im Anzug und mit Krawatte“, findet Brissa. „Sommer-Business-Looks sind grundsätzlich heller und hier kommen auch mehr Farbe oder sogar Drucke ins Spiel, die auf leichten Sommerstoffen immer etwas dezenter wirken“, beschreibt Raabe die Lage für Frauen. „Wenn jetzt im Sommer die Temperaturen steigen, darf auch ein bisschen Haut gezeigt werden.“
Dabei gibt es der Unternehmerin zufolge allerdings zwei Grundregeln zu beachten. „Röcke und Kleider sollten nicht zu kurz sein. Eine Handbreite oberhalb des Knies ist eine gute Richtlinie. Kürzer sollte es im Business nicht sein. Dekolletés sollten nicht tiefer als bis zur Achselhöhle gehen“, rät Raabe. Freizügige Tops mit Spaghettiträgern seien nur dann fürs Büro geeignet, wenn sie unter einem leichten Blazer oder einer Strickjacke getragen werden.
Das bedeuten die verschiedenen Business-Dresscodes
Bedeutet gehobene Freizeitkleidung, also: Baumwollhose, Polohemd, Jackett. Beim Business Casual putzen sich die Leute mehr heraus: Frauen tragen Kostüm oder Hosenanzug, nicht zu hohe Schuhabsätze, unsichtbare Zehen. Männer tragen eine Kombination, die Krawatte kann im Schrank bleiben.
Meist bei Einladungen nach der Arbeit. Konservativ: Er trägt Anzug, aber keine Brauntöne. Sie: Kostüm oder Hosenanzug, aber keine großen Handtaschen mit Schulterriemen. Einzig richtig: Clutchbags – kleine Handtäschchen ohne Riemen. Rocklänge: nie kürzer als eine Handbreit über dem Knie.
Damen: halblange, elegante Kleider
Herren: dunkelgraue oder schwarze Anzüge.
Gerne zu Abendanlässen.
Er: Smoking, Hemd mit Doppelmanschetten, Kummerbund und Einstecktuch, schwarze Fliege, schwarze Schuhe.
Sie: schwarze lange Robe, Tasche (kleiner als der Kopf). Accessoires gerne farbig.
Er: Frack, weiße Weste mit tiefem Ausschnitt, Stehkragenhemd mit verdeckter Knopfleiste, weiße Fliege, Lackschuhe.
Sie: bodenlanges Abendkleid in Schwarz, Weiß oder Grau (Schultern bei Ankunft bedeckt). Zum Ballkleid geschlossene Schuhe mit Seidenstrümpfen. Findet der Ball im Hochsommer statt, auch hohe Sandaletten – dann ohne Strümpfe.
Zu eleganten Partys und Vernissagen ab 16 Uhr.
Er: dunkler Anzug, Hose mit Bügelfalte, einfarbiges Hemd, dunkle Krawatte, lässiger Schnürschuh.
Sie: das kleine Schwarze. Schultern, Dekolleté und Bein dürfen gezeigt werden.
Werden oft falsch zugeknöpft. So ist es richtig: Zweireiher immer geschlossen. Sakko mit zwei Knöpfen: ein Knopf geschlossen, wahlweise der untere oder der obere. Drei-Knopf-Sakko: beide oberen Knöpfe zu oder nur der mittlere. Vier-Knopf-Sakko: die beiden mittleren oder die drei oberen Knöpfe geschlossen. Fünf-Knopf-Sakko: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben zu. Frack: wird immer offen getragen. Weste: alle Knöpfe bis auf den untersten bleiben geschlossen.
Unter Sakkos tabu! Die Hemdmanschette muss unter dem Ärmel herausschauen. Richtig: Die Ärmel des Sakkos enden knapp über dem Handrücken, die Hemdmanschette schaut darunter einen Zentimeter heraus.
Klassisch aus weißer Baumwolle, modern aus farbiger Seide oder Kaschmir. Hat nie (!) dasselbe Muster wie die Krawatte, passt aber farblich dazu.
Sie reicht exakt bis zur Gürtelschnalle, nicht länger, nicht kürzer. Der Knoten darf nie so dick werden, dass er den Kragen vom Hemd abdrückt.
Ungepflegte Galoschen enttarnen jedes stilvolle Outfit als Verkleidung. Das Minimum ist ein Paar schwarzer Schnürschuhe aus Leder. Etwa ein Oxford – glatt mit schlichter Kappe. In Braun passt er auch zu Sportjacketts oder Tweedanzügen. Der Semi-Brogue eignet sich zu gemusterten Anzügen und weichen Stoffen. Auch er hat eine Kappe, die weist aber dezente Lochmuster wie beim Brogue auf. Der wird auch Budapester genannt und passt mit seinem typischen Lochmuster auf der geschwungenen Kappe und den Seitenflügeln zu Anzügen aller Art. Wirkt aber stets etwas konservativ.
Womit es Zeit für die No-Gos der Sommergarderobe wäre. Flip-Flops haben im Büro nichts verloren, da sind sich Brissa und Raabe einig. Die Stilexpertin rät Frauen generell von sehr offenen Sandalen mit schlabberiger Sohle ab: „Sie wirken einfach zu freizeitmäßig.“ Ein weiterer Fauxpas sei durchsichtige Kleidung, die Unterwäsche durchscheinen lasse. Allerdings kann gerade ein bewusst (nach-)lässiger Aufzug zur inoffiziellen Uniform eines Unternehmens werden. So gehört in manchen Start-ups der Badeschlappen-Look im Sommer einfach dazu. „Letztlich entscheidet immer der soziale Kontext darüber, wie weit man in der textilen Abrüstung gehen kann“, findet Brissa.
Vorsicht bei Smart Casual im Sommer
Manche Unternehmen erlauben ihren Angestellten ohne Kundenkontakt bei extremer Hitze einen lässigeren Dresscode. Dann ist vielleicht statt sehr formeller Kleidung ein Smart-Casual-Look erlaubt. Gerade bei dieser legeren Form der Oberbekleidung gibt es nach Ansicht von Brissa jedoch Potenzial für grobe Fehler. Der Anzug könne nun aus einem sommerlichen Stoff bestehen oder etwas farbenfroher ausfallen. „Jeans, kurze Hosen und Jogginghosen sind allerdings nicht damit gemeint“, sagt der ehemalige Protokollchef der Bundespräsidenten Christian Wulff und Joachim Gauck.
Wer beim Casual Friday im Sommer zum Schwimmbad-Outfit greift, ist laut dem Benimmexperten vollends übers Ziel hinausgeschossen: „Auch die 'Dress Down Policy' ist keine Aufforderung, mit allen Vorstellungen einer zivilisierten Kleidung zu brechen.“
Raabe empfiehlt Frauen beim etwas weniger formellen Outfit diese Kombination: „Eine dünne Culotte, ein Seidenshirt und ein dünner Blazer oder Cardigan. Dazu Slingpumps – mit kleinem Absatz oder flach.“ Gepflegte Füße seien bei offenen Schuhen ein Muss. Wird ein formelles Erscheinungsbild gemäß dem Dresscode Business/Business Attire verlangt, könne ein Etuikleid aus dünnem, aber edlem Stoff die richtige Wahl sein. „Dazu ein passender Blazer, beides gerne in hell“, rät Raabe. Bei den Schuhen setzt sie trotz Hitze auf geschlossene Modelle wie Pumps oder Ballerinas. „Wenn der Rahmen nicht strikt formal ist, darf der Blazer auch mal ausgezogen werden oder die Strumpfhose weggelassen werden“, meint die Expertin.
Darüber hinaus gibt es Tricks, um bei Hitze frisch zu bleiben. „Ersatzwäsche kann nützlich sein, etwa vor der Abendveranstaltung ein frisches Hemd mit einer anderen Krawatte“, rät Brissa. Raabe findet Oberteile in hellen Farben praktisch. „Bei weißen Blusen oder T-Shirts zeichnen sich Schweißflecken am wenigsten ab“, weiß die Expertin. Zwar ist Schwitzen gesund und kein Grund für falsche Scham. Vor einem Meeting kann es aber angenehmer sein, Schweißflecken unter einem dünnen Blazer oder Cardigan verschwinden zu lassen. Die zweite Textilschicht ist zudem hilfreich, wenn die Klimaanlage im Konferenzraum mal zu arktisch eingestellt ist. Frieren im Hochsommer – das muss wirklich nicht sein.
Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Sommer 2019. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.