Auch der Chef der Organisation, Chris Moore, ist überzeugt: Die Resozialisierung beginnt im Kopf. Am Anfang seien es vor allem zwei Faktoren, die die Identität der Männer ausmachen: das Verbrechen, das sie verübt haben, und die Länge ihrer Freiheitsstrafe. Wenn sie nach der Ausbildung im Clink in die Freiheit entlassen werden, haben sie idealerweise eine neue Identität und ein neues Selbstbild. Als Köche oder Kellner mit einer National Vocational Qualification, einem in Großbritannien anerkannten Berufsabschluss. Manche erwerben nach 18 Monaten gar eine Doppelqualifikation als Koch und Kellner. Und sie haben gelernt: Es lohnt sich, eine Sache konsequent zu verfolgen und durchzuhalten. Eine Lektion, die viele in ihrem bisherigen Leben verpasst oder wieder verlernt hatten.
Bei der Ausbildung geht es daher um mehr als handwerkliches Können. Viele der Insassen haben nie zuvor acht Stunden am Tag gearbeitet, geschweige denn 40 Stunden in der Woche. Sie müssen Verlässlichkeit lernen und Pünktlichkeit, manchmal auch ein freundliches Lächeln.
Etwa 850 Insassen hat das Gefängnis von Brixton, einem Stadtviertel im Süden von London. Die Gefangenen, die im Restaurant arbeiten, sind keine Schwerverbrecher. Viele sind wegen Delikten wie Drogenmissbrauch, Einbrüchen oder Betrügereien hinter Gitter gewandert, andere haben schon woanders den größten Teil einer langen Freiheitsstrafe verbüßt, manche sind Freigänger.
Rund 15 Häftlinge servieren in London bis zu 120 Gästen täglich Frühstück oder Mittagessen, ebenso viele bereiten in der Küche die Speisen zu. Dem einen oder anderen sieht man die sozialen Defizite noch an. Manche Bewegungen sind unbeholfen, die Aufmerksamkeit zu bemüht. Dennoch: Die Männer sammeln hier Selbstbewusstsein. Und sie entgehen dem eintönigen Dasein in ihrer Zelle. „Man fühlt sich nicht wie im Gefängnis“, sagt einer der Küchenlehrlinge.
Die Ausbildung ist deshalb auch sehr begehrt, der Auswahlprozess entsprechend streng – Lesen und Schreiben muss man können, besonders Letzteres ist keine Selbstverständlichkeit. „Entscheidend sind nicht die gastronomischen Vorkenntnisse, sondern die Motivation“, sagt Moore. Chancen haben Bewerber, die offen dazu stehen, Hilfe zu brauchen, weil sie es leid sind, immer wieder ins Gefängnis zu wandern.
Wer nascht, der fliegt
Am Anfang steht eine zweiwöchige Probezeit, 10 bis 15 Prozent der Bewerber fliegen meist schnell wieder raus, Moore kennt keine Gnade. Körperpflege, saubere Kleidung, Disziplin und Höflichkeit werden verlangt, Widerrede und Unehrlichkeit streng geahndet. Selbst wer in der Küche bei der Zubereitung der Speisen nascht, fliegt sofort. „Das Gefängnis ist die schlimmste Erfahrung meines Lebens“, sagt einer, der seit neun Monaten als Lehrling in der Küche arbeitet. „Das hier hat mich gerettet, es hat mich vor dem Durchdrehen bewahrt.“
Ähnlich äußert sich ein Kellner mit tätowierten Oberarmen: „Mir gefällt, dass ich im Restaurant mit normalen Leuten zu tun habe, das hat mein Selbstvertrauen wieder aufgebaut.“ Sogar die tägliche Routine – sein Arbeitstag dauert von morgens 8 bis nachmittags um 17 Uhr – findet er gut. „In der Zelle gehen die vielen Stunden ja nur langsam vorbei, man kann höchstens fernsehen.“
Und selbst jene, die später nicht in der Gastronomie anheuern, sind zufrieden. Einer will sich mit einem Freund in London selbstständig machen und Hochzeitsbankette ausrichten. Ein anderer will nach seiner Entlassung wieder zurück in seinen alten Job – als Dachdecker. Trotzdem möchte er die Erfahrung im Clink nicht missen: „Sie hat mir Selbstvertrauen gegeben.“
An diesem Vormittag hat die Vorbereitung der Mittagsspeisen bereits begonnen, die Stimmung ist unaufgeregt, in hohen Töpfen brodelt ein Sud. Es wird nicht laut geschrien, von Hektik keine Spur. „Hier geht es nicht zu wie beim britischen Starkoch Gordon Ramsay“, sagt einer der Ausbilder und lacht.