Egal wo, Hauptsache was mit „-office“ Warum 2020 nicht alles schlecht war

Eine Erkenntnis im Jahr 2020: Nähe ist auch auf Distanz möglich. Quelle: Getty Images

2020 war ein anstrengendes Jahr, das Menschen auch im Job viel abverlangt hat. Und doch hat das Coronajahr auch ein paar Dinge gebracht, die gerne so bleiben dürfen. Eine Wunschliste.

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Der Zwang zur Improvisation hat auch sein Gutes gehabt: Neue Arbeitsabläufe wurden im coronabedingten Ausnahmezustand getestet – und einige sind so gut, dass sie eine Dauerlösung sein können. Ein Überblick über die besten Errungenschaften im Job.

Mach‘ Dir das Büro, das Dir gefällt!

Im Meetingraum ist die Ansteckungsgefahr zu hoch. Besprechungen immer nur aus der heimischen Arbeitsecke zu zoomen, ist jedoch auf die Dauer ziemlich ermüdend. Aber wer sagt denn, dass Konferenzen nur von einem klassischen Arbeitsplatz aus möglich sind? Wenn man es schon anders macht als sonst, kann man auch ganz neue Wege gehen – so wie Frank Riemensperger zum Beispiel, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture. Er macht jeden Morgen „Outdooroffice“ und erledigt im Wald südlich von Frankfurt seine ersten Anrufe und Videokonferenzen, während er über Wurzeln steigt und durch das Laub streift. Die neue Routine kam zustande, weil Riemensperger die Abwechslung aus der Vor-Corona-Zeit fehlte. Also schuf er sie sich selbst. Riemensperger hat schnell erkannt, wozu Homeoffice gut sein kann: Wenn man schon nicht ins Büro muss, kann es auch gleich ein ganz anderer Ort sein. Am besten einer, an dem man sich wohlfühlt und der einem gut tut. Warum also nicht vom Waldspaziergang aus per Handy in die Konferenz einwählen? Im Gehen soll man ohnehin besser denken können und kreativer sein.

Wer keinen Wald in der Nähe hat, hat vielleicht einen Garten oder eine Terrasse? Angenehme Temperaturen vorausgesetzt, eine wunderbare Abwechslung zum Schreibtisch. Ein Ort im Grünen konnte übrigens auch für echte Zusammenkünfte den Konferenzraum ersetzen – Abstandsregeln blieben gewahrt und zugleich kann so ein Teammeeting zu einem kleinen Event werden. Eine Sitzung im nahegelegenen Park bringt Abwechslung und mehr Spaß bei der Arbeit – Sonnenlicht und ein paar Schritte draußen sind dazu auch noch gesund.

Die ganze Welt in einem Wohnzimmer

Was ist man vor Corona nicht durch die Republik und manchmal auch durch die Welt gereist, um an einer spannenden Konferenz oder an einem Workshop teilzunehmen. Und klar, ab und zu ist ein Ortswechsel inspirierend, und Neues kennenzulernen erweitert den Horizont. Aber mal ehrlich: Wie viele dieser Veranstaltungen haben wir früher schon sausen lassen, eben weil der Aufwand so groß und die verfügbare Zeit so knapp war? Dank Corona haben wir jetzt nur noch die Qual der Wahl, welchen Summit, welches Netzwerktreffen wir unbedingt mitnehmen wollen – und zwar bequem bei Dezemberregen vom Sessel aus mit einer Tasse Tee. Und wenn ein Panel mal doch nicht hält, was es versprach, so können wir diskret den Online-Konferenzraum wechseln, ohne dass Unruhe entsteht.

Mehr Zeit für Schlaf

Weniger reisen und weniger pendeln bedeutet auch: mehr Zeit für andere Dinge haben. Zum Beispiel zum Schlafen. Studien haben inzwischen gezeigt, dass Menschen während der Lockdowns und Kontaktbeschränkungen im Schnitt mehr geschlafen haben. Das bestätigt auch Simone Menne, Aufsichtsrätin unter anderem bei BMW und der Deutschen Post. „Ich bin vor Corona viel gereist, musste oft um 4.30 Uhr aufstehen, um pünktlich am Flughafen zu sein. Jetzt habe ich einen viel konstanteren Rhythmus und stehe meistens gegen 7 Uhr auf“, erzählt die Managerin. Auch, weil keine Jetlags nach Langstreckenflügen mehr ihren Biorhythmus stören, fühle sie sich besser und fitter – und habe mehr Zeit für Sport. Dafür nimmt Menne gerne in Kauf, dass mancher sechsstündige Sitzungsmarathon vor den Videokonferenzkacheln am Computer anstrengender ist als bei physischen Treffen, die durch gemeinsame Pausen aufgelockert werden.

Jobsuche fast grenzenlos

Wo schon alles so flexibel geworden ist, ging mancher gleich aufs Ganze – und leitete eine berufliche Veränderung ein. Nun, da sich selbst unter Chefs herumgesprochen hat, dass die Leute im Homeoffice nicht nur auf dem Sofa lümmeln, müssen wir nicht mehr so nah am Arbeitsort wohnen - und können uns verändern, ohne gleich das gewohnte Umfeld aufgeben zu müssen. Das Jobsuchportal Indeed hat zwischen Anfang August und Ende Oktober einen Anstieg von 42 Prozent bei den Sucheingaben nach Homeoffice ausgemacht. Bewerber achten demnach mehr als vor Corona darauf, dass ein neuer Arbeitgeber ihnen räumliche Flexibilität ermöglicht.

Zusammenhalt durch Distanz

Deutschland hat spitzenmäßige Gründer

Die großen Innovationen kommen immer aus dem Silicon Valley, Deutschland hat keine eigenen Vorbilder à la Mark Zuckerberg oder Elon Musk? Von wegen! Mit Biontech hat sich nun gezeigt, wie Innovation made in Germany geht – und dass Migranten ein wichtiger Teil unserer Gründerszene sind. Die Wurzeln von Uğur Şahin und Özlem Türeci, das Forscherehepaar, das den Corona-Impfstoff entwickelt hat, liegen in der Türkei. Şahins Eltern wanderten Ende der Sechzigerjahre mit ihm als Kleinkind nach Deutschland ein, Türeci wurde kurz nach Ankunft ihrer Eltern in Niedersachsen geboren. Eine Befragung von 1700 Gründern des Deutschen Start-up-Monitors ergab im Sommer, dass jeder fünfte einen Migrationshintergrund hat, weil entweder ein Elternteil oder er selbst nach Deutschland eingewandert ist. Mehr als jeder zehnte hat keinen deutschen Pass, ist also nach der Definition des Statistischen Bundesamts Migrant – und vielleicht sogar noch ein besseres Vorbild als Musk oder Zuckerberg.

Mehr Familienzeit

Geschlossene Schulen und Kitas stürzten im Frühjahr 2020 Tausende berufstätige Eltern in Verzweiflung und Erschöpfung. Und taten es nun, kurz vor Weihnachten, wieder. Mit kleineren Kindern im Homeoffice – das ist eine echte Belastung. Doch auch die hat ihre guten Seiten: Viele Eltern berichteten davon, dass es auch schön war, mehr Zeit mit dem Nachwuchs zu verbringen. Morgens nicht Punkt 8 Uhr das Haus verlassen, keine Berge von Pausenbroten schmieren, weniger Elterntaxi spielen müssen – all das brachte Erleichterung in manchen durchgetakteten Alltag. Und wenn Flötenunterricht oder Reitstunden mal eine Weile ausfallen, lernen Kinder auch mal wieder, was Langeweile ist – und die führt zu neuer Kreativität. Die verblüffende Erkenntnis: Ein Wochenende kann auch erfüllend sein, ohne von einem Highlight zum nächsten zu hecheln.

Mehr Zusammenhalt

Als wir im März kollektiv ins Homeoffice umzogen, war da vor allem eine große Frage: Wie sollte das funktionieren? Was sage ich als alleinerziehende Mutter dem Chef, wenn das Kleinkind ausgerechnet in dem Moment einen Schreianfall bekommt, wenn ich die wichtige Präsentation vor den Kollegen halten soll? Wie viel Verständnis wird mein Teamleiter dafür haben, dass mir als Single im Lockdown die Decke auf den Kopf fällt – und ich mich morgens immer schwerer aufraffen kann? Und wie kann ich den Kollegen mal um Hilfe bitten, wenn ich ihn nicht zufällig in der Kaffeeküche treffe und auf den ersten Blick ahne, ob dafür jetzt der richtige Moment ist? 

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Nun, neun Monate später, stellen wir stolz fest: Der Kontakt zu liebgewonnenen Kolleginnen und Kollegen ist gar nicht abgerissen, nur weil eine Pandemie uns zu Distanz zwingt. In diesen Adventstagen ist gemeinsam-einzelnes Glühweintrinken vor dem Bildschirm die Alternative zum Absturz im Kneipenviertel. Und auch wenn es nicht ganz das gleiche ist: Irgendwie freut man sich darüber. Die Extremsituation im Frühjahr hat zudem viele Führungskräfte gelehrt, bei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern genauer hinzusehen: Welche Lebensumstände begleiten sie? Wer braucht Flexibilität, wer einen festen Rahmen? Die Erfahrung, selbst etwas durchzumachen, hat eine beachtliche Zahl von Menschen achtsamer werden lassen, auch in Bezug auf Kolleginnen und Kollegen. Und siehe da: Wer Rücksicht, Vertrauen und Freiheit erfährt, liefert in der Regel auch. All das hat Zusammenhalt und Vertrauen gestärkt, der Zwang zur Improvisation viele Teams zusammengeschweißt. Zu wissen, dass man sich aufeinander verlassen kann, selbst wenn scheinbar nichts mehr geht, macht Lust auf mehr davon im nächsten Jahr – gerne auch ohne Pandemie.

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