Ein Lkw-Fahrer berichtet „Wenn das Gehalt nicht mindestens 3000 Euro beträgt, würde ich die Finger davon lassen“

Quelle: imago images

Speditionen suchen verzweifelt Lkw-Fahrer. Udo Skoppeck ist seit über 40 Jahren Berufskraftfahrer und erzählt, warum er bei Amazon seine Verdi-Weste trägt und wie der angeblich unattraktive Arbeitsplatz wirklich ist.

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Deutschland fehlen Kraftfahrer: Bei Lkw- und Busfahrern ist der Anteil älterer Erwerbstätiger besonders hoch – und wird sich in den kommenden Jahren noch verschärfen. 36 Prozent der Erwerbstätigen sind 55 Jahre oder älter, wie der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmen jüngst mitteilte. Zur Einordnung: Im Branchenschnitt liegt der Wert bei 25 Prozent. Zusätzlich fehlt der Nachwuchs: Der Anteil der Einsteiger unter 25 Jahren beträgt lediglich 3 Prozent, während er über alle Branchen hinweg bei 10 Prozent liegt.

Udo Skoppeck fährt seit über 40 Jahren Lkw, aktuell für eine Spedition hauptsächlich in Deutschland und den Nachbarländern. Wir erreichen ihn während einer Fahrt, er ist gerade auf der Autobahn nahe Nürnberg – bis abends will er kurz vor Köln sein. Dort wird er sich einen Parkplatz suchen und übernachten.

WirtschaftsWoche: Herr Skoppeck, neulich bat mich ein Taxifahrer um Hilfe bei der Navigation. Er habe erst vor wenigen Tagen den Job angefangen. Zuvor sei er 37 Jahre Fernfahrer gewesen – doch seinen Beruf will er nicht mehr ausüben: Zu wenig Privatleben, zu wenig Geld. Also lieber nachts Taxi fahren. Haben Sie selbst je übers Aufhören nachgedacht?
Udo Skoppeck: Ja, diese Gedanken hatte ich auch schon. Die Knochen spielen nicht mehr so gut mit. Ich kenne einige Kollegen, die das Handtuch werfen und dann eine ganz andere Branche wählen.

Lkw-Fahrer Udo Skoppeck Quelle: Privat

Zur Person

Die Ausbildung zum Berufskraftfahrer selbst gehört zu denjenigen, die am häufigsten abgebrochen werden. Was hören Sie von jungen Berufskollegen?
Da gibt es sicher mehrere Gründe. Zum einen wird nicht ordentlich darüber aufgeklärt, was das Berufsbild alles mit sich bringt. Dann ist zum anderen die Bezahlung ein großes Thema. Heutzutage brauchen junge Leute oft schon eine eigene Wohnung, denn es gibt nicht in jeder Stadt eine Berufsschule. Dafür reicht das Geld einfach nicht. Zudem sind die Aussichten, später den Beruf mit einer Familie zu vereinbaren, nicht gut. Oder genug Geld zu verdienen, damit es irgendwann für die Rente reicht. Das Gehalt setzt sich ja nicht einfach aus dem Bruttolohn zusammen, sondern in den Lohnmodellen stecken verschiedene Zuschläge wie etwa die Spesen. Die hat man zwar netto jeden Monat in der Hand, aber sie zählen nicht mit in die Altersvorsorge. Auch die ständigen Wechsel von Tag- und Nachtschichten gehören zu den Gründen, warum Leute die Ausbildung abbrechen. Die sagen dann: Da hätte ich auch gleich Bäcker werden können.

Empfehlen Sie den Job selbst weiter?
Nur mit Einschränkungen. Wer Affinität zu Freiheit hat, zu Fahrzeugen und Technik, für den kann das klappen. Es kommt auch stark auf den Arbeitgeber an und dass die Stelle zur Person passt.

Sie arbeiten bei einer Spedition. Welche Jobs gibt es noch?
Die Spedition habe ich mir ausgesucht, denn sie fährt überwiegend innerdeutschen Fernverkehr. Ich kann selbst viel entscheiden und muss nicht bei jedem Handgriff nachfragen. Wir haben in Deutschland über 500.000 Berufskraftfahrer und sehr überspitzt gesagt gibt es ebenso viele Berufsbilder. Es kommt auf die Kundschaft an und ob man Fern-, Linien-, Nacht- oder Begegnungsverkehr fährt. Bei Letzterem trifft man zum Beispiel einen Kollegen auf halber Strecke, tauscht die Ladungseinheit aus, kehrt dann wieder um und ist abends zu Hause.

Eigentlich müssten die Aussichten für Lkw-Fahrer super sein – der Mangel ist groß und Lkw-Fahrer werden regelmäßig abgeworben, oder?
Das stimmt. Ständig winkt jemand mit einer Wechselprämie. Trotzdem muss man das hinterfragen. In den Einstellungsgesprächen heißt es immer: Natürlich, wir halten uns an die Lenk- und Ruhezeiten. Natürlich, du bekommst die Wochenenden frei. Keiner sagt dir: Wenn du bei mir anfängst, musst du gegen Gesetze verstoßen. Aber das schleicht sich allmählich ein und aus dieser Spirale kommt man nur schwer wieder raus. Wichtig ist, genug Selbstvertrauen zu haben und auch Nein sagen zu können! Als Lkw-Fahrer muss man sich nicht verstecken. Wenn das Gehalt nicht mindestens 3000 Euro beträgt, würde ich auch als Neuling die Finger davon lassen.

Lkw-Fahrer kritisieren gerade deutlich ihre Arbeitsbedingungen. Im Dezember schilderten zwei Ihrer Kollegen im Verkehrsausschuss, wie sie von Unternehmen vor allem an der Rampe ausgenutzt werden: Es geht ums Be- und Entladen. Der Berufsverband BGL fordert ein Verbot: Das sei nicht die Aufgabe der Lkw-Fahrer, Unternehmen sollten Personal dafür einstellen.
Diese Diskussion hat eine gewisse Historie. Früher bin ich beispielsweise zu einem Supermarkt gefahren, hab mich mit meinen Papieren angemeldet und mir wurde die Rampe genannt. Dann wurde mir ein Kaffeeautomat gezeigt und wo die Duschen und Toiletten sind. Es gab Personal, das den Lkw entladen hat. Pfiffige Spediteure haben dann angefangen, bei einem Transportauftrag das Be- und Entladen als Service zu verkaufen. Denn den Lkw-Fahrer mussten sie in der Zwischenzeit ja sowieso bezahlen. Danach haben die Unternehmen angefangen, ihr Logistikpersonal abzubauen. Und heute haben wir Fahrermangel und jetzt kommt die BGL und will eine Rolle rückwärts machen – was auch gut ist!

Unzählige offene Stellen, Gehälter von 100.000 Euro – der massive Mangel an Lkw-Fahrern trifft die Logistikbranche hart. Die Industrie arbeitet an einer Lösung: Autonome Laster. Wie weit ist die Technik? Eine Probefahrt.
von Andreas Menn

Also entladen Sie Ihr Fahrzeug auch meistens selbst?
Oft. Das Problem ist, dass ich aus meinem Transportauftrag nicht erschließen kann, ob das Entladen eine Bedingung ist. Und es wird selbstverständlich angenommen, dass ich es mache. Meistens schlucke ich deshalb die Kröte und erledige es. Diese Ungewissheit ist eine Drucksituation für den Fahrer.

Im Verkehrsausschuss wurde grundsätzlich angemerkt, dass Unternehmen Druck auf die Fahrer ausüben.
Allerdings. Ich verrate Ihnen ein kleines Geheimnis: Vor allem Amazon ist für mich ein riesiges rotes Tuch. Die gesamten Arbeitsbedingungen dort sind untragbar. Wenn ich bei Amazon anliefere, trage ich meine Verdi-Warnweste.

Warum?
Ich provoziere damit natürlich und das löst bei den Mitarbeitern Erstaunen aus. Einmal wollten sie mit allen Mitteln verhindern, das ich sie trage – mir wurde mit Hausverbot gedroht, ich musste meine Firma anrufen und es gab eine große Diskussion. Dafür hätte ich im Anschluss eine Kündigung akzeptiert. Es geht mir nur um Amazon, woanders würde ich mich nicht so verhalten. Aber es ist ein gutes Beispiel, weil es bei vielen bei Aufträgen die unterschwellige Drohung gibt: „Wenn du nicht spurst, musst du die Konsequenzen tragen“. Das wird meistens nicht offen ausgesprochen, aber man gerät ganz schnell in schwierige Situationen.

Speditionen müssen häufig Entladefenster buchen – und Fahrer haben großen Druck, die einzuhalten. Stresst Sie das noch?
Dieses Zeitfenster-Management praktizieren einige Unternehmen ganz schlimm, manche Supermärkte beispielsweise. Man muss sich meistens eine halbe Stunde vor dem Zeitfenster anmelden. Man steht dann oft draußen an einem Anmeldeschalter an, egal ob bei Regen oder Hitze, oft mit zehn, zwölf anderen Fahrern. Der Vorgang kann pro Fahrer zehn Minuten dauern. Und dann passiert es, dass das eigene Zeitfenster verstrichen ist und man warten muss, bis ein anderer sein Zeitfenster verpasst hat. Ich habe schon meine komplette elfstündige Ruhepause in so einer Warteschleife verbracht. Eigentlich ist das Bereitschaftszeit, aber mein Tacho lief auf Pause.



Kritik gibt es auch an der Situation auf Rastplätzen. 40.000 Parkplätze fehlen laut Ihrem Berufsverband in Deutschland. Die Hygiene der Sanitäranlagen lasse zu wünschen übrig. Wissen Sie schon, wo Sie heute Abend schlafen werden?
Ich werde mir kurz vor Köln einen Parkplatz suchen. Im Ruhrgebiet sind sie besonders knapp. Es ist täglich ein Kampf. Diejenigen, die schon in der Nacht gestartet sind und gegen 15 oder 16 Uhr einen Parkplatz suchen, haben es noch gut. Aber ab 17 Uhr wird es wirklich schwierig. Zudem sind die Stellplätze auf den Autohöfen teuer: Ich zahle 20 Euro, um das Arbeitsgerät meines Chefs abzustellen. Essen, Getränke und Hygieneanlagen sind ebenfalls teuer. Sanifair hat jetzt auch die Preise erhöht, auf einen Euro pro Toilettengang. Die Spesen decken all das längst nicht ab. Wenn man das Ende seiner Lenkzeit erreicht hat, und sich dann in der Not beispielsweise auf ein Werksgelände stellt, kann es passieren, dass man einen Bußgeldbescheid bekommt. Früher war das besser. Autohöfe waren für Lkw-Fahrer gedacht und nicht für Privatpersonen oder Reisebusse. Früher haben mir Kunden oft noch Parkplätze gezeigt oder wussten, wo man im Industriegebiet parken kann.

Kann man mit der Zeit gut schlafen in einem Lkw an der Autobahn?
Die verbesserte Lärmdämmung hilft enorm. Aber wer keinen Tiefschlaf hat, wird nie zu 100 Prozent ausgeruht sein. Im Sommer ist es oft sehr heiß, in der Fahrerkabine kann es locker über 40 Grad werden. Klimatechnik ist nicht vorgeschrieben in Lkw-Kabinen.

Berufskollegen bemängeln, dass seit Corona viele Unternehmen keine Sozialräume und Sanitäranlagen mehr für die Fahrer zur Verfügung stellen.
Viele Unternehmen haben die Pandemie dafür genutzt, solche Räume zu schließen. Man muss dazu sagen, dass es furchtbar viele Beschädigungen und Verschmutzungen durch Berufskraftfahrer gab. Es ist bescheuert, dass Menschen so handeln – aber eine Toilette und einen Kaffee würde man ja auch einem Handwerker anbieten, der in der Firma die Heizung repariert. Dem Fahrer aber nicht. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.

Ihnen fehlt Anerkennung?
Ja, Wertschätzung. Ein Kollege sagte mal, dass es für jeden Kaffee Gütesiegel gibt. Aber nicht für fairen Transport. Das sehe ich auch so.

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Wenn Sie heute Abend kurz vor Köln den Lkw abstellen, wie lang wird Ihr Tag gewesen sein?
Etwa zwölf bis knapp 13 Stunden. Das ist täglich mein Pensum. Die Lenkzeit ist natürlich kürzer, aber mit den Wartezeiten kommt das bei mir jeden Tag zusammen.

Transparenzhinweis: Dieser Artikel wurde erstmals im Januar 2023 auf wiwo.de veröffentlicht. Wir haben ihn aktualisiert und zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.

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