
Schauen Sie kurz auf, bevor Sie weiterlesen: Was passiert gerade um Sie herum? Vorbeilaufende Menschen, die sich unterhalten? Straßenlärm? Vibrierende Smartphones, die um Ihre Aufmerksamkeit buhlen? Egal, wo Sie sich befinden, immer sind Sie Ablenkungen ausgesetzt, die es schwer machen, sich auf eine Aufgabe zu fokussieren.
Wie schön wäre es da, wenn man diese Störungen einfach ausschalten könnte – Tür zu, Konzentration an. Und wie seltsam mutet da die Renaissance einer totgeglaubten Büroidee an – des Großraumbüros, des Sinnbilds für schallendes Durcheinander im hektischen Arbeitsalltag. Warum entschließen sich dennoch selbst kreative IT-Unternehmen wie Facebook dazu, Mitarbeiter in Großraumbüros arbeiten zu lassen? Hier weiß die Hirnforschung Antworten. Denn Ablenkung ist für das Gehirn nicht immer etwas Negatives.
Die Arbeit bestimmt, ob etwas ablenkt oder nicht
Ob uns etwas ablenkt oder nicht, hängt nämlich davon ab, wie viel wir generell zu tun haben. Je komplizierter und unübersichtlicher eine Aufgabe, desto stärker blendet das Gehirn mögliche Störungen aktiv aus und konzentriert sich dadurch umso mehr auf das Problem. Arbeit macht blind, das ist sogar im Gehirn messbar: Störende Gesichter, Bilder oder Geräusche werden gar nicht mehr verarbeitet, solange man genug mit der eigentlichen Aufgabe beschäftigt ist. Nur wer wenig (oder Unkompliziertes) zu tun hat, wird überhaupt erst abgelenkt.
Zum Autor
Henning Beck ist Neurobiologe. Er klärt als Autor über die größten Mythen der Hirnforschung auf und ist außerdem Deutscher Meister im Wissenschaftswettbewerb Science Slam.
Logischer Umkehrschluss: Wer schwierige Aufgaben zu bearbeiten hat, für den sind ein paar Hintergrundgeräusche nicht lästig. Vielmehr geben sie dem Gehirn einen guten Grund, sich noch mehr zu konzentrieren. Nur bei lästigen Fleißarbeiten sollte man sich aus dem Trubel zurückziehen.





Geräusche im Großraumbüro können leistungsstärker machen
Darüber hinaus müssen Ablenkungen nicht immer stören. Stattdessen kommt es darauf an, ob sich eine solche Störung auch ändert. Ein ständig klingelndes Telefon blendet das Gehirn bald aus. Nervig wird es erst, wenn Sie rangehen (je nachdem, wer am anderen Ende ist). In der permanenten Geschäftigkeit eines Großraumbüros ist das Gehirn also genauso leistungsfähig wie in einem ruhigen Einzelzimmer. Mehr noch: Je komplexer eine Aufgabe ist und je mehr Leute daran beteiligt sind, desto besser ist es, wenn das Gehirn bei der Lösungssuche in einem lebhaften Umfeld arbeitet. Dann machen Ablenkungen nämlich kreativ.
Nun ist nicht jede aufpoppende E-Mail gleich ein Quell neuer Ideen. Doch es gibt einen Grund, weshalb viele kreative Wissensarbeiter ein betriebsames Café oder Hintergrundmusik zum Arbeiten brauchen: In dem Moment, in dem sich das Gehirn in eine wirklich wichtige Aufgabe vertieft hat, verwandelt es eintreffende Ablenkungen in mögliche Ideengeber. Unterbewusst wird vorsortiert. Dann mutiert eine nützliche Ablenkung zur möglichen Inspiration, unnütze Störungen werden rausgefiltert.
Fazit: Ob Ablenkungen lästig sind, entscheidet Ihr Gehirn. Je komplizierter die Arbeit, desto weniger lässt es sich stören – und je kreativer die Aufgabe, desto besser ist ein geschäftiges Umfeld.