Equal Pay Day Die 22 Prozent sind ein Mythos

Am „Equal pay day“ geht es darum, dass Frauen in Deutschland 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Tatsächlich ist die Differenz geringer. Und: Nicht allein die Unternehmen sind schuld am Ungleichgewicht.

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Angeblich verdienen verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt brutto noch immer rund 22 Prozent weniger als Männer - doch das ist falsch. Quelle: dpa

In Berlin und vor vielen Rat- und Gemeindehäusern in Deutschland wehen am Samstag die roten Fahnen der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen. Es ist „Equal pay day“.

Prominente und weniger prominente Menschen aus Politik und Wirtschaft machen darauf aufmerksam, dass Frauen in Deutschland noch immer fast 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Allein: Das stimmt so nicht.

Richtig ist, dass die Grundgesamtheit aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland rund 22 Prozent weniger verdient als die Grundgesamtheit aller erwerbstätigen deutschen Männer. Aber Frauen werden nicht für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt.

Zur Veranschaulichung ein - zugegeben - verkürztes und überspitztes Rechenbeispiel:

Demgegenüber stehen

  • Kathrin Menges, ehemalige Lehrerin, heute Personalvorstand bei Henkel mit einem Bruttojahreseinkommen von 4,5 Millionen Euro
  • eine fiktive Einzelhandelskauffrau, die, seit dem die Kinder alt genug für den Kindergarten waren, Teilzeit in einer Drogerie arbeitet und im Jahr 15.840 Euro brutto bekommt
  • die fiktive Sozialpädagogin mit Bachelorabschluss, die frisch von der Uni kommt und in einer Fachklinik 23.112 Euro brutto im Jahr verdient


Addiert man diese Jahresbruttogehälter und teilt sie durch die Anzahl der Frauen, kommt man zum Ergebnis, dass die durchschnittliche berufstätige Frau im Jahr 1,5 Millionen Euro brutto verdient. Macht man das Gleiche bei den Beispielmännern, kommt man auf ein durchschnittliches Bruttojahresgehalt von rund 4,4 Millionen Euro. Das würde so eigentlich niemand rechnen, sagt der Verstand.

Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern

Das Statistische Bundesamt macht es trotzdem – allerdings mit den Gehältern von 42,6 Millionen berufstätigen Männern und Frauen, wobei die Frauen mit 17,7 Millionen den deutlich geringeren Anteil stellen. Bei dieser Rechnung kommt das Statistische Bundesamt auf eine Lohndifferenz von 21,6. Seit gut 15 Jahren verändert sich dieser Wert kaum.

Was ist der Equal Pay Day?

22 Prozent sind "grob irreführend"

"Ich werde immer ein bisschen ärgerlich, wenn ich diese Zahl höre, weil diese Berechnungsweise grob irreführend ist", sagt Thomas Haussmann, Vergütungsexperte der Personalberatung Hay-Group. Große Unternehmen könnten es sich gar nicht leisten, Frauen anders, also schlechter, zu vergüten als Männer. Der Berater weiß aber auch: "Bei traditionellen Kleinunternehmen im ländlichen Raum herrscht dagegen öfter noch eine tradierte Denkweise, weshalb Frauen dort eher schlechter bezahlt werden."

Allerdings mache der Unterschied auch in diesen Betrieben keine 22, sondern eher nur vier Prozent aus.

Nun ist Haussmann zum einen ein Mann und zum anderen ein Unternehmensberater. Also könnte man ihn erst einmal für parteiisch halten. Doch selbst Arbeitsmarktforscher sagen: Eine Lohndifferenz von 22 Prozent ist grober statistischer Unfug.

Lohndifferenz wegen Berufswahl, Teilzeit, Babypause


"Real existiert keine nennenswert große Lücke zwischen den Löhnen von Frauen und Männern. Sie liegt bei der Gesamtbetrachtung aller Faktoren um zwei Prozent", erklärt Sven Hille, der Leiter der Fachgruppe „Arbeitszeit und Vergütung“ am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa). In der ganz jungen Generation, die ab 1998 geboren ist, gebe es bei gleicher Arbeit überhaupt keine Lohnlücke mehr. In der Generation der Babyboomer seien es dagegen vier bis fünf Prozent.

Hille ist überzeugt, dass das Statistische Bundesamt bei seiner Rechnung Äpfel mit Birnen vergleicht. "Bei dieser Darstellung werden entscheidende Faktoren nicht berücksichtigt."

Die Gründe dafür, dass die Grundgesamtheit der berufstätigen Frauen weniger verdient als die Grundgesamtheit der berufstätigen Männer, sind andere. "Frauen sind seltener in Führungspositionen, sie haben häufiger Karrierebrüche in ihrer Erwerbsbiographie, sie sind extrem unterrepräsentiert in den gut bezahlten MINT-Berufen", sagt Haussmann. Auch laut ifaa sorgen Arbeitszeit, Berufswahl, Dauer der Betriebszugehörigkeit und die Babypause für den großen Unterschied.

Dass Frauen eher in Teilzeit arbeiten, häufiger und länger für die Familie zuhause bleiben als die Männer und eher in schlechter bezahlten Berufen arbeiten als in den hochdotierten MINT-Fächern, weiß man übrigens auch beim Bundesfamilienministerium. In einer entsprechenden Publikation werden diese Faktoren als die drei Säulen für die Lohnlücke bezeichnet.

Weniger Rente

"Wenn man an diesen 22, 23 Prozent etwas ändern will, muss man die Strukturen verändern. Man muss die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern, das Alphamännchentum abschaffen und mehr Frauen für gut bezahlte Berufe begeistern", sagt der Vergütungsexperte Haussmann. Und Forscher Hille weist auf die Erwerbsverläufe von Frauen hin: sie wählen schlecht bezahlte Berufe, unterbrechen ihre Erwerbstätigkeiten dann lange, wenn die Kinder kommen und arbeiten anschließend nur noch halbtags. Da muss sich niemand wundern, wenn am Ende weniger auf dem Lohnzettel steht.

Auch bei der Rente macht sich diese typisch weibliche Erwerbsbiographie bemerkbar, wie eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Rentnerinnen bekamen im Jahr 2014 durchschnittlich 618,36 Euro brutto im Monat, Männer mit 1.037,02 Euro brutto fast das Doppelte. Und auch bei denjenigen, die erst 2014 in den Ruhestand gegangen sind, war die Rentenlücke enorm groß: 532,72 Euro brutto bei den Frauen, 974,67 Euro brutto bei den Männern.

Rentenprognosen für 2040

Falsche Wertigkeit und falsche Bescheidenheit

Eine einfache Lösung für das Problem gibt es nicht, glaubt Hille. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss insgesamt verbessert werden, damit Abstriche beim Gehalt und der Rente keine Frage des Geschlechts sind.

Frauen sind auch selbst gefordert, sich für andere Karrierewege zu entscheiden, so der Experte. Dass sich der Job in der IT-Branche eher bezahlt macht, als die Ausbildung zur Nageldesignerin, sollte sich rumgesprochen haben. Bei den händeringend gesuchten IT-Fachkräften gibt es entsprechend unternehmensübergreifend nahezu keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wie eine Erhebung der Online-Jobbörse StepStone zeigt. Die Gehälter unterscheiden sich zwar, allerdings nicht abhängig vom Geschlecht, sondern je nach Region oder Unternehmensgröße.

Die IT-Expertin in Mecklenburg-Vorpommern verdient weniger als die in München und der IT-Leiter bei Daimler bekommt mehr als der beim kleinen Mittelständler. Auch bei den Ingenieuren und technischen Berufen sind die Unterschiede vergleichsweise niedrig. Womit man bei der Diskussion wäre, ob man typische Frauenberufe – in der Pflege, im sozialen Bereich und in der Erziehung – nicht besser bezahlen müsste. Die Frage ist also, ob die Arbeit des Maschinenbauers wirklich dreimal mehr wert als die der Erzieherin, die seine Kinder betreut, während er arbeiten ist.

Wer etwas an der Lohnlücke ändern will, sollte sich diese Fragen stellen. Denn es ist unwahrscheinlich, dass auf einmal alle Frauen technische Berufe ergreifen und keine mehr Krankenschwester, Erzieherin, Friseurin oder Fußpflegerin werden möchte. Ganz davon abgesehen, dass auch diese Berufe gebraucht werden und nicht geschaffen wurden, damit Frauen sich nicht langweilen, während der Gatte außer Haus ist.

Falsche Bescheidenheit bei den Frauen

Ein weiterer Aspekt, der oft als Erklärung für ungleiche Gehälter ins Feld geführt wird, ist das Verhandlungsgeschick von Frauen: Obwohl es keine validen Studien zum Thema gibt, sind viele Karriereberater und Psychologen der Meinung, dass die Damen deutlich bescheidener bei ihren Gehaltswünschen seien. Während er selbstsicher 120.000 Euro netto im Jahr nebst Dienst-Bugatti fordert, schaut sie bei der Frage nach ihren Gehaltsvorstellungen verlegen auf die Schuhspitzen und stammelt: "Ja, ich weiß ja auch nicht... Was verdienen die anderen denn so? Meinen Sie, 30.000 Euro brutto im Jahr wären zu viel?"

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So ähnlich erlebt es zumindest Nicole Rupp, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frauen für das Thema Geld zu begeistern. "Frauen sagen viel zu selten, dass Geld ihnen wichtig ist. Sie sagen dann: Ich bin doch eigentlich glücklich, ich habe doch eine tolle Familie, wozu brauche ich da viel Geld?", sagt die Rednerin und Autorin.

Sie geht davon aus, dass die Erziehung in den Familien und die Sozialisation innerhalb der Gesellschaft ihren Teil dazu beitragen, dass Frauen in der Tendenz übermäßig tief stapeln. "Mädchen sollen immer nett und lieb sein und am besten die Klappe halten. Deshalb fällt es Frauen später schwerer, für sich und ihre Bedürfnisse einzustehen." Das Resultat sei die falsche Bescheidenheit, um nicht abgelehnt zu werden und die Selbstlüge "Geld ist mir nicht wichtig", um sich vor sich selbst zu rechtfertigen so Rupp. Das Problem: "Wenn sie ihre Kinder gesund ernähren wollen, wenn sie fair produzierte Kleidung tragen wollen, dann kostet das alles Geld. Das finanzieren zu wollen, hat nichts mit Geldgier zu tun", so Rupp.

Frauen gehen laut ihr außerdem häufig davon aus, dass sie irgendwann belohnt werden, wenn sie nur lange genug Ackern wie ein Gaul. "Aber das passiert weder in der Familie noch im Beruf. Frauen müssen also lernen, zu fordern, was ihnen zusteht." Da ist der Equal Pay Day – trotz der statistisch sehr fragwürdigen Zahl – eigentlich ein guter Anfang.

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