
In Berlin und vor vielen Rat- und Gemeindehäusern in Deutschland wehen am Samstag die roten Fahnen der Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen. Es ist „Equal pay day“.
Prominente und weniger prominente Menschen aus Politik und Wirtschaft machen darauf aufmerksam, dass Frauen in Deutschland noch immer fast 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Allein: Das stimmt so nicht.
Richtig ist, dass die Grundgesamtheit aller erwerbstätigen Frauen in Deutschland rund 22 Prozent weniger verdient als die Grundgesamtheit aller erwerbstätigen deutschen Männer. Aber Frauen werden nicht für die gleiche Arbeit unterschiedlich bezahlt.
Zur Veranschaulichung ein - zugegeben - verkürztes und überspitztes Rechenbeispiel:
- Dieter Zetsche, Diplomingenieur und Daimler-Chef verdiente letztes Jahr 13,2 Millionen Euro brutto.
- Ein fiktiver Bauingenieur mit Masterabschluss, seit einem Jahr im Beruf, verdiente 49.100 Euro
- und ein ebenfalls fiktiver Müllwerker (Realschulabschluss plus dreijährige Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft), seit sieben Jahren bei einer privaten Abfallentsorgungsfirma tätig, verdiente 36.000 Euro brutto
Demgegenüber stehen
- Kathrin Menges, ehemalige Lehrerin, heute Personalvorstand bei Henkel mit einem Bruttojahreseinkommen von 4,5 Millionen Euro
- eine fiktive Einzelhandelskauffrau, die, seit dem die Kinder alt genug für den Kindergarten waren, Teilzeit in einer Drogerie arbeitet und im Jahr 15.840 Euro brutto bekommt
- die fiktive Sozialpädagogin mit Bachelorabschluss, die frisch von der Uni kommt und in einer Fachklinik 23.112 Euro brutto im Jahr verdient
Addiert man diese Jahresbruttogehälter und teilt sie durch die Anzahl der Frauen, kommt man zum Ergebnis, dass die durchschnittliche berufstätige Frau im Jahr 1,5 Millionen Euro brutto verdient. Macht man das Gleiche bei den Beispielmännern, kommt man auf ein durchschnittliches Bruttojahresgehalt von rund 4,4 Millionen Euro. Das würde so eigentlich niemand rechnen, sagt der Verstand.
Die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern
Die Berechnung stützt sich allein auf den durchschnittlichen Stundenlohn. Aus den 21 Prozent lässt sich also nicht ableiten, dass alle Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger als Männer verdienen. Die Qualifikation der Beschäftigten und ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten, wird nicht berücksichtigt. Daran stören sich Kritiker. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall wendet zum Beispiel ein, die Berechnung sei „kein Indikator für mögliche Diskriminierung, denn er vergleicht eben gerade nicht vergleichbare Tätigkeiten miteinander“.
Die Statistiker führen rund zwei Drittel der Differenz darauf zurück, dass Frauen in eher schlechter bezahlten Berufen tätig sind - zum Beispiel als Reinigungskraft (Frauenanteil 85 Prozent) oder Verkäuferin (73 Prozent). Deutlich mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, deutlich weniger in höheren Führungsebenen.
Das letzte Drittel der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern lässt sich daraus aber nicht erklären: Dem Statistischen Bundesamt zufolge verdienen Frauen auch bei ähnlicher Tätigkeit und Qualifikation im Schnitt sieben Prozent weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen. Das wird unter anderem damit erklärt, dass Frauen häufiger eine Auszeit vom Beruf nehmen - um sich um Kinder zu kümmern oder Angehörige zu pflegen. Und sie treten bei Gehaltsverhandlungen anders auf.
Denkbar schlecht. EU-weit betrug der Rückstand 2013 lediglich 16 Prozent. In Slowenien zum Beispiel verdienten Frauen im Schnitt 3,2 Prozent weniger als Männer, in Italien 7,3 Prozent. Nur in Estland (30 Prozent), Österreich (23 Prozent) und Tschechien (22 Prozent) war die Lücke noch größer als hierzulande.
Davon gehen Experten zumindest aus. „Wenn der Mindestlohn eingehalten wird, werden Frauen davon profitieren, weil eben der größere Teil derjenigen, die unter 8,50 Euro verdient haben, Frauen waren“, sagt Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Auch Hermann Gartner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) erwartet einen solchen Effekt. Erhebungen gibt es aber noch nicht.
Union und SPD haben sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf festgelegt, die Entwicklung zumindest abzumildern. Ein Ziel ist demnach, dass Unternehmen ab 500 Beschäftigte künftig transparenter machen sollen, was Frauen und Männer verdienen. Einen Gesetzesentwurf gibt es allerdings noch nicht.
Das Statistische Bundesamt macht es trotzdem – allerdings mit den Gehältern von 42,6 Millionen berufstätigen Männern und Frauen, wobei die Frauen mit 17,7 Millionen den deutlich geringeren Anteil stellen. Bei dieser Rechnung kommt das Statistische Bundesamt auf eine Lohndifferenz von 21,6. Seit gut 15 Jahren verändert sich dieser Wert kaum.
Was ist der Equal Pay Day?
Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts verdienten Frauen im Jahr 2014 durchschnittlich 21,6 Prozent weniger als Männer. Rechnet man den Prozentwert in Tage um, arbeiten Frauen 79 Tage, vom 1. Januar bis zum 18. März 2017, umsonst. Aus diesem Grund machen deutsche Politikerinnen sowie Frauen aus der Wirtschaft an diesem Tag auf die sogenannte gender pay gap oder Lohnlücke aufmerksam.
Inzwischen findet der Equal Pay Day in über 20 europäischen Ländern statt. Das Netzwerk BPW International ist allerdings in rund 100 Ländern vertreten.
2009 formierte sich auf Initiative des BPW Germany ein nationales Aktionsbündnis bestehend aus der Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros und Gleichstellungsstellen (BAG), der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), dem Deutschen Frauenrat (DF) und dem Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU).
Entstanden ist der Tag für gleiche Bezahlung in den USA. Die amerikanischen Business and Professional Women (BPW) schufen 1988 mit der Red Purse Campaign ein Sinnbild für das unterschiedliche Gehalt von Männern und Frauen.
22 Prozent sind "grob irreführend"
"Ich werde immer ein bisschen ärgerlich, wenn ich diese Zahl höre, weil diese Berechnungsweise grob irreführend ist", sagt Thomas Haussmann, Vergütungsexperte der Personalberatung Hay-Group. Große Unternehmen könnten es sich gar nicht leisten, Frauen anders, also schlechter, zu vergüten als Männer. Der Berater weiß aber auch: "Bei traditionellen Kleinunternehmen im ländlichen Raum herrscht dagegen öfter noch eine tradierte Denkweise, weshalb Frauen dort eher schlechter bezahlt werden."
Allerdings mache der Unterschied auch in diesen Betrieben keine 22, sondern eher nur vier Prozent aus.
Nun ist Haussmann zum einen ein Mann und zum anderen ein Unternehmensberater. Also könnte man ihn erst einmal für parteiisch halten. Doch selbst Arbeitsmarktforscher sagen: Eine Lohndifferenz von 22 Prozent ist grober statistischer Unfug.