Equal Pay Day Die 22 Prozent sind ein Mythos

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Falsche Wertigkeit und falsche Bescheidenheit

Eine einfache Lösung für das Problem gibt es nicht, glaubt Hille. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss insgesamt verbessert werden, damit Abstriche beim Gehalt und der Rente keine Frage des Geschlechts sind.

Frauen sind auch selbst gefordert, sich für andere Karrierewege zu entscheiden, so der Experte. Dass sich der Job in der IT-Branche eher bezahlt macht, als die Ausbildung zur Nageldesignerin, sollte sich rumgesprochen haben. Bei den händeringend gesuchten IT-Fachkräften gibt es entsprechend unternehmensübergreifend nahezu keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wie eine Erhebung der Online-Jobbörse StepStone zeigt. Die Gehälter unterscheiden sich zwar, allerdings nicht abhängig vom Geschlecht, sondern je nach Region oder Unternehmensgröße.

Die IT-Expertin in Mecklenburg-Vorpommern verdient weniger als die in München und der IT-Leiter bei Daimler bekommt mehr als der beim kleinen Mittelständler. Auch bei den Ingenieuren und technischen Berufen sind die Unterschiede vergleichsweise niedrig. Womit man bei der Diskussion wäre, ob man typische Frauenberufe – in der Pflege, im sozialen Bereich und in der Erziehung – nicht besser bezahlen müsste. Die Frage ist also, ob die Arbeit des Maschinenbauers wirklich dreimal mehr wert als die der Erzieherin, die seine Kinder betreut, während er arbeiten ist.

Wer etwas an der Lohnlücke ändern will, sollte sich diese Fragen stellen. Denn es ist unwahrscheinlich, dass auf einmal alle Frauen technische Berufe ergreifen und keine mehr Krankenschwester, Erzieherin, Friseurin oder Fußpflegerin werden möchte. Ganz davon abgesehen, dass auch diese Berufe gebraucht werden und nicht geschaffen wurden, damit Frauen sich nicht langweilen, während der Gatte außer Haus ist.

Falsche Bescheidenheit bei den Frauen

Ein weiterer Aspekt, der oft als Erklärung für ungleiche Gehälter ins Feld geführt wird, ist das Verhandlungsgeschick von Frauen: Obwohl es keine validen Studien zum Thema gibt, sind viele Karriereberater und Psychologen der Meinung, dass die Damen deutlich bescheidener bei ihren Gehaltswünschen seien. Während er selbstsicher 120.000 Euro netto im Jahr nebst Dienst-Bugatti fordert, schaut sie bei der Frage nach ihren Gehaltsvorstellungen verlegen auf die Schuhspitzen und stammelt: "Ja, ich weiß ja auch nicht... Was verdienen die anderen denn so? Meinen Sie, 30.000 Euro brutto im Jahr wären zu viel?"

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So ähnlich erlebt es zumindest Nicole Rupp, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Frauen für das Thema Geld zu begeistern. "Frauen sagen viel zu selten, dass Geld ihnen wichtig ist. Sie sagen dann: Ich bin doch eigentlich glücklich, ich habe doch eine tolle Familie, wozu brauche ich da viel Geld?", sagt die Rednerin und Autorin.

Sie geht davon aus, dass die Erziehung in den Familien und die Sozialisation innerhalb der Gesellschaft ihren Teil dazu beitragen, dass Frauen in der Tendenz übermäßig tief stapeln. "Mädchen sollen immer nett und lieb sein und am besten die Klappe halten. Deshalb fällt es Frauen später schwerer, für sich und ihre Bedürfnisse einzustehen." Das Resultat sei die falsche Bescheidenheit, um nicht abgelehnt zu werden und die Selbstlüge "Geld ist mir nicht wichtig", um sich vor sich selbst zu rechtfertigen so Rupp. Das Problem: "Wenn sie ihre Kinder gesund ernähren wollen, wenn sie fair produzierte Kleidung tragen wollen, dann kostet das alles Geld. Das finanzieren zu wollen, hat nichts mit Geldgier zu tun", so Rupp.

Frauen gehen laut ihr außerdem häufig davon aus, dass sie irgendwann belohnt werden, wenn sie nur lange genug Ackern wie ein Gaul. "Aber das passiert weder in der Familie noch im Beruf. Frauen müssen also lernen, zu fordern, was ihnen zusteht." Da ist der Equal Pay Day – trotz der statistisch sehr fragwürdigen Zahl – eigentlich ein guter Anfang.

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